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Nach den Affären um die Bundeswehr in Kasernen in Pfullendorf und Illkirchen 2017 hat die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Untersuchung angeordnet, die das Führungsverhalten in den Streitkräften untersuchen sollte. Daraus wurde ein Programm „Innere Führung heute“ entwickelt, das nun umgesetzt werden soll. Dabei geht die Bundeswehrführung neue Wege.

Einige Tage vor dem Auslaufen auf eine längere Seefahrt bemerkt der Smutje eines deutschen Marineschiffs, dass in seiner Küche ein Pürierstab fehlt. Er kratzt sich am Kopf, sodass die Kochmütze ein wenig verrückt. Es wäre ja schon blöd, wenn er ohne Pürierstab in See stechen müsste. Aber den jetzt auf dem Dienstweg noch bestellen? Er käme frühestens an, wenn sein Schiff auf hoher See ist – frühestens.

Für diese Fälle hat die Bundeswehr nun Vorsorge getroffen. Bereits im vergangenen Jahr wurde den Einheitsführern ein sogenanntes Handgeld für Kommandeure in Höhe von 25.000 Euro bereitgestellt. 440 Anträge für Beschaffungen aus diesem Etat sind 2019 noch eingegangen. Aber es gab und gibt eine Unsicherheit in der Truppe, was denn aus diesen Mitteln beschafft werden kann. So wurde der Fall des Smutje im Live-Chat des Verteidigungsministeriums zum Programm „Innere Führung heute“ angesprochen. Die Antwort war klar: Der Pürierstab hätte handelsüblich mit diesem Handgeld beschafft werden können.

Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat nach der Diskussion um die Verstöße gegen die Innere Führung 2017 eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die unter der Federführung des Zentrums Innere Führung durchgeführt wurde. Es sollte darum gehen, Mängel in der Inneren Führung zu beschreiben und Vorschläge für deren Behebung zu erarbeiten. In 41 Workshops waren 770 Soldaten und zivile Mitarbeiter der Bundeswehr an dieser Erhebung beteiligt. Daraus entstand ein bisher unveröffentlichter Lagebericht von rund 80 Seiten, der sich wie ein Psychogramm der Bundeswehr liest.

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, griff diesen Bericht in seinem Jahresbericht auf und äußerte sein Unverständnis über die Geheimniskrämerei. Er zitierte spaltenweise aus dem Papier, was im Ministerium nicht ganz zu Unrecht kritisiert wurde. Aber auf diesem Bericht fußte ein Programm, das nun in der Truppe umgesetzt werden soll.

Erwartungen in der Truppe

An der Basis in der Bundeswehr kommt dieses Programm nur schleppend an. Von der Untersuchung haben viele erfahren, auch davon, dass da etwas geschehen soll. Aber, so der Eindruck, geliefert werde nicht oder noch nicht. Im Rahmen dieses Programms kam die Idee auf, jenes Handgeld für Kommandeure einzuführen, das seit dem vergangenen Jahr genutzt werden kann. Die erste Idee war: Das Geld steht zur freien Verfügung der Kommandeure. Ganz so einfach wurde es dann doch nicht. Da es im Jahr 2019 aus dem Beschaffungsetat der Bundeswehr kam – andere Töpfe standen so schnell für die neue Maßnahme nicht zur Verfügung –, verfestigte sich immer mehr der Eindruck, dass damit auch nur Beschaffungsgüter gekauft werden könnten. Da meinten dann einige für Beschaffungen Zuständige in der Bundeswehr, dass sie an diesem Süppchen mitkochen sollten. Es klemmte an einigen Stellen. Nun, im Haushaltsjahr 2020 darf auch „Geschäftsbedarf“ daraus finanziert werden, damit „fast alles“, wie ein Insider sagte. Es soll vor allem unbürokratisch gehen.

Zulagen entwirren

Ein weiteres großes Thema ist die Entflechtung des Zulagenwirrwarrs und die Vereinfachung entsprechender Antragsverfahren. Das wurde zum 1. Januar 2020 in Kraft gesetzt. An vielen weiteren Stellschrauben wird noch gedreht, die entsprechenden Arbeitsgruppen tagen nahezu ständig. Zahlreiche weitere Baustellen markiert das Programm „Innere Führung heute“.

