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Hybride Kriege umfassen das gesamte Spektrum an Gewaltmitteln zur Durchsetzung strategischer Absichten. So gesehen greifen neueste Dokumente für die Modernisierung der Schweizer Armee und des österreichischen Bundesheeres teilweise zu kurz.

Der Begriff „hybride Kriegführung“ hat gegenwärtig Konjunktur, in Fachzeitschriften und Massenmedien; und bereits hat er auch Eingang in neueste offizielle Konzeptpapiere der Schweizer Armee und des österreichischen Bundesheeres gefunden. Damit stecken die beiden Länder den Rahmen für ihre jeweiligen – finanziell stark zu Buche schlagenden – Ausbauvorhaben in den nächsten zehn Jahren ab. Dabei wird allerdings der Eindruck vermittelt, als handle es sich schon um eine klar definierte Kriegsform. Dies ist insofern erstaunlich, als Strategieexperten in Ost und West dazu nach wie vor unterschiedliche Auffassungen vertreten und von einer allgemein anerkannten Definition noch nicht gesprochen werden kann.

Unterhalb der Kriegsschwelle?

In Basisdokumenten der US-amerikanischen Streitkräfte wird das Wort „hybrid“ denn auch kaum je oder nur sehr sparsam verwendet. Im Konzept „The U.S. Army in Multi-Domain Operations, 2028” erscheint es nur gerade in einer Anmerkung. Man ist sich in den Vereinigten Staaten offenbar bewusst, dass eine enge Begriffsdefinition den gedanklichen Spielraum allzu sehr einengt, wie ebenfalls in der Einleitung zum über 1.000 Seiten starken Band „The Russian Military in Contemporary Perspective“ erwähnt wird, den das Strategic Studies Institute des U.S. Army War College vor wenigen Wochen veröffentlicht hat.

Dass diese Gefahr tatsächlich besteht, zeigt der kürzlich veröffentlichte Grundlagenbericht einer Expertengruppe zur Zukunft der Bodentruppen der Schweizer Armee. Für deren Modernisierung in den Jahren 2023 bis 2032 sind Investitionen in der Höhe von immerhin rund sieben Milliarden Franken veranschlagt. Allein schon deshalb müsste dieses Dokument eigentlich eingehend diskutiert werden; eine öffentliche Debatte ist bis jetzt allerdings ausgeblieben ist, was wohl auch den nicht immer sehr eingängig formulierten 150 Seiten zuzuschreiben ist. Im Gegensatz dazu bieten beispielsweise die drei Thesenpapiere des Heeres der deutschen Bundeswehr eine leichtere Lektüre.

Konzept der möglichen Schnittstellen in hybriden Konflikten (Grafiken: Bundesheer/unser Heer 2030)

Im Schweizer Expertenbericht werden – auf einen einfachen Nenner gebracht – mögliche Optionen für die künftige konzeptionelle und materielle Ausrichtung der Bodentruppen untersucht. Die dem Bundesrat zur Entscheidung unterbreiteten drei Varianten sind das Resultat einer detailreichen Analyse der strategischen Lage und der gegenwärtig herrschenden Konflikte sowie der eigenen Mittel und Möglichkeiten. Auf praktisch derselben Linie bewegen sich die sicherheits- und verteidigungspolitischen Standortbestimmungen in den ausgezeichnet bebilderten österreichischen Papieren „Unser Heer 2030“ und „Trends und Konfliktbild 2030“.

Gestützt auf das Expertengutachten hat sich die Schweizer Regierung dazu entschlossen, die Bodentruppen schwergewichtig auf sogenannte hybride Bedrohungen auszurichten und den Hauptakzent nicht auf die konventionelle Kriegführung zu legen. Und im österreichischen Dokument „Unser Heer 2030“ liest man, dass bei einer hybriden Konfliktaustragung die verfügbaren machtpolitischen Instrumente „unterhalb der Schwelle des bewaffneten Konflikts zur strategischen Zielerreichung“ eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang wird überdies nicht ganz folgerichtig zwischen hybriden Bedrohungen und Cyber-Angriffen unterschieden.

Mögliche Konfliktverläufe

Militärische Einsätze, so gibt sich das schweizerische Bundesratskollegium im Weiteren überzeugt, sind in Agglomerationen, also „mitten in der Bevölkerung“, zu erwarten, wie dies im Übrigen der frühere britische General Sir Rupert Smith in seinem stark beachteten Buch „The Utility of Force“ schon vor vierzehn Jahren genauso geschrieben hat („war amongst the people“).

