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Nach zweieinhalb Jahrzehnten schleichender Vernachlässigung ist ein deutlich gestiegenes Interesse an der Bundeswehr festzustellen. Aufgrund veränderter sicherheitspolitischer Rahmenbedingungen geht es um nichts weniger als um einsatzbereite Streitkräfte.

Im Weißbuch 2016 und im Koalitionsvertrag bekennen sich die Regierungsparteien zu einer Bundeswehr, die in der Lage ist, sich kontinuierlich an eine volatile internationale Lage anzupassen und über das komplette sicherheits- und verteidigungspolitische Spektrum wirken zu können. Hierzu soll sie über herausragende personelle und hochtechnologische materielle Fähigkeiten und Befähigungen in allen wesentlichen militärischen Bereichen (Führung, Aufklärung, Wirkung, Unterstützung) sowie flexible, moderne und effiziente Strukturen verfügen. Angesichts jahrzehntelang schrumpfender und im Hinblick auf ihre Struktur, ihren Umfang und ihre Aufgaben unterfinanzierter sowie mit „freundlichem Desinteresse“ (Altbundespräsident Horst Köhler) bedachter Streitkräfte, stellt dies ein sehr ambitioniertes Vorhaben dar. Für dessen Verwirklichung bedarf es erheblicher personeller, materieller und finanzieller Anstrengungen. Der Weg, die Bundeswehr wieder zu einem funktionierenden Mittel im außen- und sicherheitspolitischen Instrumentenkasten Deutschlands werden zu lassen, ist durch die einschlägigen Dokumente (Weißbuch, Konzeption der Bundeswehr, Fähigkeitsprofil) grundsätzlich vorgezeichnet. Jedoch fehlt weiterhin eine umfassende außen- und sicherheitspolitische Strategie, einschließlich einer tieferen Klärung der Frage, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck Deutschland bereit ist, Streitkräfte und militärische Gewalt als ein Mittel der Außenpolitik einzusetzen. Absolut zentrale und unabdingbare Voraussetzung für die Wiedererlangung einer umfänglichen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und das Erreichen der Ziele des Fähigkeitsprofils ist die erfolgreiche Umsetzung der seit 2015 eingeleiteten „Trendwenden Rüstung, Personal und Finanzen“. Die Einschätzungen über deren Stand und Erfolg bzw. Misserfolg könnten jedoch nicht unterschiedlicher ausfallen. Eine Nichterfüllung der den Trendwenden zugrunde liegenden Reformschritte und Grundannahmen würde die in Angriff genommene Reform der Bundeswehr fundamental gefährden. Der vorliegende Beitrag will daher mit einer kritischen Analyse der Trendwenden und der diesen zugrunde liegenden Zahlen und Daten zu einem realistischen Lagebild beitragen.

Der Verteidigungshaushalt von 1955 bis 2021 zeigt, dass seit der Wiedervereinigung der Anteil am Bundeshaushalt nur noch rund zehn Prozent beträgt.
(Grafik: BMVg)

Trendwende Rüstung

Nicht wenige Beobachter hielten den Bereich Rüstung, Ausrüstung und Beschaffung schon länger für eines der größten Probleme der Bundeswehr. Regelmäßig kam neue Ausrüstung – wenn überhaupt – in geringerer Stückzahl, zeitlich gestreckt, mit erheblicher Verspätung, zu gestiegenen Kosten und mit geringeren Fähigkeiten als erwartet. Altes Gerät muss bis heute, weit über seine geplante Einsatzdauer hinaus, verfügbar gehalten werden und die Lücken füllen. In der Folge wurde und wird seine Instandhaltung immer aufwendiger, müssen Ersatzteile mühsam und teuer beschafft oder hergestellt werden. Nutzungsdauerverlängerungen kosten die Truppe bei stetig abnehmender Leistung und zunehmendem Wartungs- und Instandsetzungsumfang oft ähnlich viel wie erprobte Neubeschaffungen „von der Stange“. Aus nicht immer nachvollziehbaren Gründen werden Ausschreibungen, selbst für simpelste Ausrüstungsgegenstände, mit Pedanterie bis zur Unerfüllbarkeit verkompliziert und dauern viel zu lang. Die Ergebnisse sind häufig überteuerte Goldrandlösungen, die sich im Truppenalltag nicht immer als tauglich erweisen.

