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Foto: Service d’Information du Gouvernement (SIG) – Gouvernement.fr

Im Zuge der von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorgenommenen Regierungsumbildung hat der neue Premierminister Jean Castex ein Ministerium für das Meer eingerichtet (Ministère de la Mer). Annick Girardin, bisherige Ministerin für die Überseegebiete, wurde die Leitung des Ministeriums anvertraut, das es letztmalig 1991 gab. Zwar wurde 1995 ein Generalsekretariat Meer eingerichtet (Secrétariat Général de la Mer), doch wurde Maritimes ansonsten in anderen Ressorts behandelt – in Wirtschaft, Umwelt, Kultur, Verteidigung, Bildung und Forschung, Landwirtschaft, Tourismus. Das wurde nicht nur von den Lobbyisten zunehmend als Anomalie empfunden. Die Aufgaben in diesem Sektor in Bezug auf Wirtschaft, Beschäftigung und Umwelt sind so umfangreich, dass Staatspräsident Macron eine Strategie für maritime Themen in seiner Rede am 14. Juni in den Fokus zur Wirtschaftsbelebung nach der Krise um Covid-19 rückte.

Ein umfassenderes Verständnis für den maritimen Sektor zeichnete sich schon seit längerem ab. Emmanuel Macron ließ die Bedeutung einer maritimen Strategie vor Wirtschaftsvertretern bereits 2019 anklingen. Er forderte eine stärkere Fokussierung auf das Maritime: „Das 21. Jahrhundert ist maritim – anders wird es nicht bestehen können“, rief er seinen Zuhörern zu. Bereits beim G7-Gipfel in Biarritz im August 2019 gehörten maritime Angelegenheiten zur Tagesordnung.

Mit seinen überseeischen Departements und seinen Territorien in den Weltmeeren (DOM-TOM), hat Frankreich nach den Vereinigten Staaten die zweitgrößte Ausschließliche Wirtschaftszone (EEZ – Economic Exclusive Zone). Daraus ergeben sich, oft nicht beachtet, für die EU ungewöhnliche Nachbarschaften, zum Beispiel mit Südafrika (südafrikanische Prinz Edwards Inseln als Nachbar des französischen Archipel Crozet) oder mit Australien und Neuseeland.

Die Einrichtung des Ministeriums für maritime Fragen fand in Frankreich weithin Anerkennung, da breites Einvernehmen über die Notwendigkeit einer stärkeren Koordination in diesem Bereich herrscht. Nun geht es darum, aus den anderen Ressorts die entsprechenden Verantwortlichkeiten zu übertragen und ein Budget festzulegen. Denn ein Ministerium allein reicht nicht. „Ein Ministerium ist gut, aber wir müssen jetzt alle zentralen Verwaltungen mit personellen und finanziellen Mitteln unter seine Zuständigkeit stellen. Und wir brauchen einen Minister, der wirklich politischen Einfluss hat“, formuliert es Olivier Le Nézet, Vorsitzender des Regionalausschusses für Meeresfischerei und Meeresbewirtschaftung der Bretagne.

Aus den bisher öffentlich gemachten Überlegungen soll das Portfolio alle ‚blauen‘ Aktivitäten umfassen, von der Schiffbauindustrie über Häfen und Reeder, Fischerei und Aquakulturen bis hin zu Tourismus, Meeresenergie, Offshore, Biotechnologie sowie alle damit verbundenen Dienstleistungen. Französische Medien bemühen den Brexit als einen Grund für diese Schwerpunktsetzung. Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union verändert die Grundlagen für den gegenseitigen Zugang zu Gewässern, die zwischen britischen und französischen Fischern geteilt werden, sowie die Gemeinsame Europäische Fischereipolitik.

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Der neue französische Ansatz geht weiter als ein Maritimer Koordinator, den die deutsche Bundesregierung berufen hat. Die Erwartungen sind hoch. Sie reichen von einer effizienten Energiewende in der Schifffahrt, deren Digitalisierung bis hin zum Anspruch, wieder Schwung in die globale maritime Innovation zu bringen. Dabei hat Paris das gesamte maritime Ökosystem im Visier: Reeder, Schiffbauer, Forschungsinstitute, Banken und Versicherer. Man möchte mehr als nur maritime Bemühungen bündeln, man möchte sich vor die Welle des Fortschritts setzen.

Angesichts einer derartigen Erwartungshaltung könnten die jenseits des Rheins wiederholt gemachten Ansätze zur Bildung eines ‚maritimen Airbus‘, also zu Konsolidierungen im europäischen Schiffbau, neu an Fahrt aufnehmen.

Im Lichte dieser Entwicklung ist die vom Maritimen Koordinator der Bundesregierung für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft angestrebte Vernetzung der maritimen Wirtschaft und der maritimen Interessen in Europa neu zu bewerten.

Hans Uwe Mergener