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Zwischen den Zeilen konnte man aus der Darstellung der thyssenkrupp Marine Systems (tkMS) an einem am 4. November eigens eingerichteten Medientag zwei Botschaften mitnehmen.

Das Kieler Unternehmen ist gut aufgestellt. Dies als Kontrapunkt zu den in der letzten Zeit nicht immer positiven Meldungen über die Essener Konzernmutter. Damit dies so bleibt, dafür sorgt das Kieler Unternehmen sozusagen intrinsisch. Doch, was die internationalen Chancen betrifft, gerade beim Export wie auch bei der Positionierung im Zuge einer etwaigen europaweiten Werftenkonsolidierung, dafür liegt ein gutes Teil der Verantwortlichkeiten bei den Gestaltern in Berlin.

tkMS: „Wir bauen nicht nur Marineschiffe – wir entwickeln die Zukunft“

thyssenkrupp Marine Systems sieht sich gut unterwegs zum modernsten Marineunternehmen Europas. An Bord der „Sachsen-Anhalt“ bilanzierte CEO Dr. Rolf Wirtz in Gegenwart des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther vor etwa 40 Medienvertretern. Sowohl über als auch unter Wasser als auch im Bereich der maritimen Elektronik sei viel erreicht worden. Beispielsweise wurde in der ersten Jahreshälfte das größte je in der Bundesrepublik gebaute U-Boot für Singapur sowie das dritte von vier U-Booten für Ägypten getauft. Zudem hat bereits im April 2019 Brasilien tkMS für den Bau von vier Korvetten als bevorzugter Bieter ausgewählt. In Deutschland sind die Kieler am Bau des zweiten Loses der Korvetten K130 beteiligt. Und im Juni dieses Jahres wurde die „Baden-Württemberg“ von der deutschen Marine in Dienst gestellt, die erste von vier Fregatten der Klasse 125, bei deren Bau thyssenkrupp Marine Systems federführend ist.

Der zum Unternehmen gehörenden Atlas-Elektronik gelang die Entwicklung des ersten Anti-Torpedo-Torpedo ‚SeaSpider‘. Mit ORCCA stellte die aus dem Joint Venture zwischen tkMS und der norwegischen Kongsberg hervorgegangene kta naval Systems ein Gefechtsleitsystem für U-Boote vor. Hinzu kommt das Brennstoffzellensystem der vierten Generation als eigene Entwicklung, das nicht nur für U-Boot-betreibende Marinen, sondern auch für die andere, auch zivile Schifffahrtsbereiche interessant sei.
Auch im Service sieht sich thyssenkrupp Marine Systems stark aufgestellt. In Portugal konnte der Auftrag zur Modernisierung von Unter- und Überwasserschiffen akquiriert werden, in Indien die Modernisierung eines U-Bootes.

Damit diese positiven Nachrichten auch in Zukunft geschrieben werden können, beabsichtigt das Kieler Unternehmen große Investitionen. 250 Millionen Euro in die Infrastruktur. Unter anderem sollen eine neue Schiffbauhalle mit Kapazitäten zur Großsektionsfertigung, eine zweite Ausrüstungslinie im Dock für die Ausrüstung von U-Booten, ein neues Bühnensystem sowie eine modernisierte Servicehalle und ein Shiplift entstehen. Die Produktion will man effizienter und wirtschaftlicher gestalten – digitale Fertigung hält Einzug.

Auch, was das Personal betrifft, will thyssenkrupp Marine Systems aufstocken. Die nun 6000 Köpfe zählende Belegschaft soll um 500 erweitert werden. Für Entwicklung, Konstruktion und Produktion stehen nicht nur Ingenieure, sondern auch Facharbeiter auf der ‚Wanted-Liste‘ . Das Unternehmen investiert indes nicht nur in Zahlen, sondern auch in  die Mitarbeiteraus- und -weiterbildung.