Beispiele für Goldrandlösungen sind der NH90, die A400M und der Schützenpanzer Puma. Dieser Zustand ist über Jahrzehnte gewachsen. Er wurde durch Schrumpfen, Sparen und schwere politische Fehlentscheidungen, wie zum Beispiel der überstürzten Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht und der Zustimmung zu immensen Einsparungen in der Guttenberg-Ära, vor dem Amtsantritt von der Ursula von der Leyen herbeigeführt. Sie übernahm die Bundeswehr in diesem Zustand, als sich die sicherheitspolitische Lage massiv veränderte. So musste die Bundeswehr einen partiellen Offenbarungseid leisten. So räumte der damalige Heeresinspekteur, Generalleutnant Bruno Kasdorf, im Jahr 2015 ein, dass die Bundeswehr nicht mehr als ein oder zwei moderne Gefechtsverbände bereitstellen könne und von einer Ausstattung, die die Anforderungen einer dauerhaften Bündnisverteidigung erfüllen könne, weit entfernt sei. Der übereinstimmende Tenor vieler Experten und Politiker 2014/15 war: Die Fähigkeiten und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr stünden in einem signifikanten Missverhältnis zum internationalen sicherheitspolitischen Umfeld und den Erwartungen an Deutschland.

Die regelmäßigen Rüstungs und Materialberichte der Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder sorgten ab 2014 für eine bis dahin-unbekannte Transparenz und Offenheit (Fotos: Bundeswehr)

Richtigerweise setzten daher auch zuerst und genau hier die Reformbemühungen der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und der von ihr 2014 berufenen Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder an. Deren regelmäßige Rüstungs- und Materialberichte sorgten für eine bis dahin unbekannte Transparenz und Offenheit und legten zugleich schonungslos das gesamte Ausmaß der Probleme der Bundeswehr offen. Daran anschließend versuchte Suder ein neues Rüstungsmanagement auf- und das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung (BAAINBw) umzubauen bzw. diesem – wo nötig – externe Hilfe und Beratung zur Seite zu stellen. Erklärtes Ziel war es, zukünftige Pleiten zu verhindern, für mehr Effizienz zu sorgen und kompetenter, flexibler und stärker an den Bedürfnissen der Truppe ausgerichtet zu planen und zu beschaffen. Dass Veränderungen und Verbesserungen auf diesem Feld nicht von heute auf morgen eintreten würden, war zu erwarten. In einer Mischung aus Realitätssinn und Erfahrung formulierte die Bundesregierung im 2016er Weißbuch: Insbesondere im Rüstungswesen seien die Herausforderungen komplex und erforderten Geduld und Beharrlichkeit. Viele große Rüstungsprojekte liefen bereits seit vielen Jahren in festen Strukturen und seien, wenn überhaupt, nur über Zeit zu verändern. Dass der Widerstand gegen Veränderungen – auch bei der wehrtechnischen Industrie, die ihren Anteil an der Misere trägt – jedoch so stark sein würde und sich der Großtanker Bundeswehr nur so schwerfällig umsteuern ließ, scheint Suder dann wohl doch überrascht zu haben. Nach nicht einmal vier Jahren schied die anfänglich von allen Seiten gelobte Rüstungsstaatssekretärin im April 2018 auf eigenen Wunsch, den sie sehr früh geäußert hatte, wieder aus. Die von ihr angestoßenen Veränderungen werden mittlerweile entweder als richtig, aber zu kurz und nicht radikal genug beschrieben oder kritisch hinterfragt und diskutiert. Manche Beobachter sehen hinter der „Berateraffäre“ – neben politischen Kräften – vor allem Gegner des Reformkurses, auch aus dem Bereich der Rüstungsbürokratie.

