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„Wir gehen gemeinsam rein, wir gehen gemeinsam raus“, wiederholte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) am 15. April im ARD-Morgenmagazin das altbekannte Mantra, noch bevor der NATO-Rat am gleichen Tag förmlich beschloss, am 1. Mai mit dem Truppenabzug aus Afghanistan zu beginnen. Zuvor hatte US-Präsident Joe Biden das Ende des militärischen US-Engagements am Hindukusch zum symbolträchtigen 11. September 2021 verkündet – genau 20 Jahre nach den islamistischen Terroranschlägen von New York und Washington, woraufhin die NATO erstmals die Beistandspflicht der Verbündeten gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages in Kraft setzte. Die Reaktion auf die Anschläge war das militärische Eingreifen in Afghanistan, wo das herrschende Taliban-Regime der Terrororganisation al-Qaida Unterschlupf gewährt hatte. Für die Bundeswehr begann damit Ende 2001 zunächst mit der diskreten Entsendung von KSK-Kräften allerdings nicht ihr längster Auslandseinsatz, wie es am 15. April fälschlicherweise in der ersten Version des gemeinsamen Tagesbefehls der Ministerin und von Generalinspekteur Eberhard Zorn zum Ende der NATO-Mission „Resolute Support“ hieß (später korrigiert in „intensivster“ Einsatz). Die Bundeswehr wird bereits seit 1999 im Kosovo eingesetzt. Es sollte aber ihr mit bisher 59 Toten verlustreichster Auslandseinsatz werden. Rund 160.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr waren insgesamt in den Afghanistan-Missionen der UNO und der NATO eingesetzt. Derzeit sind es rund 1.100 Bundeswehrangehörige, die nun Anfang Juli nach Deutschland zurückkehren werden. In dem Tagesbefehl heißt es: „Die Bundeswehr verlässt Afghanistan mit Stolz. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben alle Aufträge erfüllt, die das Parlament ihnen gegeben hat.“ Das sah im politischen Berlin nicht jeder so. So verlangte etwa der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, eine ehrliche Aufarbeitung des Einsatzes. Auch wenn vieles gut gelaufen sei und die Bundeswehr ihren Auftrag erfüllt habe, habe es unbestreitbar eine Menge Fehler gegeben. Als Beispiele führte Wüstner die politischen Weichenstellungen, die Definition unterschiedlicher Einsatzziele und „Machbarkeitsillusionen“ an. Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) forderte eine „kritische, ehrliche und möglichst unabhängige Bilanz (…), damit aus Fehlern gelernt werden kann.“

Grüne, FDP und Hilfsorganisationen erwarteten von der Bundesregierung Auskunft über Möglichkeiten, die Errungenschaften des langen Einsatzes zu schützen. „Es wäre schlicht fatal“, so etwa die FDP-Verteidigungspolitikerin Agnes Strack-Zimmermann, „wenn Afghanistan in einer Nachkriegsordnung wieder in mittelalterliche Zustände zurückfallen würde.“ Genau das befürchtet der frühere Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat, der die NATO-Mission für gescheitert hält, da es nicht gelungen sei, in Afghanistan ein demokratisches System zu etablieren: „Die Taliban sind politisch stark und werden auch militärisch stärker. Innerhalb kürzester Zeit werden sie die Macht in Afghanistan übernehmen“, so Kujat gegenüber dem MDR.

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An der Heimatfront haben der neue sicherheitspolitische Fokus auf die Landes- und Bündnisverteidigung und die gegenwärtige Corona-Pandemie unterdessen zu einer Aufwertung der Reserve geführt. Der Heimatschutz soll bis 2025 mit der Aufstellung von fünf Heimatschutzregimentern weiter gestärkt werden, die „als Verbund der Kern der Territorialen Reserve darstellen und die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien führen“, teilte Generalinspekteur Zorn am 6. April in einem Tagesbefehl mit. Am gleichen Tag stellten Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, der Parlamentarische Staatssekretär Peter Tauber (CDU) und der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr, Generalleutnant Markus Laubenthal, vor der Hauptstadtpresse das Pilotprojekt der Streitkräftebasis „Dein Jahr für Deutschland“ vor, mit dem der neue Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz (FWD Heimatschutz) konkrete Form annimmt. Im Rahmen des zunächst auf ein Jahr angelegten Projekts begann am gleichen Tag für über 1.000 Rekrutinnen und Rekruten an elf Standorten in Deutschland die heimatnahe siebenmonatige Grund- und Spezialausbildung, der ein fünfmonatiger Dienst im Heimatschutz unweit des jeweiligen Wohnortes folgen soll. Dieser Heimatschutzdienst kann nach Bedarf auf die folgenden sechs Jahre verteilt werden. Anders als der reguläre Freiwillige Wehrdienst „soll der Dienst im Heimatschutz mit regionalen Unterstützungsleistungen einen gesamtstaatlichen Beitrag leisten und die Krisenvorsorge stärken“, hieß es dazu vom Verteidigungsministerium. Dort hofft man vermutlich auch darauf, dass möglichst viele der neuen Heimatschützer von der Möglichkeit Gebrauch machen, mit längerer Dienstverpflichtung in den normalen Freiwilligen Wehrdienst zu wechseln – um dann vielleicht auch Zeitsoldaten zu werden? (siehe auch Gastkommentar)

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Für Peter Tauber war es die letzte Amtshandlung als Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Ebenfalls am 6. April verabschiedete Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer den 46-jährigen Hauptmann der Reserve aus dem Amt, das er aus gesundheitlichen Gründen niederlegte. Die Einführung des Freiwilligen Wehrdienstes im Heimatschutz war ihm ebenso ein persönliches Anliegen gewesen wie die erfolgreiche deutsche Bewerbung um die Invictus Games im Jahre 2023. Tauber hatte regelmäßig Wehrübungen absolviert und dabei besonders genaue Einblicke in das Binnenleben der Truppe gewonnen. Er selbst verabschiedete sich bei Youtube mit einem eindrucksvollen Video, in dem er den Jahrestag des Karfreitagsgefechts in Afghanistan zu einem menschlichen und politischen Vermächtnis nutzte. Taubers Aufgaben im Verteidigungsministerium übernimmt bis zur Bundestagswahl der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Silberhorn (CSU).

Wolfgang Labuhn