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Wir leben nun schon einige Zeit unter den Bedingungen einer Pandemie. Wenn man sich die deutsche Medienlandschaft betrachtet, scheint es ja nur noch ein Thema zu geben. Wir hatten solche Zeiten schon früher – bei dem Fall der Mauer und dann wieder nach den Anschlägen auf New York und Washington am 11. September 2001.

Wichtig ist in solchen Zeiten, dass wir Kurs und Haltung bewahren. Nach dem Fall der Mauer haben wir – nahezu – alle eine weitere Konfrontation in Europa für undenkbar gehalten. Alle plädierten dafür, jetzt die Friedensdividende einzufahren. Zu viele waren zu leicht bereit, jedes Vorsorgedenken abzustreifen. In der damaligen Euphorie wurde jeder, der gemahnt hat, als „Kalter Krieger“ beschimpft. Mit der Friedensdividende ging die Erkenntnis einher, dass Vorratshaltung an Gerät, an Munition, aber auch an medizinischem Gerät unnötig sei. Entsprechende Vorräte wurden abgebaut.

Jetzt fehlen diese Güter. Die Vorräte der Bundeswehr sind mittlerweile erschöpft, sie waren es sehr schnell. Nach der Rückorientierung der Sicherheitspolitik auf Landes- und Bündnisverteidigung haben die Armeen der NATO begonnen, umzusteuern. Das aber braucht Zeit. Dass die Bundeswehr in diesem Bereich Gas geben muss, hat sie erkannt.

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Rolf Clement ist Chefredakteur der Europäischen Sicherheit & Technik

Mit einiger Verzögerung hat Deutschland vor einigen Jahren auch die Wehrpflicht de facto abgeschafft. Damit ist auch der Zivildienst zu Ende gewesen. Gäbe es beides noch, könnte die Gesellschaft jetzt auf eine große Gruppe von Menschen zurückgreifen, die eine Grundausbildung in vielen jetzt benötigten Fähigkeiten haben, z.B. in der Pflege. Die allgemeine Wehrpflicht, wie wir sie in Deutschland praktiziert haben, hat eine breite Basis für Vorsorge geboten, die weit über das Militärische hinausging. Aber wir haben dies in den Debatten zu sehr auf das rein Militärische verengt. Wir haben mittlerweile ein anderes Verständnis von Sicherheit entwickelt. Mit dem sogenannten vernetzten Ansatz wurde deutlich, dass Sicherheit nahezu alle politischen und gesellschaftlichen Bereiche umfasst.

Immer wieder flammt in Deutschland eine Debatte auf, ob der Grundwehrdienst wieder eingeführt werden sollte. Dabei wird auch die Frage einer allgemeinen Dienstpflicht angesprochen, die in vielen Bereichen der Gesellschaft eingeführt werden könnte. Diese Debatte wird nach den Erfahrungen mit der Pandemie sicherlich neu aufflammen, dann mit neuen Argumenten. Der Vorsorgegedanke sollte da umgesetzt werden.

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In Krisen wie der gegenwärtigen ist die Öffentlichkeit auf die Symptome dieser Krise konzentriert. In der Vergangenheit gab es bei ähnlichen Fällen immer wieder mit der heißen Nadel genähte Gesetze, die danach nicht alle wieder aufgehoben wurden. Als die damalige Bundesrepublik durch den Terrorismus der Baader-Meinhof-Bande aufgeschreckt wurde, wurden Gesetze erlassen, die zum Teil heute noch bestehen. Dasselbe geschah nach den Anschlägen auf New York und Washington 2001. Die ungarische Regierung hat sich durch das Parlament ermächtigen lassen, nur noch mit Verordnungen zu regieren. Der Bundestag hat ein solches Gesetz nicht beschlossen. Bleiben wir wachsam, dass er das auch nicht macht. Die bestehenden Gesetze reichen aus, um in dieser Krise zu bestehen.

Und wir dürfen uns nicht auf die einfache These einlassen, dass dies alles nicht passiert wäre, wenn die Globalisierung nicht so weit fortgeschritten wäre. In den 1970er Jahren sprachen wir von den „multinationalen Konzernen“, die eigentlich die Welt regierten. Immer mehr vernetzte sich diese Welt. Heute nennt man das Globalisierung. Ohne die weltweite Zusammenarbeit funktioniert diese Welt nicht mehr. Aber es ist auch richtig: Wenn wir z.B. auf die Medikamentenversorgung schauen, haben wir erlebt, wie abhängig wir von China geworden sind, wo die meisten Arzneimittel produziert werden. Hier muss ein neues Denken greifen. Es kann nicht sein, dass wegen günstigerer Arbeitskosten unsere Bevölkerung nicht mehr richtig versorgt werden kann. Da liegt auch eine Verantwortung der Industrie. Aber dieses Problem löst man nicht mit nationalen Parolen, die man immer wieder hört.

Wir dürfen uns weder guten noch schlechten Nachrichten so hingeben wie in der Vergangenheit. Wir müssen den Vorsorgegedanken stärker in den Mittelpunkt politischer Diskussionen und Aktionen rücken. Dafür brauchen wir Haltung und Weitsicht. Das ist eine der Lehren, die wir aus der Krise ziehen sollten.

Rolf Clement