Israels Masterplan
Werner Sonne
Seit Monaten vorbereitet, nun ausgeführt: Israel attackiert gezielt iranische Nuklearanlagen. Der ehemalige ARD-Korrespondent Werner Sonne analysiert exklusiv für ES&T, wie systematisch Jerusalem vorgegangen ist, welche Signale Richtung Golfstaaten gesendet wurden – und warum dieser Schlag das strategische Machtgefüge im Nahen Osten verändert.
Die Pläne für den israelischen Angriff waren seit langer Zeit fertig. Der Geheimdienst Mossad hatte viele Monate damit verbracht, ihn im Detail vorzubereiten und schon unbemerkt im Iran Waffen und Material deponiert, um möglichst effektiv zuschlagen zu können. Alle Experten, und endlich auch die IAEA, die internationale Atomkontrollbehörde, hatten seit langem darauf hingewiesen, dass der Iran seit Atomprogramm so weit vorangetrieben hatte, dass es nur noch Tage brauchen würde, um Uran auf 90 Prozent anzureichern und damit waffenfähig zu machen.
Schon im Libanon hatten sowohl der Mossad wie auch der militärische Geheimdienst sozusagen als Generalprobe gezeigt, was eine solche lange Vorbereitung bewirken kann. Zuerst mit explodierenden Pagern und Walkie Talkies und dann mit einem präzisen Luftangriff in Beirut hatten sie die Führungselite der Hezbollah ausgeschaltet und so dafür gesorgt, dass die gefährliche Bedrohung für Israel aus dem Norden beendet wurde.
Dann wurden nach dem Sturz des Assad-Regimes die Waffenlager in Syrien zerstört und dem neuen Regime gleich jede Chance genommen, gegen Israel militärisch vorzugehen.
Und schließlich sandte Israel vor wenigen Tagen ein weiteres Signal in Richtung Teheran, als bei einem Angriff auf den Hafen Hodeida Im Jemen erstmals neben Flugzeugen auch Marineschiffe eingesetzt wurden, um große Zerstörungen zu erzielen. Die Achse des Widerstandes, wie man das In Teheran genannt hatte, war zerbrochen.
All das geschah, während die Weltöffentlichkeit gebannt und zunehmend kritisch auf die Eskalation des Kampfes gegen die Hamas im Gazastreifen schaute, wo mit unverhältnismäßigen Mitteln versucht wurde, die vom Iran unterstützte Terrormiliz zu eliminieren – was freilich bis heute nicht völlig gelungen ist.
Im Rückblick kann man dennoch durchaus eine Systematik erkennen, die nun ihren Höhepunkt erreicht hat: Israel, seit seiner Gründung bedroht, will offensichtlich ein für allemal seine Feinde nicht nur in die Schranken weisen, sondern zerstören. Ein Masterplan, der vor allem für den Iran, der Führungsmacht der schiitischen Muslims, gilt, die seit Jahrzehnten öffentlich bekundet, den Staat der Juden von der Landkarte verschwinden zu lassen.
Mit wichtigen, sunnitisch geprägten arabischen Nachbarn ist es dagegen gelungen, zu friedlichen Lösungen zu kommen. Die Abrahams Accords sorgten für eine historische Annäherung und eine vertiefte Normalisierung mit den einst so verfeindeten Staaten. Noch fehlt offiziell Saudi Arabien, aber der israelische Angriff auf die Nuklearanlagen des Iran dürfte in Riad mit Zustimmung aufgenommen worden sein, denn auch die Saudis fürchten eine iranische Nuklearmacht in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, vielleicht mehr noch als Israel, das in der Lage wäre, selbst nuklear zurückzuschlagen. Öffentliche Verurteilungen von Israels Angriffen, da sind sich alle Experten einig, dürften getrost ignoriert werden.
Eines ist klar: für die Zukunft der Region spielen weiterhin die USA die Schlüsselrolle. Präsident Donald Trump hat zwar kein Interesse, sich in einen Krieg im Nahen Osten verwickeln zu lassen. Die US-Administration hat öffentlich mehrfach herausgestellt, dass Washington an den Angriffen nicht beteiligt war. Trump hat versucht, zu einer Verhandlungslösung zu kommen – allerdings zu Bedingungen, die Teheran nicht akzeptieren wollte. Man hat sich zwar getroffen, aber der Iran ließ die von Trump vorgegebene 60-Tage-Frist ohne Ergebnis verstreichen. Eine Wiederaufnahme der Gespräche dürfte unwahrscheinlich sein.
Bis dahin hatte Trump Israels Regierung gebremst. Aber im Hintergrund hatten die US-Streitkräfte riesige Mengen an Flugabwehr-Raketen, Patriot und THAAD, nach Israel gebracht, die bei den iranischen Raketenangriffen auch eingesetzt wurden.
Bisher jedoch ist Trump offenbar entschlossen, Israel selbst den Krieg mit dem Iran auskämpfen zu lassen. Eine rote Linie wäre ein Angriff auf US-Truppen und Militärstützpunkte im Nahen Osten, wo zehntausende US-Soldaten stationiert sind. Das würde Washington nicht hinnehmen können.
Dass Israel die gegenwärtige Lage seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges auch nutzt, mit brutaler Gewalt seiner Siedler die Annexion der Westbank voranzutreiben, darf dabei nicht unterschlagen werden.
Der Gaza-Konflikt wird zwar in der Weltöffentlichkeit auf eine lange Zeit in den Hintergrund rücken, aber er wird eine offene Wunde bleiben. Weiterhin wird dort jeden Tag gestorben, weiterhin droht eine Hungerkatastrophe.
Das fordert auch die Bundesregierung weiter heraus, die diese Zustände zusammen mit den europäischen Partnern zunehmend scharf kritisiert hatte und auf deutliche Distanz zur Netanjahu-Regierung gegangen war.
Doch auch in Berlin ist offensichtlich, dass der Schlagabtausch zwischen Jerusalem und Teheran mit der Gefahr eines Flächenbrandes im Nahen Osten erst einmal Priorität bekommt. Der Kanzler und sein Außenminister haben Israel ausdrücklich ein Recht auf Verteidigung eingeräumt. Hier setzt die deutsche Außenpolitik, auch das eng abgestimmt, auf diplomatische Verhandlungslösungen und erwartet eine De-Eskalation auf allen Seiten.
Aber wie schon in der Vergangenheit wird Israel sich davon nicht sonderlich beeindrucken lassen. Dieser Krieg, das hat die Netanjahu-Regierung öffentlich erklärt, wird nicht nur Tage, sondern mindestens Wochen weitergehen. Es geht, so sagt man in Jerusalem, um einen „historic gamechanger“ im Nahen Osten, einen historische Veränderung der Machtverhältnisse.
Und dabei nimmt man auch tödliche Verluste im eigenen Land in Kauf, wie die Einschläge von iranischen Raketen in Israel inzwischen gezeigt haben. Auch das ist eine bittere Lehre, die schon jetzt gezogen werden muss: trotz gigantischer militärtechnischer Überlegenheit kann auch Israel nicht alle Raketen abwehren. Eine Erkenntnis, die man auch in Deutschland zur Kenntnis nehmen muss, wo demnächst das israelische Raketenabwehrsystem Arrow 3 stationiert werden wird. Es ist hoch effektiv, einen totalen Schutz jedoch kann es nicht bieten.
Werner Sonne