Tatsächlich scheint sich trotz großen persönlichen Engagements Suders und zahlreicher eingeleiteter Maßnahmen nur wenig an der Dysfunktionalität des Beschaffungswesens geändert zu haben. In seinem jüngsten Bericht beschreibt der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels die Prozesse im BAAINBw als weiterhin überbürokratisch, unnötig komplex und verregelt. Selbst an sich einfache Dinge würden hier verkompliziert, die Mangelbewirtschaftung setze sich vielfach fort. Zugleich gäbe es im Verteidigungsministerium eine Kultur, die jede Form zurechenbarer Verantwortung durch ein Labyrinth verzweigter Zuständigkeiten verhindere. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch ein kürzlich einberufener Expertenrat, dessen Empfehlungen zur Reform des Beschaffungswesens in scheinbar komplettem Gegensatz zu den Interessen der Koblenzer Behörde zu stehen scheinen. Das fortgesetzt überfordert und mit sich selbst beschäftigt wirkende Bundesamt leidet zudem unter einer chronischen Unterbesetzung wichtiger Dienstposten. Für die Erreichung der Fähigkeitsziele wäre aber neben gesicherten Finanzen und einer abliefernden wehrtechnischen Industrie vor allem ein funktionierendes Beschaffungswesen und Rüstungsmanagement seitens des Verteidigungsministeriums unabdingbare Voraussetzung. Mit der Bundeswehr und dem Haushalt befasste Politiker von Oppositions- wie Regierungsseite äußerten hier jedoch wiederholt, dass konkrete Beschlüsse, trotz bekannter Ausgangslage und klarer Äußerungen aus den Teilstreitkräften und Organisationsbereichen, durch das Ministerium oftmals viel zu spät oder nicht beschlussfähig eingereicht würden. So sei sowohl für die NATO-Speerspitze (VJTF) 2023 als auch für zahlreiche weitere Schlüsselprojekte des Fähigkeitsprofils bereits absehbar, dass diese angesichts der Verzögerungen oder des Fehlens von Beschlüssen nicht mehr zeitgerecht umgesetzt werden könnten.

Dass nun die bisher öffentlichen Berichte zur Materiallage des Großgeräts der Bundeswehr – Stichwort Transparenzkultur – plötzlich detaillierter ausfallen und als geheim eingestuft werden, mutet unter diesen Umständen wie ein ungeschicktes Kaschieren unangenehmer Wahrheiten an. Dabei, so unter anderem der Wehrbeauftragte, wisse doch jeder, dass in drei oder vier Jahren nicht aufgeholt werden könne, was jahrzehntelang vernachlässigt worden sei. Die nun angeblich transparenteren und aktuelleren Berichte sind nur noch in der Geheimschutzstelle des Bundestages einsehbar, über ihren Inhalt darf anschließend nicht gesprochen werden. Was das mit Transparenz zu tun hat, erschließt sich leider genauso wenig, wie die Frage, warum es nicht möglich ist, einen öffentlichen und einen nichtöffentlichen Bericht zur Materiallage zu verfassen. Und auch das Argument, die Bundeswehr wäre gegenüber dem eigenen Parlament transparent, nicht aber gegenüber ihren Gegnern, verfängt angesichts der deutlich detaillierteren Veröffentlichungen anderer verbündeter Streitkräfte zu ihren Waffensystemen und Rüstungsprojekten, unter anderem der Vereinigten Staaten, nicht. Aussagen von Ministerin und Generalinspekteur, dass die eingeleiteten Trendwenden zu greifen beginnen und die positiven Auswirkungen sich perspektivisch absehbar auf den verlässlicheren und umfangreicheren Zulauf einsatzbereiten Materials auswirken werden, verlieren deutlich an Überzeugungskraft, wenn die Fakten nunmehr geheim und nicht nachprüfbar sind. Ohne Offenheit und den Nachweis, dass die Steuermilliarden effizient verwendet werden, dürfte es – bei einer gerade aufgrund der geübten Transparenz bisher erstaunlich empathischen Öffentlichkeit und einem streitkräfte-freundlichen Bundestag – deutlicher schwerer werden, die zweifellos erforderlichen Investitionen politisch durchzusetzen.

Ausschreibungen selbst für simpelste Ausrüstungsgegenstände werden mit-Pedanterie bis zur Unerfüllbarkeit verkompliziert und dauern viel zu lang. Beispiele für die sogenannten Goldrandlösungen sind der NH90 (Foto), die A400M und der Schützenpanzer Puma.

