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Ich bin Bordhubschrauberpilot. Und als solcher natürlich davon überzeugt, dass es nichts Wichtigeres gibt. Auch ließen sich viele Operationen, die wir im Rahmen des internationalen Krisenmanagements mit P-3C erfüllen, vordergründig auch von günstigeren, unbemannten Systemen übernehmen (so sie denn in Deutschland irgendwann mal zugelassen werden). Wieso also halte ich hier ein flammendes Plädoyer für die Seefernaufklärung? Weil sie wesentlich für die Durchschlagskraft einer modernen Marine ist.

Eigentlich ist der Begriff Seefernaufklärer irreführend, suggeriert er doch, es ginge nur um die weiträumige Aufklärung über See. Dabei können die so bezeichneten Luftfahrzeuge weit mehr. Um dies zu verdeutlichen, vergab man immer wieder neue Namen, um verschiedene Fähigkeiten zu betonen. Der passendste Begriff ist vermutlich Maritime Airborne Warfare System (MAWS). Da dieser jedoch für ein konkretes deutsch-französisches Projekt steht, bleibe ich hier der Einfachheit halber bei Maritime Patrol Aircraft (MPA).

 

Der perfekte U-Jäger

MPA sind ursprünglich als verlängerter Arm seegehender Verbände konzipiert worden, damit Truppen und Nachschub geschützt vor der latenten U-Boot-Bedrohung des Gegners Europa erreichen konnten. Darüber hinaus sollten MPA in den an das Hoheitsgebiet angrenzenden Meeren U-Boote im Verbund oder eigenständig aufspüren, um die Seewege für eigene und verbündete Marinen, aber auch für die Schifffahrt frei zugänglich zu halten.

Noch heute bringen MPA die notwendige Geschwindigkeit, Reichweite und Stehzeit mit, um ein Einsatzgebiet schnell zu erreichen und lange abdecken zu können. Mit ihren auf die U-Boot-Jagd spezialisierten Sensoren können sie sowohl konventionelle als auch nuklear betriebene U-Boote aufspüren und bei Bedarf mit eigenen Wirkmitteln bekämpfen. Dies geschieht heutzutage noch immer so, wie es bereits damals war: mit Torpedos oder Wasserbomben. Es mag sich anachronistisch anhören, aber Wasserbomben haben weiter ihre Daseinsberechtigung, sind sie doch – anders als ein Torpedo – skalierbar einsetzbar, können als Warnung dienen und sind auch im Flachwasser nutzbar, dort, wo der Abwurf eines Torpedos nicht möglich ist.

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Foto: OMt M. Peich/Deutsche Marine

Seit dem ursprünglichen Konzept hat sich einiges verändert. Viele Nationen haben nach dem Zerfall des Warschauer Pakts und damit dem Wegfall der perzipierten Gefahr von Angriffen mit ballistischen Waffen, verbracht durch Unterseeboote, diese für die Aufklärung wesentliche MPA-Fähigkeit eingespart oder auf kleinere, günstigere Muster mit deutlichen Einbußen bei Reichweite, Stehzeit, Sensorik und Effektorik gesetzt. Im Nordseeraum haben Großbritannien und die Niederlande ihre MPA-Flotten außer Dienst gestellt. Jetzt, 30 Jahre nach dem Mauerfall, sind MPA im Bündnis eine rare, aber überaus begehrte Ressource (NATO Shortfall). Denn weltweit steigt die Anzahl gerade von konventionellen Unterseebooten, und Nationen modernisieren ihre Flotten, wie dem aufmerksamen Leser des MarineForums bekannt ist. Schon wenige, relativ günstige konventionelle U-Boote sind ein wertvolles strategisches Mittel. Das Vorhandensein eines U-Boots in einem Operationsgebiet ist ein Risiko, das keine Nation für eigene Hochwerteinheiten (HVU) oder zivile Schiffe akzeptieren möchte. In alten Filmen sieht man immer, wie der Zerstörer auf die Position des U-Boots zufährt. Das wurde leider viel zu lang tatsächlich so gemacht. Heute möchte kein Schiffskommandant auch nur in Reichweite der U-Boot-Torpedos kommen. Und auch wenn es mir als Hubschrauberpilot etwas weh tut: Selbst Hubschrauber, insbesondere im Sonar-Hover, sind seit der Erfindung von sub-launched anti-air missiles nicht mehr unverwundbar. MPA mit hoher Flughöhe und Geschwindigkeit dagegen weitgehend schon. Folgerichtig baut Großbritannien seine MPA-Flotte mit P-8A Poseidon wieder auf und Norwegen modernisiert seine Flotte mit dem gleichen Typ.

Ein weiterer Punkt: Die NATO hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein Lagebild aufzubauen und dauerhaft zu halten. Dies ist gerade im Unterwasserbereich eine Herausforderung, da moderne Technologie die U-Boote drastisch leiser gemacht hat. Dennoch erreicht werden soll dieses dauerhafte Lagebild mit Langzeitsensoren, Vernetzung, Kooperation, Datenaustausch sowie der Bi- und Multistatik. Gerade die Multistatik erfordert das schnelle Ausbringen von aktiven und passiven Sonarbojen in einem Aufklärungsgebiet, welches deutlich größer ausfällt, als es bei den „klassischen“ Verfahren war. Erprobungen der letzten Jahre haben bewiesen, dass weder Schiffe noch Hubschrauber in der Lage sind, diese Felder in angemessener Zeit und mit der erforderlichen Bojenanzahl auszubringen, geschweige denn, sie angesichts bauartbedingter Auffassungsreichweite zu überwachen. Die gewachsenen Distanzen erschweren zudem das frühzeitige Bekämpfen eines Unterwasserkontakts durch Schiffe wie Hubschrauber. Auch hier punktet das MPA mit seiner hohen Geschwindigkeit und großen Nutzlast für Sensoren und Effektoren.

 

Verfügbarkeit

In westlichen Nationen wird nur eine geringe Zahl vollwertiger MPA-Typen betrieben. Neben der weitverbreiteten P-3C Orion werden Breguet Atlantique II sowie die moderneren P-8A Poseidon und die japanische Kawasaki P-1 genutzt.

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Foto: Sönke Hofmann – VDSS PHOTOGRAPHY

Die Bundesmarine betrieb ab 1958 zunächst 15 Fairey Gannet zur U-Jagd, welche ab 1966 von 15 Breguet Atlantic (ohne die fünf SIGINT-Exemplare) ersetzt wurden. Ab 2006 wurden diese wiederum von acht gebrauchten P-3C Orion ersetzt, die bis 2025 eine Fähigkeitslücke verhindern sollten, deren Verfügbarkeit jedoch stets hinter den Erwartungen zurückblieb. Zwischenzeitlich wurde jedoch beschieden, durch eine Modernisierung den Weiterbetrieb der P-3C über 2025 hinaus zu ermöglichen. Die Modernisierung verläuft aktuell stockend und reduziert die Verfügbarkeit der wenigen MPA weiter. Parallel beschloss der deutsch-französische Ministerrat 2017, einen gemeinsamen Nachfolger für P-3C und Breguet Atlantique II zu beschaffen. Dieses Vorhaben läuft derzeit unter dem Arbeitsbegriff MAWS (Maritime Airborne Warfare System) und wird in den europäischen Kontext des FCAS (Future Combat Air System) eingebettet. In der Deutschen Marine soll die Aufgabe der MPA spätestens 2035 durch das bemannte MAWS übernommen werden.

 

Das Musketier-Prinzip: Eines für alles

Heutzutage ist ein MPA zu deutlich mehr als zur U-Jagd in der Lage. Mit ihren Sensoren kann sie auch ein Überwasserlagebild exzellent aufbauen, halten und teilen. Dabei wird kontinuierlich das Bild verdichtet, indem Radardaten mit elektromagnetischen Ausstrahlungen und Aufnahmen aus dem Elektrooptischen- und Infrarotsensor (EO/IR) übereinandergelegt werden. Im Rahmen des Seekriegs aus der Luft können die gewonnenen Daten an eigene Kräfte oder Bündnispartner zur Bekämpfung weitergegeben werden. Allerdings kann ein modernes MPA mit seinem breiten Portfolio an Wirkmitteln auch über Distanzen von mehr als 200 Kilometern hinweg und unter Bedrohung eigenständig wirken. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die Seekriegführung aus der Luft derzeit eine längerfristige Lücke aufweist: Die Marine hat die Jagdbomber-Komponente aufgegeben und der Luftwaffe fehlt aktuell ein Flugkörper, welcher die Funktionalitäten der ehemals sehr effektiven Kormoran- und Harm-LFK der Marine-Jagdbomber vereint. Das MPA kann jedoch sowohl als Träger eines Wirkmittels als auch als Übermittler von Zieldaten für Flugzeuge der Luftwaffe oder anderer Bündnispartner einen Beitrag leisten. Über die Nutzung der bei anderen Nationen für den Seezielflugkörper-Verschuss bestimmten MPA haben die Marineflieger zudem teil an Entwicklungen in diesem Bereich. Das beständige Üben im nationalen und internationalen Rahmen bei Manövern garantiert die Kompatibilität der Einsatzgrundsätze und Verfahren. Kurz: Sie können mitspielen.

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Foto: Sönke Hofmann – VDSS PHOTOGRAPHY

Am häufigsten aber bietet das MPA der Politik ein probates Mittel, welches mit seinem Aufklärungsschwerpunkt politisch leicht konsensfähig ist, schnell entsandt werden kann, keine Stationierung im Einsatzland erfordert, eigene Kräfte nur wenig gefährdet und für das leicht eigene rules of engagement eingebracht werden können. Der gesetzte footprint an Land ist verhältnismäßig klein; Unterkunft, Fernmeldeanbindung, ein angepasstes Ersatzteilpaket und eine verlegbare Auswertezelle mit Stabsanteilen genügen für den erfolgreichen Einsatz.