Dieser Richtungsentscheid bedeutet, dass in Zukunft für den Ersatz überalterter schwerer Waffensysteme zwar immer noch gepanzerte, aber leichtere Kampffahrzeuge beschafft werden sollen. Angestrebt wird überdies eine modulare Armeestruktur, welche die rasche Bildung mobiler situations- und auftragsgerecht zugeschnittener Einsatzkräfte erlaubt.

Facettenreiches Konfliktbild

Diese Begründungskette zeigt, dass die Schweizer Regierung aus der Lektüre der Expertenstudie offenbar den Eindruck gewonnen hat, dass hybride Konflikte hauptsächlich durch Operationen geringerer Intensität charakterisiert werden. Diese Auffassung schimmert auch in der österreichischen Bewertung moderner Konfliktbilder durch. Das stimmt so nicht. Der amerikanische Strategie- und Militärfachmann Frank Hoffman, der sich seit vielen Jahren in grundlegenden Studien und zahlreichen Fachartikeln mit dem Phänomen des hybriden Krieges auseinandersetzt, weist immer wieder darauf hin, dass je nach Lage und entsprechender strategischer Absicht unterschiedliche Mittel und Einsatzformen zum Tragen kommen – also die gesamte Palette militärischen Gewaltpotenzials.

Auf Grund von Hoffmans Beurteilung der militärischen Verhältnisse in Af-
ghanistan und im Irak nach 2001 sowie des Libanonkrieges zwischen den israelischen Streitkräften und der Hisbollah 2006 kennzeichnen Kampfformen, die konventionelle Waffen und Strukturen mit Guerillataktik, Terror und kriminellen Praktiken unter Nutzung modernster Informationstechnologie kombinieren, das hybride Kriegsbild; asymmetrische Kampfverfahren gehören zwangsläufig dazu.

In einem bereits 2005 publizierten Artikel mit dem Titel „The Rise of Hybrid Wars“ erinnern Frank Hoffman und der frühere General und ehemalige US-Verteidigungsminister James Mattis an Überlegungen des einstigen Kommandanten des US Marine Corps, General Charles Krulak, der unter dem Stichwort „Three Block War“ den Sinn für Kampfeinsätze unterschiedlicher Intensität geschärft hat, die gleichzeitig im gleichen Operationsraum stattfinden. Diese kurze Analyse wie auch die zwei Jahre später veröffentlichte umfangreiche Studie „Conflict in the 21st Century“ aus der Feder Hoffmans sollte den amerikanischen Streitkräften das Blickfeld für die im Nahen und Mittleren Osten herrschenden neuartigen Einsatzverfahren öffnen.

Mit solchen Analysen amerikanischer Fachleute befasste sich auch der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow in seinen seit 2013 veröffentlichten Überlegungen zu modernen Methoden der Kriegführung. Auch wenn in den Operationen auf der Krim und in der Ukraine Einsatztaktiken angewandt wurden, die ins Spektrum der hybriden Kriegführung gehören, kann nicht von einer Gerassimow-Doktrin gesprochen werden. General Gerassimow setzt sich vorab mit den Erscheinungsbildern des modernen Krieges auseinander und kommt dabei zum Schluss, dass nichtmilitärische Massnahmen wie beispielsweise wirtschaftlicher Zwang eine höhere Bedeutung erlangt haben.

Gepanzerte Kräfte nach wie vor bedeutsam

Hybride Bedrohungs- und Kriegsformen sind zu facettenreich, als dass einfache Rezepte für deren Bekämpfung genügen könnten. Und so sollte nicht übersehen werden, dass Russland, wie im Übrigen die USA auch, gerade dem forcierten Aufbau konventioneller Kräfte ein besonderes Augenmerk schenkt.

Ausdruck dieser Entwicklung sind beispielsweise die feuerstarken, kombinierten Taktischen Bataillonskampfgruppen, die zwar an die Operativen Manövergruppen des Kalten Krieges erinnern, die aber nicht mehr für rasche Durchbrüche im Rahmen staffelweise vorgetragener Großangriffe vorgesehen sind. Sie dienen, wie die Auswertung von Gefechten in der Ukraine durch amerikanische Panzeroffiziere zeigt, vielmehr der raschen Bereinigung schwieriger Lagen in benachbarten Regionen Russlands. Und im amerikanischen Heer geniessen Schutz- und Feuerwirkung von Panzern und Schützenpanzern eine hohe Bedeutung. Zudem erlangen Korps- und Divisionsstrukturen, die in Stabilisierungsoperationen in den Hintergrund geraten sind, wieder an Bedeutung.

