Der Europapolitiker David McAllister wurde als möglicher Außenminister im Kabinett von Friedrich Merz gehandelt. Fraglich, ob der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident zugegriffen hätte – ohne ein Mandat im Deutschen Bundestag. Der Christdemokrat hat sich seit seinem Einzug ins Europäische Parlament 2014 einiges aufgebaut. Seit 2015 ist er Vizepräsident der Europäischen Volkspartei, seit 2017 führt er den Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten.

Die ersten elf Jahre seines Lebens verbrachte McAllister in West-Berlin, wo er mit seinem Vater James, einem schottischen Zivilbeamten der britischen Streitkräfte, und seiner deutschen Mutter Mechthild, einer Musiklehrerin, sowie seinen Schwestern Elisabeth und Sylvia aufgewachsen ist. „West-Berlin war von der DDR umzingelt“, sagt McAllister, „das hat mich politisch geprägt.“

ES&T: Herr McAllister, Sie waren gerade mit dem Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments in Saudi-Arabien und in den Vereinigten Staaten. Welche Gespräche waren aufschlussreicher, die in Riad oder jene in Washington?

McAllister: Die Gespräche waren auf beiden Reisen sehr aufschlussreich. Nach Washington flogen wir mit einer kleinen fraktionsübergreifenden Delegation. Wir haben als Europäische Union ein ureigenes Interesse an intakten transatlantischen Beziehungen. Derzeit haben wir es im Weißen Haus mit einer Administration zu tun, die diese Beziehungen nicht wie gewohnt wertschätzt. „America first“, das muss man so klar sagen, führt momentan zu „America alone“ – dabei sind auch die Amerikaner auf Verbündete und Partner angewiesen.

ES&T: Wie steht es nach hundert Tagen Trump reloaded im Weißen Haus um die Demokratie in den USA?

McAllister: Die USA haben traditionell gewachsene und starke Institutionen, die amerikanische Demokratie steht jedoch seit längerer Zeit vor großen Herausforderungen. Demokratien leben immer auch von der Fähigkeit zum Konsens und Kompromiss. Die ist in den USA leider schon vor Jahren verloren gegangen. Es gibt eine tiefsitzende gesellschaftliche Spaltung, die inzwischen auch weite Teile der Politik erfasst hat und die sogar die Gewaltenteilung infrage stellt. Zu einer rechtsstaatlich verfassten Demokratie gehört neben einer starken Exekutive ein Kongress, der seine Kontrollfunktion wahrnimmt, zudem unabhängige Gerichte, deren Entscheidungen von der politischen Führung anerkannt und umgesetzt werden.

ES&T: Der US-Präsident setzt sich über Entscheidungen des Obersten Gerichts hinweg, so beim Fall des zu Unrecht abgeschobenen und inhaftierten Migranten Kilmar Ábrego García. Haben Sie solche Zustände für möglich gehalten?

McAllister: Sowohl von meiner familiären Herkunft als auch von meiner politischen Sozialisierung bin ich überzeugter Transatlantiker. Regelmäßig besuche ich die USA, nach meiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident habe ich gemeinsam mit der Familie eine Auszeit in Amerika genommen. Der gegenwärtige Zustand der transatlantischen Beziehungen betrübt mich. Wir müssen geduldig versuchen, mit dieser Administration klarzukommen. Was ich aber nicht akzeptieren kann, ist, wie in Washington über die Europäische Union gesprochen wird.