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Immer wieder gelingt es den Sicherheitsbehörden in Deutschland, Anschläge zu verhindern. Seit dem Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 haben die Sicherheitsbehörden in Deutschland elf weitere geplante Anschläge radikaler Islamisten vereiteln können. Dies sagte der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) Holger Münch vor dem Untersuchungsausschuss „Breitscheidplatz“ im Deutschen Bundestag. Darüber hinaus seien zwischen 2017 und September diesen Jahres rund 200 Islamisten abgeschoben worden, unter ihnen 96 Gefährder und 21 „relevante Personen“. Münch sagte weiter, dass in Deutschland die Zahl radikalislamischer Gefährder zwischen 2014 und Ende 2015 von 257 auf 446 angewachsen sei und 2016 über 500 gelegen. Die Behörden hätten sich 2013 noch mit 130 durch Islamisten verursachten „Gefährdungssachverhalten“ zu befassen gehabt, ein Jahr später schon mit 246 und im Durchschnitt der Jahre 2015 und 2016 mit mehr als 450.

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BKA-Präsident Holger Münch, Foto: BKA

Zurzeit hat das Bundesamt für Verfassungsschutz 615 Gefährder auf dem Schirm und 521 sog. relevante Personen, die noch nicht den Status der Gefährders haben. Verfasssungsschutzpräsident Haldewang hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch in Deutschland jederzeit ein islamistischer Anschlag erfolgen kann. Bundesinnenminister Horst Seehofer äußerte sich im Bundestag ähnlich.

Münch räumte vor dem Untersuchungsausschuss auch Defizite ein. So seien die Umstände, die 2016 dazu beigetragen hätten, dass die Gefährlichkeit des Täters Anis Amri im Vorfeld des Berliner Attentats nicht zutreffend eingeschätzt worden sei, bisher nur zum Teil behoben worden, räumte Münch ein. Er wies auf das Sicherheitsumfeld dieser Zeit hin. Bundesinnenminister Thomas de Maizière habe ihm damals insbesondere die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ans Herz gelegt. Doch sehr schnell habe das Massaker an der Redaktion des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo und im weiteren Verlauf der Jahre 2015 und 2016 eine Serie anderer Anschläge die Bedrohung durch den radikalen Islamismus in den Fokus der Behörden gerückt.

Die Möglichkeiten des Bundeskriminalamtes sind begrenzt. Münch berichtete, dass für den gesamten Staatsschutzbereich im Bundeskriminalamt Ende 2016 nur 334,5 Planstellen eingeplant waren, von denen 259,5 besetzt gewesen seien: „Die Ressourcen hielten mit der Dynamik der Entwicklung nicht Schritt.“ Von bundesweit 750 Ermittlungsverfahren wegen Bildung terroristischer Vereinigungen im In- oder Ausland habe das Bundeskriminalamt 130 federführend betreut. Seit dem 1. November 2019 sei eine eigene Abteilung „Terrorismus“ mit derzeit 705 Planstellen, von denen bisher 425 besetzt seien, aus dem Staatsschutzbereich ausgegliedert worden.

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Zu den wesentlichen Defiziten, die 2016 einer angemessenen Bearbeitung des Falles Amri im Wege gestanden hätten, zählte Münch den Umstand, dass Kooperation und Informationsaustausch zwischen Sicherheitsbehörden nicht nur auf europäischer, sondern auch auf Bundesebene nur mangelhaft funktioniert hätten. Dieser Missstand sei bis heute nicht restlos ausgeräumt.

Zudem sieht Münch ein Problem im Föderalismus. Für die Gefährder seien die Länder zuständig. Der Bund habe „keine eigenen Gefährder“, meinte er plastisch. Besonders betroffen seien Nordrhein-Westfalen und Berlin. Der Arbeitsanfall sei daher sehr ungleichmäßig verteilt gewesen. Zudem seien die Zuständigkeiten im Umgang mit der Gefährderklientel durch die unterschiedlichen Polizeigesetze der Länder höchst uneinheitlich umschrieben gewesen. So habe es 2016 für die Überwachung des Telefonverkehrs in elf Ländern gesetzliche Regelungen gegeben, für die Erfassung der Telekommunikation an der Quelle in sechs und für die Online-Durchsuchung nur in zwei Ländern. Das Problem der Vereinheitlichung der Polizeigesetze sei bis heute ungelöst, sagte Münch, der einen „parteiübergreifenden Konsens“ anmahnte, wenigstens die „wichtigsten Befugnisnormen“ gemeinsam zu regeln.

Rolf Clement