Daneben hat sich der Schritt zum Systemhaus vollzogen. Schon durch die Integration der Atlas Elektronik, die nicht nur den Bereich der Unterwasserwaffen und -sensoren einbrachte, sondern mit der Hagenuk auch die Marinekommunikation abdeckt. Weiterhin wurden bei tkMS die Bereiche Über- und Unterwasser verschmolzen. Das betrifft zurzeit Engineering, auch Akquise. tkMS entwirft, konzeptioniert, entwickelt, konstruiert und fertigt und integriert  Führungs- und Waffeneinsatzsysteme. Man ist mehr als ‚nur eine Werft‘. Was dies betrifft, ein Alleinstellungsmerkmal im deutschen Marineschiffbau.

Berliner Flankenschutz (!nicht Begünstigung!) vonnöten

Letztendlich ist der Vorsprung zwar eine Eigenleistung, doch hängt er an zwei Variablen, die das Unternehmen nicht beeinflussen kann. Zum einen sind es die politischen Entscheidungen zu Exporten. Verlässlichkeit steht auf dem Spiel. Mangelt es daran, sind  Wettbewerbsnachteile quasi vorprogrammiert.

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Und auch der Weg, maßgebliche Beschaffungsvorhaben ins Ausland zu vergeben, führt letztendlich zu einer Schwächung der Positionen im internationalen Wettbewerb. Insofern, dass sich potenzielle Kunden die Frage stellen werden, wieso sie denn ein deutsches Produkt erwerben sollten, wenn deutsche Streitkräfte die Rüstungsgüter anderer nutzen.

Dabei schläft die Konkurrenz nicht, sie spielt im Gegenteil mit harten Bandagen. Und, angesichts einer sich dort mehr oder weniger deutlich manifestierenden regierungsseitigen Unterstützung oder gar Beteiligung, nicht immer auf Augenhöhe.

Demgegenüber wendet tkMS jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag für eigene Forschung und Entwicklung auf. Um eben Projekte wie ‚SeaSpider‘, Brennstoffzelle oder ORCCA irgendwann einmal ausrollen zu können. Ohne Exporte ließe sich dies nicht finanzieren. Aus dem Auftragsvolumen für die Bundeswehr, also für die eigene Marine schon gar nicht. Und Spin-offs aus militärischen Entwicklungen in zivile Anwendungen, Beispiel  Brennstoffzelle (etwa ihren breitangelegten Einsatz nicht nur in der Schifffahrt, sondern (ähnlich wie in Japan) auch im Kraftfahrzeug-Sektor), sind in Deutschland offensichtlich nicht realisierbar.

Grundsätzlich gilt dies im Übrigen für alle Betriebe des Marineschiffbaus, die Zulieferer einbezogen: die Auftragslage aus der Bundeswehr allein sichert nicht das Überleben.

Selbstbewusst in schwerem Fahrwasser

Insofern sind die angekündigten Vorhaben der tkMS ein mutiger Schritt. Die Verteidigung der marktführenden Position im U-Bootsbau ist keine Selbstverständlichkeit (Bundeszentrale für Politische Bildung, Datenbasis: SIPRI: Beim Verkauf von U-Booten ohne Atomantrieb ist sind deutsche Werften Exportweltmeister. Aus keinem Land wurden mehr dieser Boote in andere Staaten verkauft als aus Deutschland. Bisher wurden mehr als 120 U-Boote in 17 Länder auf vier Kontinenten geliefert. Fast jedes zweite Land, dessen Marine mit U-Booten ausgestattet ist, besitzt Boote aus deutscher Herstellung.). Hier wie in anderen Bereichen auch braucht es politische Flankierung. In Hinblick auf die Exportmöglichkeiten. Und in Hinblick auf den Wettbewerb in Europa, auf dem level playing field eine hehre Ambition ist, das Postulat gleicher Wettbewerbsbedingungen auf die unterschiedlichen  Auslegungsgrade der Beteiligten trifft.

Die Kriegsschiff-Tochter von thyssenkrupp bringt sich in Stellung. Als ein, wenn auch nicht alle Bereiche im Marineschiffbau komplett abdeckendes Systemhaus, blickt das drittgrößte Defence-Unternehmen Deutschlands mit gesundem Selbstbewusstsein in die Zukunft.

Hans Uwe Mergener