Positiv lässt sich festhalten, dass es durchaus einige Projekte gibt, die zügig entschieden, umgesetzt und beschafft wurden und dabei Kosten und Zeitplan eingehalten wurden. Dies betrifft die von Umfang und Stückzahl überschaubaren und weitgehend „von der Stange“ beschafften Projekte Transportflugzeug C-130J, Spezialkräftehubschrauber H145M (LUH SOF) und die Tankflugzeuge Airbus A330 MRTT. Jenseits dessen hat es jedoch bei den anderen, zum überwiegenden Teil bereits seit Jahren laufenden großen Rüstungsprojekten de facto keinerlei Verbesserungen gegeben. Zum Teil haben sich diese, wie der Kampfhubschrauber Tiger, der Transporthubschrauber NH90, das Transportflugzeug A400M, der Schützenpanzer Puma, das Mehrzweckkampfflugzeug Eurofighter oder die Fregatte F125 sogar weiter verzögert oder verteuert. Besonders auffällig und ärgerlich sind die oftmals geringe Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft des neuen Materials. Die Einsatzbereitschaft des Großgeräts sei, so der Wehrbeauftragte, überwiegend unbefriedigend und ließe sich auch mit einer erhöhten Übungstätigkeit nicht zufriedenstellend erklären. In der Folge musste auch der neue Heeresinspekteur, Generalleutnant Jörg Vollmer, einräumen, für die Erfüllung der Verpflichtung als Rahmennation für die NATO-Speerspitze (VJTF) 2019 in Stärke einer modernen Kampfbrigade würde „das gesamte Heer“ herangezogen werden müssen. Veränderungen und Verbesserungen mögen dank der „Agenda Rüstung“ auf dem Weg sein, dieser scheint aber deutlich beschwerlicher und langwieriger zu sein als vom Ministerium behauptet und in der Planung abgebildet.

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SOF).

Trendwende Personal

Die Personallage der Bundeswehr hat sich seit Beginn der 1990er Jahre radikal verändert – von über 500.000 Männern und Frauen nach der Übernahme der Nationalen Volksarmee der DDR auf gegenwärtig knapp unter 182.000 aktive Soldatinnen und Soldaten. Dabei stimmt es, dass die Bundeswehr auch personell zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahrzehnten wieder leicht wächst. Die Zahl der Zeit- und Berufssoldatinnen und Soldaten hat sich seit 2016 um ca. 6.500 erhöht. Angesichts einer brummenden Konjunktur und eines massiven demografischen Wandels, einer ausgesetzten Wehrpflicht und eines massiven Mangels an Fachkräften ist die Bundeswehr bei der Nachwuchsgewinnung starker Konkurrenz privater und öffentlicher Arbeitgeber ausgesetzt. Die Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zur Erschließung bisher ungenutzter Potenziale auf dem Arbeitsmarkt sind richtig. Flexiblere Laufbahnen und bessere Besoldung, hervorragende, manchmal streitbare, aber insgesamt recht erfolgreiche Social-Media-Kampagnen, die Bemühungen um die Wiedergewinnung ausgeschiedener Soldaten sowie ein verstärkter Rückgriff auf die Ressource Reservist helfen ebenfalls, die Personallücken aufzufüllen und die Anzahl potenziell verfügbarer Bewerber für die Bundeswehr zu erhöhen. Dem Engagement der Verantwortlichen ist uneingeschränkt Respekt zu zollen, denn ohne die vielen Maßnahmen sähe die Personallage unter den genannten Bedingungen deutlich düsterer aus. Dennoch sollte sich die Bundeswehr nicht selbst täuschen. Der zuletzt geringfügig erhöhte Personalbestand war zum einen im Mai schon wieder leicht rückläufig und ist zum anderen vorwiegend auf Personalbindungsmaßnahmen bereits vorhandener Soldatinnen und Soldaten oder späteres Ausscheiden derselben zurückzuführen. Deutlich über 20.000 Dienstposten sind im Schnitt unbesetzt und die Zahl der Bewerber und Diensteintritte geht weiterhin zurück. Dabei werden die Anforderungen insbesondere im Bereich körperlicher Fitness und gesundheitlicher Verfassung bereits seit Jahren abgesenkt. Grundsätzlich hat die Bundeswehr zwar noch die Wahl, wen sie nimmt, und sie gewinnt nominell ausreichend Kandidaten, deren Eignung und Qualifikation sinkt aber merklich. In der Folge herrscht eklatanter Mangel bei Dienstposten in Verwendungen, die mit hohen körperlichen Anforderungen, speziellen Fachtätigkeiten oder dem Erfordernis bestimmter Fachkenntnisse verknüpft sind. Auch die Frauenquote liegt mit 8,3 Prozent deutlich unter dem avisierten Ziel von 15 Prozent. Zwar bewerben sich prozentual deutlich mehr Frauen, aber diese häufig nur für bestimmte attraktive Tätigkeiten, z.B. als Pilotin. Für andere Tätigkeiten besteht in der Regel wenig Interesse. Der Inspekteur der Luftwaffe stellte zudem kürzlich fest, dass das Interesse am soldatischen Dienst in Uniform deutlich weniger ausgeprägt zu sein scheine als jenes am zivilen Dienst in der Bundeswehr. Auf eine ausgeschriebene zivile Stelle, so Ingo Gerhartz, bewürben sich 20 Interessenten, auf eine militärische Stelle nur einer. Die Bundeswehr ist ein attraktiver Arbeitgeber und die eingeschlagenen Wege und eingeleiteten Maßnahmen, u.a. Bindung des wertvollen Personalbestands, sind richtig und wichtig. Gleichzeitig existieren eine Vielzahl an Rahmenbedingungen, wie die weiterhin schwierige demografische Entwicklung, der Arbeitsmarkt, die Konkurrenz durch andere öffentliche Arbeitgeber, starre Laufbahnverordnungen und das körperliche und geistige Qualifikationsniveau sowie Interesse der Bewerber, welche die Bundeswehr kaum oder gar nicht beeinflussen kann. Ob es ihr unter diesen Vorzeichen gelingen wird, die Personalziele qualitativ und quantitativ zu erreichen, bleibt zumindest fraglich.