Natürlich sind auf absehbare Zeit keine Szenarien zu skizzieren, in denen die Schweiz mit schwer gepanzerten Formationen operieren müsste. Das wird in auch in den österreichischen Broschüren deutlich festgehalten. Wenn ausgewiesene Kenner der Materie wie der frühere Sicherheitsberater Präsident Donald Trumps, Herbert R. McMaster, der Panzertruppen auf Kompanie- und Regimentsstufe in beiden Irak-Kriegen erfolgreich geführt hat, die Bedeutung von Kampfpanzern in überbautem Gebiet bekräftigen, scheinen sich die Vorbehalte der Schweizer Experten vorab an den begrenzten finanziellen Möglichkeiten zu orientieren. Jedenfalls ist es wenig sinnvoll und überdies zu schematisch, den hybriden Krieg mit Gewichtsklassen von Panzerfahrzeugen kategorisieren zu wollen.

Das statische Gefüge der „strategischen Fälle“ der bis 1990 gültigen Konzeption der Gesamtverteidigung von 1973 hat solch schematisches Denken in sicherheitspolitischen und militärischen Angelegenheiten begünstigt. Dieses Konstrukt erweckte in breiten Kreisen den Eindruck, als verliefen Kriege in klar erkennbaren Eskalationsschritten. Das wird in den Schilderungen eines möglichen Kriegsverlaufs im Schweizer Dokument ganz besonders deutlich. So entsprechen Szenarien mit klar etappierten Eskalationsstufen nicht mehr den Konzepten moderner Kriegführung in einem breiten Spektrum von Gewaltmitteln und Gewaltmöglichkeiten. Es fehlen außerdem konkrete Hinweise, wie solche Szenarien bei realistischer Betrachtung überhaupt entstehen können. Die noch auf längere Sicht zur Verfügung stehenden ausländischen Streitkräftepotenziale erlauben keine in die Tiefe führenden, staffelweise vorgetragenen Angriffe bis an die Schweizer Grenze. Kriegerische Handlungen würden sich hauptsächlich in den Krisenregionen an der Peripherie Europas abspielen.

Kritische Infrastrukturen im Fokus

Falls Österreich und die Schweiz jemals in einen europäischen Krieg miteinbezogen werden sollten, wäre die Phase, in der hybride Einsatzformen, wie sie sich die Schweiz und Österreich vorstellen, schon längst abgeschlossen. So gesehen sind die allzu früh skizzierten Schilderungen und Bebilderungen eines möglichen Abwehrkampfes in einem vom Krieg überzogenen Europa – zumindest in der jetzigen Arbeitsphase – zwangsläufig wenig aussagekräftig.

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Kritische Infrastruktur, wie hier das Umspannwerk Laufenburg in der Schweiz, stehen im Fokus möglicher Aggressoren (Foto: mawibo-media)

Dass die kritischen Infrastrukturen der Schweiz jederzeit, das heisst: auch schon unter den jetzigen weltpolitischen Verhältnissen, ein Ziel möglicher Aggression darstellen, liegt auf der Hand. Dafür sind die nötigen Abwehrvorkehrungen allerdings noch schneller voranzutreiben, als dies bis jetzt der Fall gewesen ist. Angesichts der raschen Entwicklung von Robotern und autonomen Waffensystemen wäre es hingegen nötig gewesen, wenn sich die Schweizer Experten eingehender mit dieser Thematik befasst hätten – auch mit Blick auf die Zukunft der Rolle der Milizkader, die bezüglich Führungsaufgaben wohl auf eine harte Probe gestellt werden dürften. Schon unter den gegenwärtigen Bedingungen wird die Führung kleiner, flexibler, aber eng vernetzter Formationen besonders anforderungsreich sein, wie beispielsweise auch in neuesten Studien zum britischen „Strike Concept“  festgehalten wird.

An einer Schlüsselstelle in seinem gegenwärtig wieder viel gelesenen Buch über Frankreichs Niederlage 1940 (L’étrange défaite) hält der 1944 von der Gestapo ermordete Historiker Marc Bloch lapidar fest: „Unsere Chefs bzw. diejenigen, die in ihrem Namen handelten, waren unfähig, den Krieg zu denken.“ Diesem Vorwurf dürfen sich die politische und die militärische Führung der Schweiz und Österreichs nicht aussetzen.

Autor: Bruno Lezzi war von 1984 bis Juni 2009 bei der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) Redakteur für Sicherheits- und Verteidigungspolitik und bis Ende Juni 2019 Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Beim vorliegenden Text handelt es sich um eine überarbeitete Fassung eines Artikels, der in der NZZ erschienen ist.