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Im Juli 2015 schien der Iran das 13-jährige Feilschen um sein Atomprogramm gewonnen zu haben. Stolz und erleichtert präsentierten besonders die europäischen Verhandlungsführer der 5+1-Gruppe (die vier ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und Deutschland) den Kompromiss mit Teheran als Erfolg und Garantie für den Frieden in der Region.

Die Welt hatte gemeinsam eine neue Atommacht verhindert und gleichzeitig Hoffnung auf wirtschaftliche Erholung in die gebeutelte Region gebracht. Großunternehmen wie Airbus, aber auch der Iran selber träumten von Milliardengewinnen und einem ökonomischen Aufschwung.

Heute, vier Jahre später, herrschen Ernüchterung auf der einen, Angst auf der anderen Seite. Der amerikanische Flugzeugträger USS „Abraham Lincoln“ verlegt in den Golf. US-Präsident Donald Trump avisierte die Verlegung weiterer Einheiten. Im Mai 2018 hatte der Mann aus dem Weißen Haus den Deal unilateral gekündigt – sehr zum Ärger seiner europäischen Partner, aber auch zur Enttäuschung Teherans. Ein wirtschaftlicher Boom nach versprochenen Sanktionserleichterungen hatte sich nicht eingestellt. Und genau auf diese Karte hatte der „gemäßigte“ Präsident Hassan Rohani zur Beruhigung seines 82 Millionen-Volkes gesetzt. Auch wenn Trumps verbale Angriffe gegen die schiitische Schutzmacht nur eine seiner außenpolitischen Baustellen darstellen, könnten sie schwerwiegende Auswirkungen auf diverse Konfliktfelder haben und somit global von großer Bedeutung werden. Neben der Remilitarisierung der Region auch mit Hinblick auf Israel, der Schwächung des Rohani-Regimes und der weiteren Profilierung Saudi-Arabiens als sunnitische Schutzmacht könnte es vor allem zur erneuten Verschlechterung der nordatlantischen Beziehungen kommen. Das geht einher mit einem ökonomischen und damit auch politischen Gewinn Chinas als Hauptölabnehmer des Iran.

Trotz des Wahlversprechens Trumps, die Projektion von Macht via globale Verlegung von Soldaten zu reduzieren, schickte er nun doch Einheiten in die mittelöstliche Schlangengrube. Auf den ersten Blick dreht der US-Präsident damit an der Eskalationsschraube. Detaillierter hinter die Kulissen geschaut bietet sich jedoch ein differenzierteres Bild.

Der Flugzeugträger USS „Abraham Lincoln“ war sowieso für die Region vorgesehen, lediglich später. Die kommende Patriot-Raketenabwehrbatterie ersetzt vier Einheiten, die erst vor Kurzem aus der Region zurückgekehrt waren. Auch die Verlegung von vier strategischen Bombern gleicht lediglich die im März vollzogene Rückführung der Flugzeuge aus Katar wieder aus. Die persönliche Verkündung der Maßnahme durch Sicherheitsberater John Bolton erzeugte zwar Dramatik, aber von einem entscheidenden militärischen Aufwuchs kann nicht wirklich die Rede sein.

Die USS „Abraham Lincoln“ und eine der 20. Expeditionsbombenstaffel zugeordnete B-52H Stratofortress der U.S. Air Force Anfang Juni im Golf von Oman (Foto: U.S. Navy)

In seiner Begründung wies Bolton auf die Wichtigkeit der Sicherheit der Straße von Hormus für den internationalen Öltransport hin. Erst Anfang Mai hatte es zwei bislang unaufgeklärte Angriffe auf saudische Tanker gegeben. Zusätzlich rief Washington das meiste diplomatische Personal aus dem Irak ab und versetzte seine Streitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft – eine Vorsichtsmaßnahme, so hieß es. Während Bolton und Außenminister Pompeo eine militärische Auseinandersetzung mit Teheran nicht fürchten, will Trump lediglich einen besseren Deal aushandeln. Dazu rührt er fleißig die Kriegstrommel, um das Mullah-Regime an den Verhandlungstisch zurück zu zwingen. Schon 2017 war diese Taktik erfolgreich. Damals drohte der 45. Präsident der USA Nordkorea mit „Feuer und Zorn“ und erreichte danach historische, bilaterale Gespräche. So twitterte Trump Ende Mai: „If Iran wants to fight, that will be the official end of Iran. Never threaten the United States again!” (Wenn der Iran kämpfen will, ist das das offizielle Ende des Iran. Bedrohe niemals wieder die USA!) Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden Hussein Salami betonte, keinen Krieg zu wollen, aber auch keine Angst davor zu haben.

