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Interview mit Roderich Kiesewetter MdB, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontroll-Gremiums

ES&T: Herr Kiesewetter, in diesem Monat wird Joe Biden als neuer US-Präsident in sein Amt eingeführt. Alle erwarten, dass mit ihm besser über eine gemeinsame Politik gesprochen werden kann. Führt das auch dazu, dass vor allem Deutschland mehr in die Pflicht genommen wird?
Kiesewetter: Auch unter einem US-Präsidenten Joe Biden werden wir uns darauf einstellen müssen, dass die Forderungen nach einem stärkeren deutschen Engagement und einer gerechteren transatlantischen Lastenteilung nicht aufhören werden. Angesichts vielfältiger Herausforderungen wie neuen systemischen Rivalitäten, der zerbröckelnden Rüstungskontrollarchitektur, Terrorismus, disruptiver Technologien oder dem Klimawandel ist das auch folgerichtig. Die USA verändern ihre eigene Rollendefinition und sind heute, etwa im Pazifik, durch andere Herausforderungen gebunden als früher. Daher wird von uns erwartet, mehr Verantwortung vor unserer eigenen Haustüre wahrzunehmen. Wir spüren heute die Auswirkungen von Konflikten in dem Bogen von der Sahelzone über den Nahen Osten bis hin nach Osteuropa unmittelbarer. Daher ist es auch in unserem Interesse, hier für Stabilität und Sicherheit zu sorgen. Dass die USA mit dem Brexit einen neuen Hauptansprechpartner in der EU suchen werden, kann für Berlin eine Chance auf Intensivierung unserer Beziehungen sein.

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Foto: Bundestag

ES&T: Sie sagten es: Die US-Regierung wird mit Sicherheit darauf drängen, dass die Lasten der Verteidigung zwischen den USA und den europäischen NATO-Partnern besser ausgeglichen werden. Die europäischen NATO-Staaten haben in den vergangenen Jahren ihre Anstrengungen erhöht. In welchen Bereichen sehen Sie noch „Ausgleichsbedarf“?
Kiesewetter: In den nächsten vier Jahren werden wir gemeinsam beweisen müssen, dass es uns ernst ist mit der Verteidigung der regelbasierten internationalen Ordnung. Die Präsidentschaft des Multilateralisten Biden bietet die Chance auf eine Nachjustierung unserer transatlantischen Sicherheitsarchitektur und darauf, gerade auch die kritischen Punkte beherzt anzugehen. Indem wir selbstbewusst mit einer positiven Agenda auf die USA zugehen, Impulse setzen und neue gemeinsame Projekte angehen, können wir uns gemeinschaftlich weiterentwickeln. Die NATO ist seit Jahrzehnten die entscheidende Grundlage unserer westlichen Sicherheitsarchitektur. Ihr Erfolg ist entscheidend in ihrer Fähigkeit begründet, sich auch neuen Sicherheitserfordernissen anzupassen. Am Ende werden wir Europäer Angebote für eine glaubhafte Lastenteilung machen müssen. Dafür können wir zum Beispiel anregen, stärker Verantwortung für die bodengebundene Luftverteidigung in Mittel- und Osteuropa zu übernehmen, das Rahmennationenkonzept und Permanente Europäische Sicherheitszusammenarbeit PESCO zu stärken und auszubauen. Auch die praktische Ausgestaltung von verbesserter Zusammenarbeit durch Standardisierung von Bewaffnung und Ausrüstung sowie Interoperabilität bei Verfahren von KI und IT stehen auf der Tagesordnung.

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