Trendwende Finanzen

Die deutlich positivsten Entwicklungen gab es aus Sicht des Verteidigungsministeriums bei den Finanzen zu vermelden. Kein anderer Haushaltsposten ist seit 2014 so angewachsen, wie der zweitgrößte Einzeletat des Bundeshaushalts. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen konnte zudem im Sommer 2018 gegenüber der NATO die in Regierungskreisen abgestimmte Erklärung abgeben, dass Deutschland bis 2024 anstrebe, 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Dieses Ziel wurde öffentlich mehrfach, auch von der Bundeskanzlerin, wiederholt und der NATO im Februar 2019 verbindlich gemeldet. Zudem, so die Ministerin weiter, stehe Deutschland zu dem Ziel, langfristig zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Nach der im März durch Finanzminister Olaf Scholz bekanntgegebenen Finanzplanung der Bundesregierung steht all dieses aber mehr als nur infrage. So soll der Etat für 2019 zwar auf 43,2 Milliarden und 2020 auf 45,1 Milliarden Euro steigen, danach jedoch wieder auf 44,3 Milliarden (2021/22) bzw. 44,2 Milliarden (2023) sinken. Damit bestätigt sich zunächst der Trend steigender Verteidigungsausgaben, jedoch ist auffällig, dass diese schon ab 2021 zu sinken bzw. zu stagnieren beginnen. Zudem ist mit dieser Finanzplanung – unabhängig von der realen Mittelzuweisung – bereits offensichtlich, dass sich die Bundesregierung auch vom ihrem 1,5-Prozent-Ziel verabschiedet hat. Denn dafür wären 2024 ca. 60 Milliarden Euro nötig, ein Sprung von mehr als 15 Milliarden Euro im Vergleich zur Planung für 2023. Dies ist weder politisch noch organisatorisch noch rüstungstechnisch umsetzbar und kann damit bereits heute als unrealistisch gelten. „Die fetten Jahre sind vorbei“, so Olaf Scholz bei der Vorstellung der mittelfristigen Finanzplanung. Alle Ministerien müssten sich darauf einstellen. Natürlich sei dies vorsichtig gerechnet, aber alles andere sei pures Wunschdenken und Optimismus. Auf Nachfrage zur Verbindlichkeit der verschiedenen Zusagen Deutschlands in der NATO und bei den Planungen der Bundeswehr bemerkte Scholz, dass alle diese Zusagen natürlich unter dem Vorbehalt der Schuldenbremse stünden, das hätte die Bundesregierung auch den Verbündeten stets so kommuniziert. Diese Zahlen sind, selbst wenn es noch geringfügige Korrekturen nach oben geben sollte, für die Bundeswehr äußerst problematisch. Der Erfolg der Trendwenden und das Wiederauffüllen der „hohlen Strukturen“ stehen und fallen mit dem Anteil der rüstungsinvestiven Ausgaben am Einzelplan 14. Die Ausgaben für Grundbetrieb, Betreiberverträge, sonstige Investitionen und Versorgung sind kaum zu beeinflussen. Eine Reduzierung würde angesichts jahrzehntelanger Unterfinanzierung sofort wieder zu einer verminderten Einsatzbereitschaft führen. Bei