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Während kurzfristig die Corona-Pandemie das Geschäft von Vincorion beeinträchtigt, könnten sich auf längere Sicht Verzögerungen und mögliche Streichungen bei großen deutschen Rüstungsprojekten negativ auf den Spezialisten für mechatronische Produkte und Lösungen auswirken.

„Da würde es uns natürlich helfen, wenn die vielen großen Beschaffungsprojekte, die ausstehen, auch kommen“, sagt Stefan Stenzel, der Vincorion als Executive Vice President leitet, im Gespräch mit der ES&T.

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Stefan Stenzel, Executive Vice President von Vincorion (Fotos: Vincorion)

Zwar sei die Tranche 4 des Eurofighters mit einer Verzögerung von einem Jahr mittlerweile bestellt worden, aber die Order für die Tranche 5 des Kampfflugzeugs stehe noch aus. „Die hätte man jedoch gleich mitbeauftragen müssen, um Kostenvorteile zu nutzen und die Beschäftigung zu stabilisieren“, sagt Stenzel.

Weiter offen ist überdies die Beschaffung des Taktischen Luftverteidigungssystems (TLVS), das Vorgehen beim Schweren Transporthubschrauber sowie die Beauftragung eines zweiten Loses des Schützenpanzers Puma. In all diesen Vorhaben habe Vincorion Liefer-
anteile, erläutert der Geschäftsführer, der auch im Executive Management Committee der Vincorion-Muttergesellschaft Jenoptik sitzt. „Wenn sich ein 30-Millionen-Geschäft um ein oder sogar zwei Jahre verschiebt, dann ist das für einen Mittelständler schwer auszugleichen“, unterstreicht er. „Deshalb wäre es für die Planbarkeit von unschätzbarem Wert, wenn diese Großprojekte verlässlicher und langfristiger vergeben würden.“

Stenzel beobachtet, dass immer mehr Teilnehmer den deutschen Rüstungsmarkt verlassen, ins Ausland abwandern oder dort Partnerschaften eingehen, um sich vom volatilen Markt hierzulande unabhängiger zu machen. „Das führt dazu, dass die deutsche Rüstungsindustrie erodiert und nicht mehr für eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Verfügung steht“, beschreibt er die Situation.

„Aus meiner Sicht steht das im starken Kontrast zu den gewünschten europäischen Großprojekten. Denn die können ja nur dann europäisch sein, wenn die deutsche Rüstungsindustrie auch mitmacht. Es sei denn, man möchte sie gleich im Ausland beschaffen.“

Das neue Waffenstabilisierungssystem GTdrive Modular

Stenzel verweist auf die deutsch-französischen Vorhaben Main Ground Combat System (MGCS) sowie Future Combat Air System (FCAS). Es handelt sich nach seiner Einschätzung um wichtige und strategisch richtig aufgesetzte Projekte, an denen sich die Vincorion beteiligen möchte. „Während wir beim FCAS wahrnehmen, dass die Franzosen uns outperformen, was die Besetzung von Positionen und die Investition in das Projekt angeht“, präge sich Deutschland als Lead-Nation beim MGCS nicht ähnlich kraftvoll aus. „Hier ist die deutsche Politik gefordert, unsere Interessen kraftvoll zu vertreten“, betont der Manager.

Er sieht Signale, dass die Projektstruktur noch nicht produktiv ist. „Wir machen uns Sorgen, dass das MGCS-Projekt nicht erfolgreich zu Ende gebracht wird.“ Dabei hat Vincorion großes Interesse am Gelingen, da sich das Unternehmen einbringen möchte.

