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Aktuell befindet sich das niederländische Joint Support Ship „Karel Doorman“ in der Karibik, um humanitäre Hilfe im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu leisten. Das amphibische Mehrzweckschiff hat eine besondere Verbindung zum Seebataillon und damit auch zur Einsatzflottille 1 in Kiel. Denn das Schiff ist Teil der niederländisch-deutschen Marinekooperation, und es wird seit 2016 formell von beiden Streitkräften gemeinsam genutzt. Bei der Unterzeichnung des Letter of Intent zwischen beiden Staaten sagte die damalige Bundesministerin der Verteidigung Ursula von der Leyen: „Wir legen heute zugleich einen Grundstein für einen Leuchtturm innerhalb der maritimen Kooperation. Wir werden dazu das Seebataillon der Deutschen Marine in die Königlich Niederländische Marine integrieren. Beide zusammen werden das niederländische Schiff nutzen. In meinen Augen ist das ein Musterbeispiel für den Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion, was wir heute erleben.“

ES&T: Herr Admiral, vor dem Hintergrund dieser politischen Absichtserklärungen aus dem Jahre 2016: Wo stehen wir heute und wie steht es um die Kooperation in der Praxis?

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Flottillenadmiral Christian Bock ist Kommandeur der Einsatzflottille 1 (Foto: Bundeswehr)

Bock: Obwohl das Seebataillon erst 2014 aufgestellt wurde, kann ich heute bereits mit einem gewissen Stolz behaupten, dass sich der Verband stark weiterentwickelt und sich zu Recht einen tollen Ruf innerhalb der Marine und bei den internationalen Partnern erarbeitet hat. Die Kooperation läuft gut. Ich denke da an die gemeinsame Teilnahme mit dem Korps Mariniers an der Amphibious Task Group 2020 als Teil der NATO Response Force. Das Seebataillon beteiligt sich dort aktuell mit einer verminderten Kompanie, inklusive Unterstützungs- und Kampfunterstützungskräften. Hervorzuheben ist natürlich auch der gemeinsame Katastrophenhilfe-Einsatz auf den Bahamas im Zuge des Hurrikans Dorian im September 2019. Wir haben zudem viele Ausbildungsvorhaben zusammen bestritten, etwa das arktische Wintertraining in Norwegen, bei dem niederländische und deutsche Marineinfanteristen über Wochen Seite an Seite unter widrigsten Bedingungen zusammen gekämpft und gelitten haben. Regelmäßig schicken wir Seesoldaten zu Manövern in niederländische Gefechtsstände oder Stäbe. Und wir haben vergangenes Jahr zwei deutsche Marineinfanterieoffiziere dauerhaft in die Niederlande versetzt. Ein Stabsoffizier arbeitet mittlerweile im Führungsstab der Netherlands Maritime Forces in Den Helder als Operationsstabsoffizier für den Bereich Amphibik. Ein weiterer Offizier ist im Marine Training Command in Doorn für Ausbildung zuständig. Dazu kommen die personellen Verbindungen zu den britischen Royal Marines beim 47 Commando in Plymouth. Ziel all dieser Maßnahmen ist, und das ist konzeptionell nun auch gefordert, der Gewinn weiterer Erfahrungen im Bereich Amphibik. Die Deutsche Marine muss irgendwann selbst in der Lage sein, deutsche Staatsbürger aus dem Ausland vom nassen Strand zu evakuieren. Also nochmal: Wenn ich das alles zusammenfasse, komme ich zu dem Schluss: Es läuft viel. Davon läuft auch vieles gut. Man verzahnt zwei Verbände aber nicht ohne Weiteres. Dieser Prozess dauert lange, er hat mit Gewöhnung zu tun, betrifft viele Ebenen in allen Streitkräften der Partner. Von der politischen Leitung bis zum Infanteristen am Strand muss diese Zusammenarbeit gelebt werden. Am Ende dieses Dauerlaufs sind wir natürlich noch lange nicht.

ES&T: Ob Sie das bitte noch weiter konkretisieren könnten, was muss denn noch passieren?