geplantem Personalzuwachs, Inflation und höheren Tarifabschlüssen ist im Gegenteil eine weitere Kostensteigerung zu erwarten, die bei sinkendem oder stagnierendem Etat zu einem massiven Absinken der rüstungsinvestiven Ausgaben führen dürfte. Gemäß NATO-Vereinbarungen, vor allem aber um erneut „hohle Strukturen“ zu vermeiden und die Ziele des Fähigkeitsprofils erfüllen zu können, muss der Anteil der Rüstungsinvestitionen mindestens 20 Prozent des Gesamtetats betragen. Der Militärökonom und Generalleutnant a.D. Prof. Dr. Jürgen Schnell hat errechnet, dass die Bundeswehr 2019 diese Zielmarke einmalig mit 19 Prozent knapp streifen wird. Danach sänke der Wert in jedem Jahr massiv ab und fiele schon ab 2022 wieder deutlich unter zehn Prozent. Die Bundeswehr wäre in der Folge schon ab 2020 massiv unterfinanziert. Der Fehlbetrag betrüge je nach Berechnung unterschiedlicher Experten bis 2023 zwischen 18 und 26 Milliarden Euro. Wichtige nationale und europäische Rüstungsprojekte, wie z.B. die Anschaffung eines neuen schweren Transporthubschraubers, das gemeinsame U-Boot-Projekt mit Norwegen, das Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) sowie die bilateralen Projekte mit Frankreich wären damit akut gefährdet. Gerade diese Fähigkeiten und nicht allein den abstrakten Anteil am Bruttoinlandsprodukt haben aber die Verantwortlichen, allen voran die Kanzlerin und ihre Verteidigungsministerin, gegenüber der NATO zu Recht so stark und zum Referenzpunkt der Verlässlichkeit Deutschlands gegenüber seinen Partnern erklärt. Angesichts dieser Problematik könnte das Ministerium versucht sein, Priorisierungen vorzunehmen und Stückzahlen zu reduzieren bzw. Projekte zu strecken oder zu streichen. Das allerdings wäre der Rückfall in ein System der Mangelwirtschaft und der Nothilfen. Überdies bergen derartige Lösungen Probleme, die aus der Erfahrung zurückliegender Reformen nur allzu bekannt sind. Die geplanten Systemverbünde funktionieren aber nur als Ganzes und sind nur komplett einsatzbereit. In der Folge könnte nach 2015 und 2019 der nächste Inspekteur des Heeres gezwungen sein, bekanntzugeben, dass für das Aufstellen der NATO-Speerspitze (VJTF) 2023 noch immer das gesamte deutsche Heer benötigt werde. Bliebe es bei der gegenwärtigen Finanzplanung – nicht zu reden von stärkeren Einschnitten bei einbrechenden Steuereinnahmen – wäre eine Erreichung der Fähigkeitsziele 2023/27/31 ebenso wenig realisierbar, wie eine Erfüllung der Fähigkeiten- und Einsatzverpflichtungen Deutschlands gegenüber seinen internationalen Partnern.

Deutlich über 20.000 Dienstposten sind im Schnitt unbesetzt und die-Zahl der Bewerber und Diensteintritte geht weiterhin zurück.. Auch die Frauenquote liegt mit 83 Prozent deutlich unter dem avisiert Ziel von 15 Prozent.

