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Kanzlerin Angela Merkel gelang der Aufschlag: Das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel bringe heute möglicherweise keine Einigung über den nächsten Präsidenten der Europäischen Kommission, sagte sie einigermaßen unverblümt in die Mikrofone der Journalisten im Europagebäude, Szene für Eröffnungs-Statements der einmarschierenden Staats- und Regierungschefs.

Sie stehe nach wie vor hinter dem Prinzip des Spitzenkandidaten. Ihre Amtskollegen forderte sie auf, einen für das EU-Parlament akzeptablen Personalvorschlag einzubringen. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte ließ sich zwar für die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ein. Um im nächsten Satz zu konstatieren, dass die Niederlande noch keine Position beziehen könnten, da es noch keinen Konsens gäbe. Was an sich wenig glaubwürdig klingt – oder eine taktische Charade sein mag: Franz Timmermanns, einer der Kandidaten für den Dienstposten des Kommissionspräsidenten, ist sein Landsmann.

Auch aus dem Gipfeltreffen Donald Tusk – Emmanuel Macron – Angela Merkel, das kurz vor dem offiziellen Beginn stieg auch kein weißer Rauch auf. Vor den Journalisten lenkte der französische Staatspräsident die Aufmerksamkeit auf die inhaltlichen Fragen des Gipfels, namentlich die strategische Agenda. Es gehe darum, die Kompetenzen zu finden zum Lösen der Aufgaben, vor denen Europa steht. Er rückte Klima, Migration und Industriepolitik in den Fokus. Die Meinungsverschiedenheit mit der deutschen Kanzlerin will er nicht überbewerten. In einer Freundschaft sei das doch normal – man höre sich gegenseitig zu und versuche eine Lösung zu finden.

Somit zeichnet sich ab, dass sich die Staats- und Regierungschefs heute und morgen nicht über Namen einigen werden <können>, sondern, ginge es nach Emmanuel Macron sich über den Prozess verständigen, wie man angesichts der anstehenden Aufgabenschwerpunkte den Projekten Personen zuordnen könne. Er machte klar, dass in der Nominierungsfrage es für ihn darum geht, wer in der Lage sei, die Vorhaben umzusetzen. Und hebt sich auch anders ab, denn er sieht vier Schlüsselpositionen: die Kommission, den hohen Repräsentanten für Außenpolitik, den Parlaments- und den Rats-Präsidenten. Aktuell bewertet Paris den Chef der Europäischen Zentralbank nicht als politischen Posten – was vor Jahren noch anders war.

EU Parlamentspräsident Antonio Tajani betonte in der Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag die Autonomie des Parlaments. Es werde am 2. Juli seinen Präsidenten wählen – „in complete autonomy“. Alles andere widerspräche dem Ergebnis der Wahlen, dem Willen der Bürger und dem EU-Vertrag.

Die deutsche Kanzlerin belebte alte Qualitäten. Den vor Gipfeleröffnung wartenden Journalisten gab sie mit, dass sie eine klimaneutrale EU bis 2050 ausdrücklich unterstütze. Auch, wenn das Erreichen der Klimaziele bis 2030 zusätzliche Anstrengungen nötig mache. In diesem Punkt herrscht bisher noch kein Einvernehmen, die Beschlusslage steht am Ende des Donnerstagnachmittags aus.

Anders im Fall der Beziehungen zu Russland. Die als Reaktion auf die rechtswidrige Annexion der Krim und Sewastopols durch Russland verhängten restriktiven Maßnahmen hat der Rat bis zum 23. Juni 2020 verlängert. Eine entsprechende Verlautbarung wurde kurz nach Gipfeleröffnung vom Generalsekretariat verbreitet.

Die Maßnahmen gelten für in der EU ansässige Personen und Unternehmen. Sie beschränken sich auf das Gebiet der Krim und Sewastopols. Die Sanktionen umfassen Verbote für

  • die Einfuhr von Waren mit Ursprung auf der Krim oder in Sewastopol in die Union;
  • Investitionen auf der Krim oder in Sewastopol, was bedeutet, dass keine Europäer oder Unternehmen mit Sitz in der EU Immobilien oder Einrichtungen auf der Krim erwerben, Unternehmen mit Sitz auf der Krim finanzieren oder damit in Zusammenhang stehende Dienstleistungen erbringen dürfen;
  • Tourismusdienstleistungen auf der Krim oder in Sewastopol, wobei insbesondere europäische Kreuzfahrtschiffe keine Häfen auf der Halbinsel Krim anlaufen dürfen, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall;
  • die Ausfuhr bestimmter Güter und Technologien in den Bereichen Verkehr, Telekommunikation und Energie oder im Zusammenhang mit der Prospektion, Exploration und Förderung von Öl‑, Gas- und Mineralressourcen, wenn diese für Unternehmen mit Sitz auf der Krim oder zur Nutzung auf der Krim bestimmt sind. Technische Hilfe sowie Vermittlungs‑, Bau- oder Ingenieurdienstleistungen, die mit der Infrastruktur in den genannten Bereichen in Zusammenhang stehen, sind ebenfalls untersagt.

Soweit zum Abend immerhin ein Ergebnis. In den anderen Tagesordnungspunkten wird man sich gedulden müssen. Was die Spitzenbesetzungen betrifft, erst einmal keine Namen. Beste Voraussetzungen für weitere schwierige Gespräche in den kommenden Wochen.

Und man darf gespannt sein auf Wahl des Parlamentspräsidenten – und die sich auf dem Weg dahin bildenden Konstellationen.

Hans Uwe Mergener