„Beim MGCS werden wir einen guten Beitrag zum Energiesystem leisten können, da wir schon heute im Puma das 170-kW-Hochvolt-Energiesystem liefern“, sagt Stenzel. Der zukünftige Kampfpanzer wird nach Einschätzung des Vincorion-Chefs anders als der Leopard auch ein Energiesystem haben müssen. „Da sind wir als Vincorion der einzige Hersteller der Welt, der ein in Serien eingesetztes Gerät im Feld hat, das in 350 Puma-Panzern verbaut ist.“

Das Besondere am Vincorion-Konzept ist laut Stenzel ein Startergenerator auf der Antriebsachse, der hochkompakt ist und 170 kW liefert. „Wir können bis zu 500 kW – das ist dann ein kleines Blockheizkraftwerk – heute schon für militärische Fahrzeuge realisieren.“

Da Vincorion die Waffenstabilisierungsanlagen für Leopard und Puma geliefert hat, sieht Stenzel auch in diesem Technologiebereich für sein Unternehmen beim MGCS gute Chancen. „Beim FCAS wären wir sicher beitragsfähig, was das Thema Energieversorgung angeht. Da glauben wir, dass das nächste Flugzeug ein Hochvolt-Energiesystem haben wird.“

Leiterplattenfertigung bei Vincorion

Von der Politik erwartet der Manager, dass sie „größer denkt“ und Deutschland zugunsten der Übernahme der europäischen Systemverantwortung für eine Waffenplattform auf die Mitspracherechte bei den anderen Waffenplattformen verzichtet. „Die einen bauen das Flugzeug, die anderen den Panzer, die dritten die Schiffe, irgendeiner die U-Boote – vielleicht alle zusammen die C4I“, beschreibt er seinen Ansatz. Dass aber alle alles machen, könne nur ein Zwischenschritt sein.

Vincorion liefert auch wesentliche Komponenten des Energiesystems für das Luftverteidigungssystem Patriot von Raytheon. Insbesondere wegen des Patriot-Geschäfts will das Unternehmen seine Präsenz in den USA stärken. „Um von unserem bestehenden Standort in El Paso amerikanische Kunden flexibler bedienen zu können“, erläutert Stenzel.

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Obwohl Vincorion seit Jahren mit Raytheon zusammenarbeitet, würde das Unternehmen auch als Unterauftragnehmer beim TLVS-Vorhaben, das von MBDA Deutschland und Lockheed Martin vorangetrieben wird, fungieren. „Wir sehen darin keinen Widerspruch – ganz im Gegenteil glauben wir, dass beide Seiten davon profitieren, wenn derjenige, der 30 Jahre Erfahrung hat, auch ein neues Energiesystem entwickelt.“

Die Jenoptik-Tochter entwickelt ihre Technologie nach eigenen Angaben ständig weiter und setzt dabei auf aktuelle Technologietrends wie Hybridisierung. Beispielsweise hat das Unternehmen mit Hauptsitz in Wedel für das Patriot-System eine hybride Auxiliary Power Unit (APU) konzipiert, die Superkondensatoren für Leistungsspitzen nutzt und bei den Raketenlaunchern zum Einsatz kommt. Damit lassen sich der Dieselverbrauch und Wartungskosten massiv reduzieren.

APUs stellt das Unternehmen auch für Anwendungen in Panzern her. Benötigt wird die Energie laut Stenzel zunehmend für Abnehmer wie Klima- und Kühlanlangen, Kommunikationseinrichtungen oder die aktive Panzerung.

Als Zulieferer für ausländische Kunden ist Vincorion auf eine verlässliche Exportkontrolle angewiesen. Aber hier sieht Stenzel ein Problem: „Wir brauchen eine Planbarkeit bei Exportgenehmigungen. Da ist es uns fast lieber, dass es ein klares Ja oder Nein gibt, als dass es eine Abhängigkeit vom Tagesgeschehen gibt.“ Der Vincorion-Chef räumt ein, dass Rüstung ein „extrem politisches Geschäft“ sei und das Primat der Politik gelte. „Als Industrie braucht man dann aber Rahmenbedingungen. Wenn sich die immer wieder verschieben, dann ist es eine echte Herausforderung.“

Der Kreis der Länder, die aus Deutschland beliefert werden können, wurde in den vergangenen Jahren eingeschränkt. Was im Ergebnis dazu führe, dass viele ausländische Systemhäuser ganz bewusst ihre Plattformen „german free“ ausstatten und gar nicht mehr mit deutschen Zulieferern planen. Aufgrund dieser politischen Verengung fokussiere Vincorion seine Vertriebsanstrengungen auf NATO-Staaten.