Fazit

Seit 2014/15 wurden bei der Bundeswehr zahlreiche Maßnahmen eingeleitet, um die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte nach zweieinhalb Jahrzehnten des Sparens und Schrumpfens wieder deutlich zu verbessern. Zu diesem Ziel haben sich die politisch Verantwortlichen deutlich und wiederholt bekannt. Besonders die sogenannten Trendwenden sind hierfür von zentraler Bedeutung. Über die konkrete Ausgestaltung der Wiederherstellung dieser Einsatzbereitschaft und den dafür notwendigen Finanzumfang bestehen allerdings dennoch erheblich abweichende Vorstellungen. Diese resultieren neben politischen Gründen auch aus der Tatsache, dass es der Bundeswehr fünf Jahre nach Beginn der Reform noch immer nicht zufriedenstellend gelingt, das zur Verfügung stehende Geld effizient einzusetzen, Verschwendung zu vermeiden und eine signifikante Verbesserung in der Materiallage und bei den großen Rüstungsprojekten herbeizuführen. Angesichts der Ausgangs- und Rahmenlage, schwerwiegender Fehlentscheidungen der Amtsvorgänger von der Leyens, sowie der Tatsache, dass eine Umsteuerung im laufenden Betrieb und bei den bereits seit vielen Jahren laufenden Großprojekten nur schwer zu leisten ist, war klar, dass es eines langen Atems und großer Geduld bedarf, hier die Dinge zum Besseren zu wenden. Einfach nur mehr Geld in die Bundeswehr zu stecken, wird – angesichts der grundsätzlichen Ineffizienz und der Schwierigkeiten im gesamten Rüstungs- und Beschaffungsbereich – die Probleme der Streitkräfte nicht lösen.

Aber ohne mehr Geld in die Hand zu nehmen, wird es auch nicht gehen. Eine verlässliche, längerfristig planbare und planvolle, positive, aber auch realistische Entwicklung des Wehretats ist notwendig, die mit einer stabilen oder steigenden Rüstungsinvestitionsquote von 20 Prozent oder darüber einhergeht. Zeitgleich müssen Kontrolle und Reformdruck, unter anderem durch den Bundestag und den Bundesrechnungshof, aufrechterhalten und auf eine Rückkehr zur Transparenzkultur gedrungen werden. Der Bundestag sollte auch nicht davor zurückschrecken, sich weiter mit dem Herkulesprogramm einer modernen und effizienten Rüstungsorganisation sowie den haushaltsrechtlichen Möglichkeiten einer Verbesserung der langfristigen finanziellen Planungssicherheit für die Streitkräfte zu befassen. Ein verantwortungsvoller Umgang mit den erheblichen Steuermilliarden ist die eine Seite der Medaille, eine einsatzbereite und gemäß ihrem politischen Auftrag und den eingegangenen Verpflichtungen ausgestattete Bundeswehr, die sich auf politische Zusagen verlassen kann, die andere. Erfolge und Misserfolge sowie die Möglichkeiten der Trendwenden sollten realistisch und nicht nach dem Wünschenswerten beurteilt werden. Die Struktur der Bundeswehr stellt die wesentliche variable Einflussgröße dar. Wenn Personalgewinnung, Finanzausstattung und Beschaffungswesen nicht mittel- und langfristig in der Lage sind, die augenblickliche Struktur der Bundeswehr einsatz- und kampfbereit zu machen, darf das Nachdenken über eine Anpassung der Struktur und damit des Fähigkeitsprofils, abgestimmt mit den Partnern, kein Tabu sein. Vom Umfang reduzierte Streitkräfte entsprächen vielleicht nicht dem Gewicht und der (selbst formulierten) Verantwortung Deutschlands. Würden diese aber kampf- und einsatzfähig sein und ihre Verpflichtungen national, international und integriert erfüllen, wäre dies ein wertvollerer Beitrag, als größere, teure, aber nur bedingt einsatzbereite Streitkräfte. Es muss unter allen Umständen vermieden werden, dass die Bundeswehr eine Dauerbaustelle bleibt, deren Reformen wieder und wieder scheitern, weil Finanzrahmen, Modernisierung und Fähigkeitsplanung sowie Struktur und Auftrag nicht zusammenpassen. Leidtragende wären in erster Linie die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Ihnen wären ein Gelingen dieser Reformen und das baldige Wiedererlangen der Einsatzbereitschaft zu wünschen. Es wäre übrigens auch das beste Attraktivitätsprogramm, wenn die Soldatinnen und Soldaten in funktionierenden Streitkräften einfach ihren Job machen könnten.

Autor: Dan Krause ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg.