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In den letzten Jahren haben zwei Programme der US-amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) für Aufsehen gesorgt, in denen technische Sensorsysteme durch natürliche ergänzt oder ersetzt werden sollen. Ganz allgemein zielt das diesen Überlegungen zugrunde liegende Konzept der Living Sensors darauf ab, die natürlichen Sinnesleistungen von Tieren bzw. die natürlichen Reiz-Reaktions-Mechanismen von Pflanzen und Bakterien zu nutzen, um neuartige Sensorsysteme zu entwickeln. Wie groß die damit erzielbaren Fortschritte allerdings im praktischen Einsatz tatsächlich sein können, muss in jedem Einzelfall kritisch geprüft werden.

Grundsätzlich können bei den Living Sensors drei Ansätze unterschieden werden. Die ersten beiden nutzen die natürlichen Sinnesleistungen von Tieren. Zum einen wird deren natürliches Verhalten beobachtet und analysiert, um dann mithilfe von Sensoren Abweichungen vom normalen Verhalten zu detektieren, was Aufschluss über mögliche Gefahren, wie z. B. Naturkatastrophen, liefert. Zum anderen wird der extrem leistungsstarke Geruchssinn der Tiere so trainiert, dass sie auf die Detektion von Gefahrstoffen, Suchtmitteln oder Krankheiten konditioniert werden. Im dritten Ansatz werden Bakterien und Pflanzen zielgerichtet so programmiert, dass sie in der Lage sind, bestimmte Schadstoffe, wie Explosivstoffe oder biologische und chemische Agenzien, zu detektieren. Dies erfolgt über gentechnische Modifikationen. Eine andere Möglichkeit stellt das Einbringen von Nanopartikeln bzw. Nanostrukturen in das Pflanzengewebe dar, wobei Pflanzen mit neuen Funktionalitäten (nanobionische Pflanzen), z. B. mit der Fähigkeit zur Detektion von Gefahrstoffen, entwickelt werden.

Ein neuer Ansatz in der Verhaltensanalyse ist es, das natürliche Verhalten von Meereslebewesen als Warnsystem vor Unterwasserfahrzeugen zu nutzen. Dabei sollen mithilfe von Hydrophonen, akustischen Überträgern, Sonar, Kameras und anderen Sensoren die Geräusche in einem Riff sowie die Bewegungen der Meereslebewesen kontinuierlich überwacht und analysiert werden. Auch die Reaktionen von marinen Mikroorganismen auf magnetische Signaturen sollen erfasst werden. Abweichungen vom normalen Verhalten sollen Hinweise auf U-Boote oder unbemannte Unterwasserfahrzeuge geben.

Der Einsatz des außerordentlichen Geruchssinns von Spürhunden zur Detektion von Explosivstoffen oder Suchtmitteln ist schon lange Alltag, und Studien belegen, dass Hunde sogar in der Lage sind, Krankheiten wie Krebs oder Malaria zu erschnüffeln. Derzeit wird sogar untersucht, ob medizinische Detektionshunde für den Nachweis von COVID-19-Erkrankten ausgebildet werden können. Ebenso werden Ratten schon seit vielen Jahren für die Detektion von Landminen oder bei der Untersuchung von Spuckproben auf Tuberkulosebakterien eingesetzt. Aber auch Insekten, insbesondere Bienen, wurden bereits erfolgreich auf die Detektion von Explosivstoffen, Suchtmitteln oder Krankheiten trainiert. Die Bienen werden dabei dem Geruch einer bestimmten Substanz ausgesetzt und anschließend mit Zuckerwasser belohnt. Erfolgreich trainierte Bienen strecken nun in Anwesenheit der Zielsubstanz ihren Rüssel aus, was mithilfe von Kameras überwacht werden kann.

Bakterien gentechnisch so umzuprogrammieren, dass sie als Sensor fungieren, ist heute relativ einfach. Die größte Herausforderung ist es, ihr Überleben und ihre Funktionalität auch außerhalb des Labors sicherzustellen. Außerdem müssen die Zellen innerhalb des Materials verbleiben, damit die Biosicherheit bezüglich der Freisetzung gentechnisch modifizierter Organismen sichergestellt ist. Hierbei konnte bereits ein dehnbares, reißfestes Hydrogel-Elastomer-Hybrid realisiert werden, in das lebende E.-coli-Bakterien injiziert wurden, die genetisch so modifiziert waren, dass sie ein grün fluoreszierendes Protein produzierten, wenn sie in Kontakt mit bestimmten Chemikalien gerieten. Aus diesem lebenden Material wurden z. B. Gummihandschuhe und Bandagen entwickelt, die für forensische Untersuchungen oder in der medizinischen Diagnostik zum Nachweis von Viren auf der Haut eingesetzt werden könnten.

Um eine Pflanze als Gefahrendetektor nutzen zu können, sind umfangreiche Eingriffe in das Genmaterial der Pflanze erforderlich. Die Modellpflanze Arabidopsis thaliana wurde z. B. genetisch so verändert, dass sie nun in Anwesenheit von TNT den Blattfarbstoff Chlorophyll abbaut und entgrünt.

Ein ganz neuer Ansatz ist die Pflanzennanobionik. In das Blattgewebe von Spinatpflanzen wurden Kohlenstoffnanoröhrchen-Peptid-Komplexe eingeschleust, die auf nitroaromatische Verbindungen reagieren, welche von Landminen an den Boden abgegeben und von den Pflanzen mit dem Wasser aufgenommen werden. Das Vorhandensein dieser Verbindungen wird durch Lichtemission im nahen Infrarot-Bereich angezeigt, wenn die Pflanzen mit einem Laser angestrahlt werden.

Living Sensors werden oftmals als schneller und sensitiver als die entsprechenden herkömmlichen Technologien angepriesen. Sie sind allgegenwärtig, reproduzieren sich selbst und erhalten sich selbst am Leben, wodurch sie kostengünstiger und energieunabhängig seien. Dabei wird jedoch die in vielen Fällen vorhandene Notwendigkeit nachgeschalteter Technologien, wie Sensoren oder Kameras, Datenübertragung, Bildverarbeitung und Auswertungsalgorithmen, um die Signale der Living Sensors überhaupt wahrnehmen und interpretieren zu können, außer Acht gelassen. Und wie diese Überwachung und Auswertung realisiert werden kann, ist teilweise noch unklar. Weitere Hürden bei der Übertragung der im Labor oder Feldversuch gewonnenen Ergebnisse auf Realbedingungen sind die teilweise zu geringe Lebensdauer der Living Sensors (Bakterien überleben in dem genannten Hydrogel-Elastomer nur wenige Tage), die teilweise zu lange Reaktionszeit (der Prozess des Entgrünens der Pflanzen dauert zwei Stunden), die starke Wetterabhängigkeit der Organismen sowie der Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen, der nach heutiger Rechtslage üblicherweise nur im Labor erlaubt ist.

Dr. Britta Pinzger