Als stärksten und zuverlässigsten Partner kann sich Washington auf Israel verlassen. Premierminister Netanjahu wird nicht müde, seinen Willen zu bekräftigen, notfalls auch militärisch gegen die iranische Bombe vorzugehen. Trotz seines Sieges bei den Parlamentswahlen im April gelang es Netanjahu jedoch nicht, seine sechste Regierung zu bilden. Nach der Selbstauflösung der Knesset Ende Mai suchen die Israelis im September erneut den Weg an die Urnen. „Bibi“ Netanjahu kommt die Angst vor der „iranischen Bombe“ im Wahlkampf sicherlich zugute, um die konservativen Kräfte hinter seiner Likud-Partei zu einen. Eine Mäßigung der verbalen Attacken gegen die schiitische Schutzmacht ist also weder von ihm noch von seinem Verbündeten aus dem Weißen Haus zu erwarten.

Neben einer militärischen Eskalation droht die Aufkündigung oder Nichterfüllung des Atom-Deals aber auch Folgen auf das Mullah-Regime zu haben. Der 2013 gewählte Präsident Rohani stand lange der Verhandlungsdelegation seines Landes vor und gilt als Architekt des Abkommens. Die erhofften und vertraglich festgelegten Wirtschaftserleichterungen für sein Volk blieben aber aus. Bei hoher Arbeitslosigkeit, Inflation und fehlenden Zukunftsoptionen für die junge Bevölkerung hatte er aber genau darauf spekuliert. Wie unzufrieden seine Mitbürger sind und schnell wieder sein können, bewiesen die Proteste und Streiks 2018.

Das ölreiche Land bemüht sich bereits seit 1959 um eine atomare Energiegewinnung. Die islamische Revolution sowie der 1. Golfkrieg verzögerten die Entwicklungen. 2002 schlug dann die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) Alarm, das Mullah-Regime würde Teile seines Programmes den Kontrollen entziehen. Das Katz- und Maus-Spiel Teherans verhärtete den Verdacht der militärischen Nutzung und zog drei Jahre später die ersten Wirtschaftssanktionen nach sich. Im November 2013 ließ sich der gemäßigtere Präsident Hassan Rohani in Verhandlungen mit der sogenannte 5+1-Gruppe erstmals auf eine Beschränkung seines Atomprogramms ein. Der im Juli 2014 in Wien unterschriebene Joint Comprehensive Plan of Action sah danach vor, die Sanktionen aufzuheben, wenn der Iran nachweislich seinen Verpflichtungen nachkäme. Gemäß Überprüfung der IAEO gelang dies offiziell im Januar 2016. Technisch gesehen geht es um die Verhinderung der Anreicherung des Uran-Isotops U-235 mithilfe von Zentrifugen. Nur zu 90 Prozent angereichertes Uran ist waffenfähig. Das Abkommen fokussierte sich daher auf Reduzierung der Zahl der Zentrifugen und dem Verkauf der Uranvorräte bis maximal 300 Kilogramm. Die vertraglichen Bestimmungen hält der Iran nachweislich ein. Doch US-Präsident Trump kritisiert den Deal als Ganzes. Er befürchtet, nicht ganz zu Unrecht, dass jenes Abkommen den Bau einer iranischen Atombombe nicht verhindere, sondern nur aufschiebe. Darüber hinaus kritisiert Trump den mangelnden Zugang zu militärischen Anlagen – erst nach Anmeldung und mit Zeitverzögerung. Ein Dorn im Auge bleibt die Entwicklung von Mittelstreckenraketen. Nur diese könnten einen Einsatz von Atomwaffen möglich machen. Ihre Entwicklung ist kein Bestandteil der Vereinbarung.

Nachdem Washington im Mai 2018 den Vertrag einseitig kündigte, musste Rohani reagieren. Am 8. Mai 2019 gab er bekannt, sich nach Ablauf von 60 Tagen an die Selbstbeschränkungen wie zum Beispiel die Urananreicherung nicht mehr gebunden zu fühlen. Der Ball liegt seit diesem Ultimatum im Feld der Europäer.

Doch die Region mit seinem schwarzen Gold ist viel zu reich, als dass es nur um einen profanen militärischen Konflikt ginge. Neben den Milliarden, die auch heute noch im Golf verdient werden können, positionieren sich auch die sunnitischen Gegenspieler des Iran. Allen voran der Erzfeind Saudi-Arabien. Die Gunst der Stunde nutzend lud König Salman kurzfristig zu einem Gipfeltreffen in Mekka für Ende Mai ein. Dort sollte das wohl brennendste Problem einer Region in Flammen – das militärisch-zivile Atomprogramm des Iran – diskutiert werden. Als Hüter über die heiligen Stätten in Mekka und Medina beansprucht das saudische Königshaus die Führungsrolle in der islamischen und vor allem sunnitischen Welt. Im Konflikt mit dem iranischen Erzfeind hagelte es in den letzten Monaten jedoch nur Rückschläge. In Syrien jagt Assad von Sieg zu Sieg und im Jemen kann sich die saudisch geführte Koalition nicht gegen die Huthi-Rebellen durchsetzen. Jetzt, da die USA unter Präsident Donald Trump zu einer konfrontativen Isolationspolitik gegenüber dem Iran zurückzukehren scheinen, hofft Riad auf die große Chance, das sunnitisch-arabische Lager hinter sich zu vereinen. Ideal wählte König Salman also Zeitpunkt (Ende des Ramadans) und Ort für diesen außenpolitischen Befreiungsschlag.