Aufgrund der durch Corana bedingten niedrigen Startbasis rechnet Vincorion-Manager Stenzel mit einem hohen Wachstumspotenzial für die zivile Luftfahrt. Er sieht überdiese große Chancen im Bereich Maintenance, Repair and Overhaul (MRO). Unter anderem, weil Beschaffungen verschoben und Bestandsplattformen länger genutzt werden. Entsprechend belebe sich das Ersatzteil- und Reparaturgeschäft.

„Wir wollen das in Zukunft systematisch weiter ausbauen – auch für die Produkte von möglichen Kooperationspartnern“, kündigt Stenzel an. So bereite Vincorion derzeit die Wartung eines Dipping-Sonars eines anderen Herstellers für die Streitkräfte einer europäischen NATO-Nation vor. Eine solche Wartung strebe man auch für ein weiteres europäisches Land an. Das Unternehmen sieht sich mit mehr als 120 Kundendienstfacharbeitern als idealer Partner für ausländische Systemhäuser, wenn diese in Deutschland MRO-Services anbieten wollen.

„Wir werden mehr und mehr unsere Produkte mit Sensoren ausstatten, um die Nutzungsdaten erfassen zu können“, sagt der Manager. Das habe den Vorteil, Predictive-Maintenance-Dienstleistungen anbieten zu können. Produkte sollen durch die Analyse der Daten überdies proaktiv weiterentwickelt werden. „Wir nennen das hier Kundendienst 4.0, weil wir glauben, dass es auch im Kundendienst einen Digitalisierungsschub geben wird.“

Wachstumspotenziale sieht das Unternehmen auch beim mobilen Energie-Management und Steuerungssystemen. Ein Beispiel ist die Energieversorgung von Feldlagern. So will sich Vincorion zusammen mit einem Konsortium aus vier deutschen Unternehmen – Elektroniksystem- und Logistik-GmbH (ESG), Kärcher Futuretech, Drehtainer und Vincorion – an der ausstehenden Ausschreibung für ein Feldlager bewerben. „Was wir für Feldlager machen, können wir auch für andere mobile Applikationen machen“, so Stenzel.

„Wir haben in den vergangenen Jahren eine sehr hohe F&E-Quote gehabt und in neue Produktentwicklung investiert, die wir in den kommenden Jahren materialisieren wollen“, fasst Stenzel die Entwicklung zusammen. Unter anderem arbeite Vincorion an der Silizium-Carbid-Technologie, um bei geringeren Materialdichten eine höhere Strom-Leitungsfähigkeit für militärische Anwendungen zu realisieren. Das Unternehmen kooperiert dabei mit der Universität Hamburg und der Fachhochschule Kiel.

Bis zum Jahresbeginn hatte Jenoptik geplant, seine Tochter Vincorion zu veräußern, das Verfahren dann aber abgebrochen. „Wir fühlen uns wohl im Konzernverbund der Jenoptik und haben uns in den vergangenen zwei Jahren als eigenständige Marke etabliert. Das hat uns geholfen, unseren Kunden klarer zu transportieren, wofür wir stehen: für mechatronische Lösungen“, beschreibt Stenzel die gegenwärtige Situation. Ansonsten sei Jenoptik ein breit aufgestellter Konzern, der eine Heimat bieten könne.

2019 beschäftigte Vincorion – mit einem Anteil von rund 30 Prozent im zivilem und 70 Prozent im militärischem Geschäft – rund 760 Mitarbeiter und erzielte einen Umsatz von 165 Millionen Euro.  Vergangenes Jahr musste das Unternehmen unter anderem aufgrund der Corona-Auswirkungen auf das Luftfahrt-Geschäft sowohl am Standort Wedel als auch am Standort Essen Kurzarbeit machen. Das habe man zum Jahresende einschränken können, sagt Stenzel. „Aber es ist nicht auszuschließen, dass wir kommendes Jahr wieder in Kurzarbeit gehen müssen.“

Lars Hoffmann