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Im April präsentierte Chinas führender Rüstungskonzern Norinco ein neuartiges Waffensystem zur Nahbereichsabwehr, das nach eigenen Angaben neue Maßstäbe im Kampf gegen moderne Luftbedrohungen setzt. Das „Bullet Curtain System“ (Geschossvorhang) wurde in der aktuellen Ausgabe der firmeneigenen Fachzeitschrift Modern Weaponry erstmals öffentlich vorgestellt.

Die Wurzeln des Systems sind von einem westlichen Konzept inspiriert: Metal Storm, ein experimentelles Hochgeschwindigkeitswaffensystem, das Ende der 1990er Jahre in Australien und den USA entwickelt wurde. Während sich Metal Storm nie über das Prototypenstadium hinaus entwickelte, will Norinco mit dem Bullet Curtain den Durchbruch geschafft haben.

Das Bullet Curtain System ist besonders auf Schwarmangriffe wie beispielsweise mit den iranischen Shahed-Kamikazedrohnen ausgelegt (CC1.0)

Yu Bin, Chefentwickler des Systems betont, dass die chinesische Version nicht nur einsatzbereit sei, sondern eine Antwort auf die dringendste Anforderung moderner Gefechtsfelder darstelle: eine flexible, mobile und gleichzeitig kosteneffiziente Lösung gegen Drohnen und Granaten. Ob und wie weit das Systems tatsächlich einsatzbereit ist, lässt sich vor allem aus westlicher Perspektiver jedoch schwer abschätzen.

Ein Paradigmenwechsel in der Nahbereichsabwehr

Der zentrale technische Ansatz ist die sogenannte „plane to point“-Abfangmethode. Dabei wird eine Art Wand aus Projektilen erzeugt, die anfliegende Ziele in einem bestimmten Raum mit überlappender Feuerkraft abdeckt. Dieses Konzept unterscheidet sich grundlegend von der punktuellen Bekämpfung einzelner Bedrohungen – der bisherigen Norm in der Luftverteidigung gegen Drohnen.

Das Herzstück des Bullet Curtain ist eine 4×4-Anordnung von 35-mm Geschützen, die verschiedene Munitionstypen abfeuern können. Im Fokus steht dabei die AHEAD-Munition (Advanced Hit Efficiency and Destruction), die beim Abfeuern Hunderte von Splitterprojektilen freisetzt. Diese bilden ein Sperrfeuer, das insbesondere gegen Drohnenformationen eingesetzt werden soll.

Solche “First Person View” -Drohnen machen den ukrainischen Grabenkampf zur Hölle und sind eher punktuelle Bedrohungen für Luftabwehrsysteme (CC1.0)

Modular, mobil und vielseitig

Das System ist derzeit auf einem geländegängigen 6×6-LKW montiert, was eine schnelle Verlegung im Feld ermöglicht. Laut Yu Bin ist jedoch durch den modularen Aufbau auch die Integration in andere Plattformen möglich – etwa auf gepanzerten Fahrzeugen, Schiffen oder stationären Installationen. Diese Anpassungsfähigkeit soll eine zügige Integration in verschiedene Einsatzumgebungen und militärische Infrastrukturen erlauben.

Ein integriertes Radar- und Feuerleitsystem, gekoppelt mit optischen Sensoren und einem digitalen Managementsystem, steuert die Zielerkennung und das Feuerkommando. Die Größe und Art des „Sperrfeuers“ kann dabei computergestützt in Echtzeit angepasst werden – je nach Bedrohungslage und Zielcharakteristik.

Drohnenschwärme als entscheidende Bedrohungslage

Die Bedrohung durch Schwärme kostengünstiger, kommerziell erhältlicher Drohnen ist zu einer der größten Herausforderungen für moderne Luftverteidigungssysteme geworden. Dieser Trend wurde vor allem seit 2022 im russischen Angriffskrieg gegen die Krieg deutlich, laut Experten setzen beide Seiten im Konflikt bis 30.000 Drohnen monatlich ein. Sie können durch ihre schiere Masse die Sensor- und Feuerkraft klassischer Luftverteidigungssysteme überfordern. Dabei verbrauchen sie gleichzeitig Abfangressourcen in einem asymmetrischen Verhältnis – günstige Drohnen treffen auf teure Abfangwaffen. Das will der chinesische „Bullet Curtain“ nun ändern. Auch europäische Konkurrenten steigen mit voller Fahrt in die Drohnenabwehr ein. So berichtete ES&T bereits im März über KI gesteuerte Interceptor Drohnen des Unternehmens TYTAN.

Redaktion / Jannis Düngemann