So nehmen die Marineflieger seit 2008 an der EU-Operation Atalanta sehr erfolgreich teil und haben bereits vorher jahrelang wertvolle Daten für die Operation Enduring Freedom am Horn von Afrika gesammelt. Aufklärungsmissionen werden für die NATO auch im Rahmen der Assurance Measures im Baltikum geflogen. In allen Missionen spielt das MPA seine Vorzüge von Geschwindigkeit, Stehzeit, Sensormix, Fernmeldeanbindung und Verlegbarkeit aus. Seit Mai setzt die Deutsche Marine ihre MPA zudem in der Mission Irini ein. Aufgrund von Corona muss dies aus Deutschland erfolgen. Die Reichweite der MPA macht es möglich.

Gerade bei kurzfristigen Einsätzen oder einsatzgleichen Verpflichtungen wird seitens der Planer als erste Option gerne die luftgestützte Aufklärungskomponente gewählt, lässt sich das MPA doch relativ einfach aus dem geplanten Jahresprogramm herauslösen und anderweitig verlegen. Die Anfahrtswege, im Vergleich zu einem Schiff, sind schneller zu bewältigen, Kosten und Personalbedarf geringer.

Neben aktuellen wie geplanten Einsätzen, einsatzgleichen Verpflichtungen und den Übungstätigkeiten in den klassischen warfare areas werden letztlich auch SAR oder militärpolitische Aufgaben weltweit wahrgenommen. Das MPA kann aber auch Spezialkräfte unterstützen oder gar aus der Luft absetzen. Mit seinen Sensoren, allen voran die Elektrooptische-Infrarotkamera, kann das MPA aus der Luft Kräfte am Boden mit aktuellen Informationen und Livebildern versorgen. Diese erhalten somit an Bord die Gesamtübersicht des Einsatzgebietes, können auf Besonderheiten und die anstehende Vorgehensweise eingehen und werden auch am Boden mit den Daten im Livefeed über ein taktisches Datennetz (TCDL) versorgt.

 

Wird das MPA durch unbemannte Systeme ersetzt?

Die Prognosen für die kommenden rund 20 Jahre sagen: nein. Selbst sehe ich zwar die Zukunft in der unbemannten Fliegerei. Bis diese aber einen umfänglichen, adäquaten Ersatz für MPA bieten, in Europa zugelassen und als Waffenträger ethisch akzeptiert sind, wird es noch lange dauern. Derzeit scheitern viele Systeme noch immer an den hohen Anforderungen an Reichweite und Stehzeit bei großer Zuladung von Sensorik und Effektorik; insbesondere aber an der Integration in den europäischen Luftraum und der entsprechenden luftrechtlichen Zulassung. Dabei haben wir noch nicht einmal das hart umkämpfte elektromagnetische Spektrum näher betrachtet. Dies wird von unbemannten Systemen einen hohen Grad an Automation und künstlicher Intelligenz bei einem Ausfall erfordern sowie die Fähigkeit, bei gezielter Störung der Fernmeldeanbindung den Auftrag weiterführen zu können. Das MPA wird daher als flexibles und skalierbares Wirkmittel in der nächsten Generation von UAV nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden.

 

So what?

Der stete Wandel in der Sicherheitspolitik ist eine Binse. Der militärische und politische Nutzen moderner Waffensysteme wird entsprechend weniger auf deren Spezialisierung basieren, als vielmehr auf der Bereitstellung anpassungsfähiger Handlungsoptionen. Dies ist die Stärke des MPA, welches neben den maritimen Kernfähigkeiten auch streitkräftegemeinsame und ressortübergreifende Szenarien – auch über Land – bedienen kann. Der Einsatz Counter Daesh aus Jordanien ist nur ein Beispiel, bei dem der Einsatz eines geschützten MPA gewinnbringend möglich gewesen wäre. Bereits jetzt ist die Marine aber schon proportional überdurchschnittlich in Einsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen gebunden. Diese Verpflichtungen werden zu nicht unerheblichen Teilen von MPA getragen. Angesichts der Forderungen von NATO und EU wird sich das auch in den kommenden Jahren kaum ändern. Denn: Kein anderes einzelnes System bietet diesen Mix aus Reichweite, Geschwindigkeit, Stehzeit, Sensoren und Waffen, Fernmeldeanbindung und Verlegbarkeit.

Am Ende meines Plädoyers stelle ich fest, dass es gar nicht so flammend geworden ist. Braucht es auch nicht, denn auch ganz nüchtern betrachtet bleiben einsatzbereite, verfügbare Seefernaufklärer für die Deutsche Marine unverzichtbar.

Kapitän zur See Thorsten Bobzin ist Kommandeur des Marinefliegerkommandos.