Der Notfallgipfel der Arabischen Liga und des Golfkooperationsrates in Mekka kombiniert mit der ebenfalls vorgesehenen Zusammenkunft der Organisation für Islamische Kooperation – immerhin 57 Mitgliedstaaten – sprühte vor Symbolik. Das saudische Außenministerium sprach daher auch von den „Gipfeln der Einheit und des Zusammenhalts“. So fand König Salman in seiner Eröffnungsrede klare Worte. Er rief zur Einigkeit gegenüber Irans „nackter Aggression“ auf. Gleichzeitig warnte auch er vor dem Atom- und Raketenprogramm des Golfnachbarn. Das Ergebnis des Notfallgipfels fiel hingegen bescheiden aus. Zwar versicherten die übrigen Mitglieder des Golfkooperationsrates in der Abschlusserklärung ihre Solidarität mit Saudi-Arabien, aber echte Zusagen gab es nicht.

Auch der unter kuwaitischer Vermittlung erreichte kurze Handschlag zwischen Katars Premierminister und dem saudischen König täuscht über die innerarabischen Spannungen hinweg. Das kleine Emirat leidet zwar noch unter den von Riad verhängten Wirtschaftssanktionen, könnte aber von einem Konflikt zwischen Riad und Teheran als potenzieller Vermittler profitieren. Weitere Risse in der sunnitischen Phalanx zeichnen sich ab. So weigerte sich der Irak (schiitische Bevölkerungsmehrheit), der enge Beziehungen zu seinem persischen Nachbarn pflegt, das iran-kritische Abschlusskommuniqué der Arabischen Liga gutzuheißen.

Scheich Muhammad bin Zayed Al Nahyan, Kronprinz von Abu Dhabi, und König Salman ibn Abd al-Aziz von Saudi-Arabien nahmen im Vorfeld des Notfallgipfels eine Bestandsaufnahme der neuesten regionalen und globalen Probleme vor (rechts der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman).(Foto: VAE)

Die großen Verlierer des sich verschärfenden Atomkonflikts könnten die europäischen Vertragspartner Deutschland, Frankreich und Großbritannien werden. Obwohl sie gemeinsam mit Russland und China das Abkommen retten wollen, sind ihre Mittel begrenzt. Eine einseitige Umgehung des Boykotts ist schwierig und gefährlich. Die meisten ihrer Unternehmen fürchten amerikanische Sanktionen bei wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran. Auch die Initiative des französischen Präsidenten Macron Anfang Februar ist nur halbherzig. Deutschland, Großbritannien und Frankreich gründeten mit Instex SAS eine Spezialgesellschaft.

Die Firma mit Sitz in Paris soll europäischen Firmen Geschäfte mit dem Iran ermöglichen. Sie fungiert als eine Art Vermittlungsstelle, in der Forderungen von europäischen und iranischen Unternehmen miteinander verrechnet werden. Instex (Instrument for Supporting Trade Exchange) umgeht somit die amerikanischen Wirtschaftssanktionen. So gehen die Europäer auf direkten Konfrontationskurs mit Washington, was im Zuge des drohenden Zollkrieges nur noch Öl ins Feuer gießt. Ob der Zeitpunkt für diesen Anfall von Selbstvertrauen und Unabhängigkeitsstreben geschickt gewählt war, bleibt abzuwarten.

Der Machtpoker um eine mögliche nukleare Bewaffnung in der Golfregion geht also in die zweite Runde. Dabei scheinen Europäer, Saudi-Arabien, aber auch der Iran selbst auf den ersten Blick aus einer geschwächten Position zu operieren. Doch könnten die Langzeitwirkungen wie Machtzuwachs Chinas, Befeuerung des innerislamischen Konflikts und die Vertiefung der Spaltung der westlichen Welt auch negative, strategische Auswirkungen auf die USA haben. Besonders die Entzweiung der nordatlantischen Wertegemeinschaft könnte mittelfristig enorme Konsequenzen auf unser aller Leben haben. Selbst wenn sich Washington im Atom-Poker mit Teheran durchsetzte, könnte man also höchstens von einem Pyrrhus-Sieg sprechen.

Heino Matzken M.Sc. Ph.D. beschäftigt sich mit dem Nahen Osten. Er ist Autor des Buchs „Ewiger Krieg im Nahen Osten – Konsequenz verkorkster Staatengründung“.