Auf dem Sack Reis steht Strategiepapier

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Die Bundesregierung veröffentlichte heute das „Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“, das sich einerseits durch seine Kürze und andererseits durch seine seichten Inhalte auszeichnet. Auf neun Seiten wird der Bogen von der sicherheitspolitischen Bedeutung über die Schlüsseltechnologien bis hin zur Exportkontrolle gespannt. Folgender Satz des Papiers beschreibt die aus diesem zu gewinnende Erkenntnisshöhe dabei überaus treffend: „Die Perspektiven und Akzeptanz der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie hängen maßgeblich von der gesellschaftspolitischen Diskussion über die Bedeutung dieser Branche für die nationale und europäische Innen-, Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie für die gesamtgesellschaftliche Resilienz gegenüber hybriden Bedrohungen ab.“

Die lang erwartete Definition deutscher Schlüsseltechnologien muss mit einer Grafik auskommen. Die Erläuterung und Konkretisierung der hier aufgelisteten Technologien findet nicht statt. Als nationale Schlüsseltechnologien werden genannt: „Elektronische Kampfführung, Geschützte/Gepanzerte Fahrzeuge, Künstliche Intelligenz, Marineschiffbau (Über-/Unterwasserplattformen), Schutz, Sensorik, Sicherheitsrelevante IT- und Kommunikationstechnologie, Vernetzte Operationsführung/Krypto.“ Wie die Begriffe „Schutz“ und „Sensorik“ zeigen, kann von einer ausgereiften Definition kaum die Rede sein.

„Zum Erhalt bzw. zur Stärkung der sicherheits- und verteidigungsindustriellen Schlüsseltechnologien wird die Bundesregierung diese vor allem bei den unten genannten Maßnahmen in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Innovation (V.1.), Produktion (V.2.), Beschaffung (V.3.), Exportunterstützung und -kontrolle (V.4.) sowie Investitionskontrolle (V.5.) besonders fördern und schützen“, so das Strategiepapier.

Die lang erwartete Definition deutscher Schlüsseltechnologien muss mit einer Grafik auskommen. Die Erläuterung und Konkretisierung der hier aufgelisteten Technologien findet nicht statt. (Graphik: Bundesregierung)

Dass diese nationalen Schlüsseltechnologien doch nicht wirklich national sein müssen, erwähnt das Papier wenige Absätze weiter: „Die Bundesregierung wird daher durch verschiedene Maßnahmen auf eine verstärkte industrielle Konsolidierung innerhalb Europas hinwirken und erforderliche Prozesse im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen, um so ökonomische Synergien zu fördern und Kohärenz zu stärken. Europäische Kooperation und die stärkere europaweite Verschränkung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie können dabei wichtige Schritte sein.“ Dies kommt auch bei der Förderung der Forschung zum Tragen: „Die Bundesregierung wird zugleich ihre Anstrengungen zur Förderung innovativer sicherheits- und verteidigungsrelevanter Technologien auf nationaler und europäischer Ebene erhöhen.“

So wirklich militärisch sollte die Forschung zudem auch nicht sein. Das Strategiepapier nennt explizit das Rahmenprogramm „Forschung für die zivile Sicherheit 2018 –2023“, mit dem sich die Bundesregierung der aktuellen und zukünftigen Verantwortung stelle, die Sicherheit und Ordnung in einer vernetzten Welt zu verbessern. „Es werden dazu – ausschließlich auf Basis ziviler Szenarien – innovative Lösungen erforscht und praxisnah umgesetzt, die die Sicherheit und Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger erhöhen und den Schutz lebenswichtiger Infrastrukturen gewährleisten“, betont das Strategiepapier, das eigentlich dem Namen nach die Sicherheits- UND Verteidigungsindustrie stärken soll.

Ein Lichtblick des Papiers sind allerdings die Ausführungen zur Vergabe öffentlicher Aufträge. „Die vom europäischen und nationalen Gesetzgeber eingeräumten Spielräume in der Anwendung der Ausnahmevorschrift des Artikels 346 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sollen genutzt werden, um die wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen, insbesondere den Erhalt nationaler Souveränität, zu wahren. Um dies im deutschen Vergaberecht zu konkretisieren, hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf eingebracht, der ‚sicherheits- und verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien‘ als möglichen Fall der Betroffenheit wesentlicher Sicherheitsinteressen nach Artikel 346 AEUV im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausdrücklich benennt“, so das Papier. „Als weitere Maßnahme zur Beschleunigung von Vergabeverfahren im Bereich Verteidigung und Sicherheit enthält der Entwurf eine Änderung von § 12 Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV). § 12 VSVgV gestattet in bestimmten Fällen ausnahmsweise die Vergabe von Aufträgen im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb. Durch die Ergänzung von Regelbeispielen soll die praktische Handhabung von § 12 VSVgV vereinfacht werden. Darüber hinaus wird die Bundesregierung im Rahmen der praktischen Beschaffung die rechtlichen Möglichkeiten, die das Vergaberecht bereits bietet, künftig verstärkt ausnutzen.“

Ein neues Mehrzweckkampfschiff würde also nicht mehr zwingend europäisch ausgeschrieben werden, da der Marineschiffbau eine nationale Schlüsseltechnologie darstellt. Dasselbe gilt für ein neues Battle Management System (Vernetzte Operationsführung), Kampfpanzer (Gepanzerte Fahrzeuge) oder das mittlere geschützte Sanitätsfahrzeug (Geschützte Fahrzeuge), die alle rein national zu vergeben wären. Zumindest, wenn die Aussagen des Strategiepapiers belastbar sein sollen.

Ebenfalls neu ist die beschriebene Unterstützung des Exports. „Die Bundesregierung wird daher Exportaktivitäten in Deutschland ansässiger Unternehmen, insbesondere in EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder, nach sorgfältiger Einzelfallprüfung über außenwirtschaftliche und sonstige Instrumente unterstützen“, formuliert das Strategiepapier. In anderen Ländern ist es durchaus üblich, dass auch militärische Angehörige in Uniform die Präsentation von Waffensystemen vor möglichen Kunden übernehmen. Deutsche Rüstungskonzerne waren bisher oftmals schon froh, wenn sie bei ihren Exportbemühungen nicht von der Regierung behindert wurden, etwa durch die Verweigerung einer Ausfuhrgenehmigung für Exponate auf Messen.

Dementsprechend bleibt abzuwarten, ob und wie die wenigen konkreteren Punkte – die tatsächlich eine Förderung der Unternehmen aus dem Bereich nationale Schlüsseltechnologien darstellen – umgesetzt werden. Oder ob sie vielleicht doch noch von der eingangs erwähnten gesellschaftlichen Diskussion abhängen.

Dorothee Frank