Software Defined Sovereignty
Vanessa Vohs und Benedikt Meng
Software Defined Defence (SDD) ist das Fundament für europäischen Souveränität in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Während moderne Kriegsführung agile Software-Updates erfordert, setzt Europa noch zu stark auf monolithische Systeme. Einheitliche Schnittstellen, z. B. im Bereich einer Combat Cloud, könnten Streitkräfte vernetzen, Innovationen beschleunigen und Resilienz gegen Cyber-Bedrohungen stärken. Wer die Software beherrscht, sichert Europas Handlungsfähigkeit.
Software Defined Defence ist in Deutschland zum neuen Modewort der Rüstungsbranche avanciert. Doch hinter dem Buzzword steckt mehr als nur Hype: Es geht um nicht weniger als die Frage, wie Europa im digitalen Zeitalter militärisch souverän und handlungsfähig bleibt. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine gilt SDD als Schlüssel, um die Leistungsfähigkeit moderner Streitkräfte zu steigern. Während ein Kampfpanzer der Bundeswehr nur alle paar Jahre ein Upgrade erhält, werden unbemannte Systeme in der Ukraine nahezu wöchentlich per Software-Update optimiert. Diese Diskrepanz verdeutlicht die strategische Bedeutung von SDD – und die Notwendigkeit eines Umdenkens in der Rüstungspolitik.
Offene Architekturen statt monolithischer Systeme implementieren
Kern von Software Defined Defence ist die konsequente Trennung von Hardware und Software sowie von Daten und Applikationen. Neue militärische Fähigkeiten sollen als Software unabhängig von der jeweiligen Plattform entwickelt und bereitgestellt werden. Durch offene, modulare IT-Architekturen lassen sich Hardware, Software und Daten entkoppeln, sodass neue Funktionen per Update implementiert werden können, ohne jedes Mal die zugrunde liegende Ausrüstung austauschen zu müssen. Vergleichbar mit zivilen Geräten, auf denen sich verschiedene Apps nachrüsten lassen, können Verbesserungen von Waffensystemen künftig via Software-Update kontinuierlich auf alle Plattformen übertragen werden. Dieses Prinzip eines Military Internet of Things erhöht die Flexibilität und Geschwindigkeit, mit der Streitkräfte auf neue Anforderungen reagieren können.
Grafik: Bundeswehr
Vom plattformzentrierten zum netzwerkzentrierten Kampf aufstellen
Der Krieg in der Ukraine führt eindrücklich vor Augen, welche Chancen und Risiken der Übergang von plattformzentrierter zu netzwerkzentrierter Kriegsführung oder dessen Vernachlässigung birgt. Vernetzte Systeme und Echtzeit-Datenverbünde – etwa das ukrainische Lagebildsystem „Delta“ – verschaffen der Truppe einen Informationsvorsprung und schnellere Reaktionsfähigkeit. Manned-Unmanned Teaming (MUM-T) wird zum Multiplikator: Unbemannte Plattformen können die Wahrnehmung, Überlebensfähigkeit und Schlagkraft bemannter Plattformen erheblich steigern. Doch je stärker sich das Gefechtsfeld digital vernetzt, desto verwundbarer wird es durch elektronische Kampfführung (EloKa). In der Ukraine tobt ein „versteckter Kampf“ im elektromagnetischen Spektrum – Funkstörungen und GPS-Spoofing durch russische EloKa-Einheiten sind allgegenwärtig und zwingen die ukrainischen Drohnenverbände zu ständiger Anpassung. Die Lehre daraus: Netzwerkzentrierte Kriegsführung bietet enorme Vorteile, erfordert aber auch robuste Resilienz gegen elektronische Störangriffe.
Die digitale Triade als neue Abschreckungsdimension
Software, Daten und Künstliche Intelligenz (KI) bilden die digitale Triade, die zur neuen Säule konventioneller Abschreckung wird. In Zukunft entscheidet die Fähigkeit, große Datenmengen in Echtzeit auszuwerten und mit KI-Unterstützung in überlegene Entscheidungen zu übersetzen, über Sieg oder Niederlage – und damit über die Abschreckungswirkung. Überlegene software-gesteuerte Fähigkeiten erlauben es, konventionelle Streitkräfte effektiver einzusetzen und somit das gegnerische Kalkül zu beeinflussen. Wer im digitalen Wettlauf hinterherhinkt, riskiert dagegen, dass seine herkömmliche militärische Stärke an Abschreckungskraft einbüßt. Die moderne konventionelle Abschreckung beruht nicht mehr allein auf Panzern und Jets, sondern ebenso auf Algorithmen und Daten.
Europäische Souveränität braucht eine eigenständige Tech-Basis
Diese Entwicklung stellt Europa vor industriepolitische Herausforderungen. Strategische Souveränität bedeutet, dass europäische Partner in der Lage sind, Schlüsseltechnologien selbst zu entwickeln, zu hosten und zu betreiben – gerade im Verteidigungsbereich. Doch aktuell hat Europa wenig Kontrolle über kritische digitale Infrastrukturen: Bei Cloud-Rechenzentren dominieren Nicht-EU-Anbieter, und bei der KI-Entwicklung droht unser Kontinent ins Hintertreffen zu geraten. Digitale Souveränität erfordert hingegen die Fähigkeit, Technologie eigenständig bereitzustellen und die Hoheit über die eigenen Daten zu behalten. Im Klartext: Europa muss in der Lage sein, eigene Combat-Clouds, sichere Kommunikation und Datenpools (Data Lakes) für seine Streitkräfte aufzubauen. Die Fähigkeit, Software für Waffensysteme im eigenen Haus zu entwickeln, Daten sicher zu speichern und mit KI auszuwerten, wird zum Gradmesser europäischer Unabhängigkeit. Ohne diese Kompetenzen bleibt man in kritischen Bereichen insbesondere von den Vereinigten Staaten abhängig – ein unhaltbares Risiko für eine glaubwürdige europäische Sicherheits- und Verteidigungsstrategie.
Foto: Bundeswehr
Gemeinsame Schnittstellen für Europa
Die Europäische Union verfolgt zurecht das Ziel einer „Wiederaufrüstung Europas“ und plant hierfür die Mobilisierung von 800 Milliarden Euro durch Kredite und Schulden. Auch Deutschland wird seine Verteidigungsausgaben erheblich erhöhen. Entscheidend ist dabei, nicht in nationalstaatlichem Silodenken zu verharren, sondern europaweite Synergieeffekte zu nutzen bei gleichzeitiger Förderung der jeweiligen Schlüsseltechnologie. Multi-Domain Operations (MDO) verlangen nach Konnektivität vom Core über Fog bis in den Tactical Edge. Gerade am vorderen Rand der Gefechtsführung werden in Mesh-Netzwerken eine Vielzahl von Plattformen in Systeme eingebunden. Das geht nur mit einheitlichen Standards und Schnittstellen Und dazu gibt es bereits einige Ansätze: Zum Beispiel verfolgt das vom Europäischen Verteidigungsfonds geförderte Projekt „European Defence Operational Collaborative Cloud“ (EDOCC) das Ziel, die Interoperabilität und Effizienz multinationaler Partner zu verbessern. Die jeweiligen nationalen Streitkräfte Europas arbeiten alle an eigenen Cloud-Strategien. Um diese im Sinne eines Multi-Cloud-Ansatzes miteinander vernetzen zu können, braucht es übergreifende Standards und Schnittstellen sowie langfristig auch eine Konvergenz im Bereich der Regulatorik.
SDD als Fundament einer neuen Sicherheitsarchitektur
Software Defined Defence ist weit mehr als ein Cyber/IT-Projekt – es ist die unabhängige Variable einer neuen sicherheits- und verteidigungspolitischen Architektur in Deutschland und Europa. Schon heute werden bis zu 80 Prozent der Leistungsfähigkeit moderner Waffensysteme durch Software bestimmt, doch bislang dominierte in Beschaffung und Einsatz oft eine traditionelle Hardware-Fokussierung. SDD dreht dieses Verhältnis um: Im Zentrum stehen agile Softwareentwicklung, Datenintegration und KI, die zusammen als digitales Rückgrat die Streitkräfte befähigen. Deutschland und Europa dürfen diesen Paradigmenwechsel nicht verschlafen. Deutschlands Partner haben mit der Umsetzung jedenfalls schon begonnen. Wenn wir SDD auch konsequent umsetzen, stärken wir nicht nur unsere technologische Souveränität, sondern schaffen auch die Grundlage für eine schlagkräftigere, vernetzte und abschreckungsfähige Bundeswehr im Kontext ihrer europäischen Partner. Derjenige, der Software beherrscht, definiert die Regeln und sichert die eigene militärische Handlungsfreiheit über alle Spektren hinweg. Und somit ist Software Defined Defence in Zeiten eines sich wandelnden transatlantischen Verhältnisses nicht nur rüstungspolitische Maxime, sondern auch Lackmustest für die europäische strategische Souveränität geworden.
Vanessa Vohs und Benedikt Meng