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Der Schützenpanzer (Spz) Puma soll vollständig mit einer Reaktivpanzerung ausgestattet werden. Den Auftrag für weitere 142 Systeme hat die Bundeswehr jetzt erteilt. Damit verfügt das gesamte erste Los des Puma über den explosiven Reaktivschutz. Die Bundeswehr hat die 142 jetzt bestellten Systeme in der gleichen Bauart geordert wie die ersten 200 für den Puma. Die Systeme sind im eigentlichen Sinne leicht und können von den Besatzungen per Hand transportiert werden. Aus Arbeitsschutzgründen soll bei der Anbringung jedoch ein Kran oder dafür beschaffte Palfinger Crayler zum Einsatz kommen.

Bisher sind als Kunden für diesen von Dynamit Nobel Defence hergestellten Schutz die Bundeswehr mit dem Puma sowie ein weiterer ausländischer Kunde bekannt. Zudem gab es Studien für andere Fahrzeuge, u.a. für den Fennek der Bundeswehr. Das System lässt sich von kleineren und mittleren Fahrzeugen wie dem Fennek bis hin zu großen Kampfpanzern anpassen.

Dieser explosive Reaktivschutz kann im Rahmen von Modernisierungen oder Nutzungsdauerverlängerungen als Add-on-Lösung zu existierenden Fahrzeugen konzipiert oder als Teil neu zu entwickelnder Landplattformen von Grund auf in die Systemarchitektur einbezogen werden. Die Systeme bauen auf den existierenden Fahrzeugschutz auf und integrieren eigene, zusätzliche Passivelemente. Moderne Materialien und sehr insensitive Explosivstoffe kommen dabei zum Einsatz. Damit kann bei gleichem Schutzniveau eine Gewichtsersparnis bis zu 80 Prozent im Vergleich zu reinem Passivschutz (Panzerstahl) erreicht werden. Durch eine Gegenexplosion wird die Gefahr eines Treffers praktisch vor Erreichen des Fahrzeuges gebannt und das Überleben der Besatzung gesichert.

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Grafik: DND

Eine der Waffen, gegen die ein solches System schützen soll, ist die russische Panzerabwehrwaffe RPG 7V. Um vor solchen Waffen geschützt zu sein, sind erhebliche Panzerungen mit entsprechend hohem Gewicht notwendig. Bereits im Fall der weit Ladung des Gefechtskopfes der RPG 7 V würde man bei einer zugrundeliegenden Eindringtiefe in Stahl von ca. 320 mm für jeden Quadratmeter zu schützender Fläche mehr als 2,5 Tonnen benötigen.

Das System baut auf israelischen Systemen auf, die seit Jahrzehnten genutzt werden, die der Mutterkonzerns Rafael Advanced Defense Systems Ltd. entwickelt hat.  Entscheidende Unterschiede sind der insensitive Explosivstoff sowie der Aufbau, der vor allem aus Verbundwerkstoffen besteht.

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Beschuss eines Seitenwanddemonstrators. Nur ein Element wird durch die Wirkung der Hohlladung zerstört. Eine Begrenzung der umsetzenden Sprengstoffmenge pro Ereignis ist eine wichtige Voraussetzung für die Integrität des Fahrzeugs sowie die Sicherheit der Insassen. Au0erdem bleiben benachbarte Elemente intakt und können weitere Bedrohungen abwehren. (Foto: DND)

Die israelischen Systeme hatten als Außenhülle und auch im Inneren viele Anteile aus leichtem Metall. Diese würden bei der Auslösung des Schutzsystems aber zu gefährlichen Splittern, zumindest für alle Soldaten neben den Fahrzeugen. Unter anderem deshalb lehnte die Bundeswehr über Jahrzehnte reaktive Schutzsysteme ab, während sie in anderen Nationen im Einsatz waren. Vor allem für die begleitende Infanterie oder die Panzergrenadiere wäre dies eine nicht unerhebliche Gefährdung gewesen. Beim dem jetzt beschafften System ist sowohl die Außenhülle als auch jede Schraube aus leichtem Verbundwerkstoff, der bei der Umsetzung nicht sehr weit fliegt und auch kaum eine Gefahr darstellt. Natürlich gibt es immer ein Restrisiko. Allein die Druckwelle wird Personen im Umfeld umwerfen oder sogar verletzen. Diese werden Menschen jedoch weit weniger schädigen als Splitter und anderen Gefahren, die zum Beispiel vom Treffer einer RPG 7 ausgehen.

Das System wurde mittlerweile weiterentwickelt. Dieses System 2.0 wäre vor allem in der Bauart flacher und leichter.

Da dieses System Sprengstoff enthält, kann es nicht unbewacht am Fahrzeug verbleiben, sondern muss entweder geschützt oder abmontiert und in einem Sicherheitsbereich gelagert werden.

 

Aufbau und Wirkungsweise

Der Reaktivschutz (ERA, Explosive Reactive Armour) als solcher fußt auf den Arbeiten von Professor Manfred Held und ist seit längerem bekannt. Der prinzipielle Aufbau ist sehr einfach: Zwischen zwei Platten (aus Metall oder auch aus Verbundwerkstoff) ist eine Schicht aus Sprengstoff angebracht. Dieses sogenannte Sandwich oder „Wirkelement“ ist schräg zur Einfallsrichtung der Bedrohung ausgerichtet. Ein auftreffender Hohlladungsstrahl löst den Sprengstoff aus, der dann die Platten unter Winkel dem Strahl entgegen beschleunigt. So findet der Strahl immer neues zu durchdringendes Material vor und der Blast des Sprengstoffes wirkt massiv störend auf die anfliegenden Strahlpartikel. Dieser Mechanismus führt zu einer drastischen Verringerung der Eindringtiefe.

Für Reaktivschutz werden nur extrem unempfindliche Sprengstoffe verwendet, die nur bei einem Auftreffen eines Hohlladungsstrahls detonieren und ansonsten passiv bleiben, auch bei Beschuss mit Maschinenkanonen und leistungsstarker KE-Munition.

 

Zukunftsfähigkeit des Reaktivschutzes

Der qualifizierte Reaktivschutz für den Schützenpanzers Puma ist bewusst so ausgelegt, dass er nur auf Hohlladungsstrahlen reagiert. Man kann jedoch durch Wahl empfindlicherer Sprengstoffe und durch Mehrfachanordnungen den Schutz so gestalten, dass auch KE-Projektile (z.B. aus 120-mm-Kanonen) neutralisiert bzw. in ihrer Leistung erheblich reduziert werden können. Dass dies möglich ist zeigen Reaktivschutzkonzepte z.B. aus Russland. Ebenfalls ist eine Abwehr von Tandem-Ladungen möglich, z.B. aus Panzerabwehrhandwaffen oder als Lenkflugkörper verschossene Hohlladungsgefechtsköpfe. Dies ist zurzeit Gegenstand der Entwicklungsarbeiten bei Dynamit Nobel Defence.

Ansonsten gibt es auch noch ganz andere Schutzarten, zum Beispiel „Aktive Systeme“ wie Trophy von Rafael. Bei diesem wird zwischen „Hard Kill“ und Soft Kill“ unterschieden. Letztendlich sind auch diese neuartigen Systeme komplementär zu Passiv- und Reaktivschutzlösungen zu sehen. Nur das perfekte Zusammenspiel verschiedener Technologien bieten den Plattformen optimales Schutzniveau.

André Forkert