Letztlich ist in diesem Zusammenhang auch die mittlerweile umgesetzte Idee entstanden, Bundeswehrsoldaten in Uniform kostenlos in der Bahn fahren zu lassen. Dieser Schritt kann nur als Erfolg bewertet werden. Soldaten erreichen ihre Heimat- und Zielorte sehr viel kostengünstiger. Zudem wird die Bundeswehr in der Öffentlichkeit wieder besser wahrgenommen. Zwar gibt es einige Pöbeleien, das darf nicht verschwiegen werden, manch ein Soldat erfährt aber auch deutlichen Zuspruch von anderen Reisenden.

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Live-Chat als Informationsmedium

Was aber kommt sonst in der Truppe an? Bis jetzt hält sich das noch in Grenzen. Das liegt auch daran, dass manch eine Maßnahme erst formal auf den Weg gebracht werden muss. So sind die Vereinfachungen im Zulagenbereich erst zum 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Bis das spürbar wird, vergeht einige Zeit. Aber die Bundeswehrführung will den Finger am Puls der Armee behalten. Deswegen werden immer wieder Live-Chats geschaltet. Eine Stunde lang sitzen Experten zu meistens zwei vorgegebenen Themen in einem mit Computern bestückten Raum und beantworten Fragen aus der Truppe.

Beim zweiten Live-Chat im Februar standen das Handgeld für Kommandeure und die Zulagen auf dem Programm. Eine Woche vor dem Live-chat werden die Themen bekanntgegeben und die Leitungen für den sogenannten Vor-Chat freigeschaltet. Da können dann schon Fragen gestellt werden. Für diese Themen haben rund 50 Bundeswehrangehörige diese Möglichkeit genutzt, die meisten aber kurz vor Beginn der Live-Phase.

Dann wurde der Startschuss gegeben. 338 User beteiligten sich an diesem Morgen und stellten insgesamt 92 Fragen. Das war deutlich mehr als beim ersten Live-Chat. Die Fragen konzentrierten sich im Wesentlichen auf den Zulagenbereich. Oberst Stephan Weber, der sich zwei Kameraden aus seinem Referat mitgebraucht hatte, schrieb sich die Finger wund. Der Informationsbedarf war groß, und manches konnte erklärt werden. Einer fragte beispielsweise, warum Zulagen wie die Spießzulage nicht auf die Pension angerechnet werden können. Die Antwort war sicher nicht befriedigend, aber sie klärt den Sachverhalt: Das scheitert am Parlament. Der Bundestag hat ein ähnliches Ansinnen der Polizei abgelehnt. Und das gilt dann auch für die Bundeswehr.

Der Pürierstab der Marine beschäftigte Brigadegeneral Stefan Lüth und seine Gruppe. Viele Unsicherheiten mit diesem Programm konnten an diesem Morgen adressiert und ausgeräumt werden. Vieles wurde aber an diesem Morgen für die Teilnehmer an diesem Chat immer klarer.

Brigadegeneral Tilo Mädler, der diesen Chat leitete, bot ausdrücklich an, dass er und sein Team auch in die Truppe kommen, um dort zu erklären, was sich auf dem Gebiet der Inneren Führung ändern und verbessern soll.

Das Interesse an der Bundeswehrbasis ist vorhanden und groß, das wurde an diesem Tag deutlich. Und so ist es nicht verwunderlich, dass auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bei der Bundeswehrtagung einige Tage vorher ankündigte, dass dieses Programm fortgesetzt werden soll.

So nutzt die Bundeswehr die ihr zur Verfügung stehenden Medien für den direkten Kontakt zwischen der Truppe und der Führung im Ministerium. Es ist nicht genau erkennbar, aus welchen Bereichen die Teilnehmer kamen. Manche meldeten sich nur mit Namen, weniger mit ihren Dienstgraden. Die Fragen sind in aller Regel sehr sachlich gestellt. Die Antwortgeber bemühen sich, diese sehr klar und verständlich zu beantworten. Bei Weitem nicht alle Fragen konnten „live“ beantwortet werden. So gingen die Experten mit einem Katalog in ihre Büros zurück und beantworteten sie dort – dann allerdings dem Fragesteller direkt. General Mädler weiß, dass dieses Instrument wirksam ist: Eine dritte Runde wird schon geplant.

Autor: Rolf Clement