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Der Verwaltungsrat von Naviris, dem von der italienischen Fincantieri und der französischen Naval Group gegründeten Joint Venture, trat am Montag, 13. Januar 2020 zum ersten Mal zusammen. Als Teil des „Poseidon“-Projekts, das 2017 auf dem französisch-italienischen Gipfel in Lyon ins Leben gerufen wurde, um die beiden Gruppen zusammenzubringen, zeichneten sie am 14. Juni 2019 das grundlegende Kooperationsabkommen zu dem Joint Venture (ESuT berichtete). Nun erklärten die beiden Unternehmenschefs, Giuseppe Bono (Fincantieri) und Hervé Guillou (Naval Group), Naviris aufgestellt und funktionsbereit. Naviris ist zu je 50 Prozent im Besitz der beiden Unternehmen, der Verwaltungsrat wird ausgewogen besetzt. Giuseppe Bono übernimmt die Rolle des Präsidenten des Unternehmens, während Claude Centofanti (Naval Group) als Chief Executive Officer, links im Bild und Enrico Bonetti (Fincantieri) als Chief Operational Officer die Leitung übernehmen. Hervé Guillou sitzt im Verwaltungsrat des Joint Ventures. Als Hauptsitz von Naviris wurde Genua, Italien, gewählt. Ein Engineering-Zentrum als hundertprozentige Tochtergesellschaft hat ihren Sitz in Ollioules, im südfranzösischen Departement Var.

Nach den Zielen, die im Juni letzten Jahres bei der Unterzeichnung des Kooperationsabkommens angekündigt wurden, muss das französisch-italienische Unternehmen bis Ende 2022 einen Auftragseingang von 1,5 bis 1,7 Milliarden Euro erwirtschaften. „Die Idee ist, in den nächsten vier oder fünf Jahren ein bis zwei Einheiten zusätzlich zu bauen, verglichen mit dem, was was wir hätten, wenn wir allein geblieben wären“, sagte Hervé Guillou. Ein Risiko, dass das Joint Venture den Umsatz der Muttergesellschaften erheblich beeinträchtigen, wird zumindest auf französischer Seite nicht gesehen. Denn die avisierten Abschlüsse bei Naviris in den nächsten vier Jahren sind den 15 Milliarden Euro-Verträgen gegenüberzustellen, die Naval Group im selben Zeitraum auf eigene Rechnung eingehen will. Und nicht von ungefähr versuchen Naval Group und Fincantieri durch Navaris die Bedürfnisse anderer europäischer Länder aufzugreifen. Auf französischer Seite wird insbesondere der Ersatz der sechs Überwachungsfregatten vom Typ Floreal in Erwägung gezogen. Und könnte für Navaris eine Rolle spielen. Diese Nachfolge ist – nach jetzigem Stand –  jedoch nicht vor 2030 geplant. Was den Export anbelangt, so befinden sich die beiden Unternehmen aktuell oftmals noch im Wettbewerb gegeneinander. Noch dazu ist die Situation zwischen Naval Group und Thales angespannt. Letztere ist an Naval Group beteiligt (35% des Kapitals) und befürchtet negative Auswirkungen durch eine eventuelle Begünstigung des italienischen Konkurrenten Leonardo im Bereich Elektronik, insbesondere Radar. Dies trotz sich kreuzender Joint Ventures.

Nukleus europäischer Werftenkonsolidierung?

Naviris sei das natürliche Ergebnis der historischen Partnerschaft zwischen, wie sie sich sehen, zwei Weltmarktführern in Sachen maritimer Verteidigung. Den gemeinsamen Anteilen ihrer Darstellung zufolge haben Fincantieri und Naval Group nach mehr als zwanzigjähriger Zusammenarbeit viele gemeinsame Erfolge zu verzeichnen, beispielsweise das Fregattenprogramm Horizon Air Defense in den 1990er-Jahren (vier Schiffe) oder das Fregattenprogramm FREMM (zwangzig Schiffe), die 2005 begann. Naval Group erweitert in seiner Veröffentlichung den Rahmen um europäische Projekte „wie die Entwicklung einer leichten europäischen Korvette (European Patrol Corvette)“.

Für Fincantieri und Naval Group öffnet Naviris „den Weg zur Konsolidierung der europäischen Marineverteidigung als Reaktion auf den wachsenden Druck von Wettbewerbern auf der ganzen Welt „, heißt es in den jeweiligen Erklärungen der Unternehmen. Darin erklären Guiseppe Bono und Hervé Guillou gemeinsam: „Wir sind dankbar für die bedingungslose Unterstützung unserer Regierungen in der Aufstellung eines neuen europäischen Führers für den strategischen Sektor der Seeverteidigung. (…) Naviris ebnet den Weg zum Aufbau einer echten europäischen maritimen Verteidigung“.

Tatsache ist, der Markt im militärischen Schiffbau ist stark fragmentiert. Kooperationen und Partnerschaften werden als Lösung zur Marktsicherung und -beherrschung gesehen. Hinzu kommt als ein Kernproblem die begrenzte geografische Präsenz der Unternehmen. Sowohl Fincantieri als auch Naval Group haben dem bereits mit Filialen in den USA bzw. Australien Rechnung getragen. Insofern ist der über „Poseidon“ eingeschlagene Weg sicherlich richtungsweisend. Insbesondere im europäischen Kontext. Ein Versuch, über die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit der EU im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik (PESCO – Permanent Structured Cooperation) auch maritime Rüstungsprogramme zu fördern, ist auf dem Weg – eine Patrouilleneinheit in Korvettengröße (die oben bemühte European Patrol Corvette).

Hans Uwe Mergener