Bock: Wir haben ganz aktuell den Auftrag des Seebataillons komplett überarbeitet und ihn den Bedürfnissen der Landes- und Bündnisverteidigung sowie der deutsch-niederländischen Kooperation angepasst. Der neue Schwerpunkt des Verbandes ist die Befähigung zu amphibischen Operationen und Kampf im maritimen Umfeld. Langfristig auch als geschlossener Gefechtsverband. Der ehemalige Auftrag des Seebataillons und seiner Vorgängerverbände, fokussiert auf den Schutz von Marineanlagen, bildet nun nicht mehr den Mittelpunkt und wurde deutlich ergänzt. Dem neuen Auftrag des Verbandes muss natürlich die Struktur und Organisation des Seebataillons Rechnung tragen. Und der Verband braucht das nötige Material, um insbesondere den amphibischen Auftrag mit den Partnern erfüllen zu können.

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Das Seebataillon soll im Rahmen der Marinekooperation in die niederländische Marine integriert werden

ES&T: An welches Material denken Sie dabei?

Bock: In erster Linie fehlt es unseren amphibischen Kräften an geeigneten Einsatzbooten, mit denen sie schnell, flexibel und mit eigener Feuerkraft im maritimen Umfeld, speziell in Küstennähe, operieren können. Die Facetten reichen von Evakuierungsoperationen, humanitärer Hilfe, Hafenschutz bis hin zu Escort-Operationen und Kampfeinsätzen für kleine amphibische Operationen. Solche Boote können auch für das Legen defensiver oder protektiver Minenfelder und Aufklärungsoperationen mit verbundenem Drohneneinsatz genutzt werden. Zudem werte ich solche Boote als Beitrag auf Augenhöhe für die Kooperation mit den niederländischen amphibischen Kräften. Sinnvoll und optimal ist es, wenn beide Nationen den gleichen Bootstyp nutzen. Dass die Ausbildung auf den Booten harmonisiert wird. Dass sie nach denselben taktischen Grundsätzen eingesetzt werden. Das sorgt für taktische und operative Verlässlichkeit auf beiden Seiten. Und es erleichtert ganz enorm, Personal auszutauschen und Kräfte gemeinsam einzusetzen.

blankES&T: Der Bedarf solcher Boote ist nach unserem Kenntnisstand schon lange anerkannt. Wann kann die Truppe mit dem Zulauf rechnen?

Bock: Ja, Sie haben recht. Der Bedarf ist von Seiten der Marine und dem Planungsamt anerkannt. Wir befinden uns derzeit in der Analysephase und definieren die Anforderungen an die Boote, also die technischen und funktionalen Forderungen. Ich würde mich freuen, wenn der erste Baustein in der Analysephase dieses Jahr noch abgeschlossen werden kann. In der aktuellen Situation kann Ihnen aber niemand sagen, wann genau und welche Boote zulaufen werden. Ich hoffe aber, genauso wie die Truppe, dass der Zulauf nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt. Wie fordern keine technisch hochkomplexen Meisterstücke, sondern robuste, schnelle und ausdauernde Boote, wie sie auch seit vielen Jahren in anderen Marinen erfolgreich eingesetzt werden. Also einfaches Wehrmaterial. Solche Boote sind marktverfügbar. Das Rad muss nicht neu erfunden werden. Es wird also nicht so schwer sein, geeignete Kampfboote auszuwählen und anzuschaffen. Dann wird in einem ersten Schritt dem Verband eine Erprobungsplattform zur Verfügung gestellt werden, um auch die Schulung erster Stammbesatzungen zu ermöglichen. Ich kann Ihnen versichern, dass das Seebataillon, mein Stab und ich selber weiter mit aller Kraft an diesem zukunftsträchtigen Thema arbeiten und die Beschaffungsorganisation unterstützen werden. All dies dient dazu, die Leistungsfähigkeit und Auftragserfüllung des Seebataillons, insbesondere im Kontext der Partnerschaft mit dem Korps Mariniers, weiter zu verbessern. Ich bin unheimlich stolz, diesen einzigartigen und jungen Verband so weit vorne zu sehen. Ohne ihn fehlte der Toolbox der Einsatzflottille 1 und der Marine insgesamt eine immens wichtige und vielseitige Fähigkeit.

Die Fragen stellte Hans Uwe Mergener.