
Private Equity und die Verteidigungsindustrie – Ein unerschlossenes Potenzial
Stefan Widder und Christoph Goller
Die geopolitischen Spannungen der letzten Jahre haben die sicherheitspolitischen Prioritäten weltweit verändert. Die steigenden Verteidigungsausgaben in Europa und Deutschland eröffnen neue Investitionsmöglichkeiten – auch für Privatanleger (Private Equity). Doch der Einstieg in die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) ist mit besonderen Hürden verbunden: Regulierungen, Exportkontrollen und ethische Debatten erschweren den Zugang. Wie kann Private Equity dennoch von dieser wachsenden Branche profitieren?
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der Nahostkonflikt und das zunehmend spannungsbeladene Verhältnis zu China haben die Bedeutung der nationalen wie internationalen Verteidigungsfähigkeit wieder in den Fokus gerückt. Hieraus folgt die Erkenntnis, dass erhebliche Anstrengungen notwendig sind, um den wahrgenommenen sicherheitspolitischen Bedrohungen standhalten zu können. In Deutschland steht hierfür die von Bundeskanzler Olaf Scholz 2022 ausgerufene „Zeitenwende“ mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro., um die Bundeswehr angemessen auszurüsten. In Europa stiegen die Militärausgaben im Jahr 2022 um mehr als 13 Prozent, der stärkste Anstieg seit dem Kalten Krieg.
Foto: Saab
Um diesen Anstieg staatlicher Nachfrage zu bedienen, bedarf es Investitionen in die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Eine interessante Gelegenheit für Private Equity, denn global soll Kapital in Höhe von bis zu 3,5 Billionen Euro, sogenanntes „Dry Powder“ (Trockenes Pulver), investiert werden wollen. Dennoch gilt Private Equity in der SVI traditionell als unterinvestiert, vor allem in Europa. Auch in Deutschland gibt es nur wenige Unternehmen der SVI, an denen Private Equity mehr als eine Finanzbeteiligung hält.
Investitionshürden: Langfristige Verträge und Marktfragmentierung
Private Equity bevorzugt Unternehmen mit stabilen Cashflows und Wertsteigerungspotenzial, das sich ohne übermäßigen Kapitalaufwand innerhalb eines kurzen Investmenthorizonts von unter sechs Jahren realisieren lässt. Viele Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie erfüllen diese Kriterien jedoch nur teilweise. Langfristige Lieferverträge bieten zwar stabile Einnahmen. Doch deren Laufzeiten übersteigen oft den typischen Investmentzeitraum, was teils als hinderlich gilt. Zudem generieren bereits bestehende Verträge nicht zwangsläufig Wertsteigerung. Wertpotenziale liegen vor allem in der Gewinnung neuer Aufträge, denen in der SVI jedoch zeit- und kostenintensive Ausschreibungsverfahren vorausgehen. Diese bergen das Risiko, dass investierte Ressourcen abgeschrieben werden müssen, wenn der Auftrag an einen Wettbewerber geht. Auf spezifische Anforderungen zugeschnittene Produkte können oft eingeschränkt anderweitig verwertet werden. Ein Beispiel ist die gescheiterte Beschaffung von Einsatzbooten für das Kommando Spezialkräfte der Marine 2023: Statt erprobte Modelle zu beschaffen, wurde ein komplexes Waffensystem ausgeschrieben, das kein Hersteller liefern konnte oder wollte.
Zudem erschwert der fragmentierte Europäische Markt die Skalierbarkeit. Während die USA mit dem M1 Abrams auf ein einheitliches Modell setzten, gibt es in Europa über zehn verschiedene Kampfpanzer-Hauptmodelle. Dieser Mangel an Standardisierung reduziert die Effizienz und den potenziellen Kundenkreis erheblich.
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Regulatorische Barrieren: Kriegswaffenkontrolle und Investitionsaufsicht
Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie agieren in einem engmaschigen regulatorischen Korsett, das besonders bei internationaler Tätigkeit komplex wird. Neben der Kriegswaffenkontrolle sind für den Export von Rüstungsgütern in aller Regel Genehmigungen durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erforderlich. Diese werden verweigert, wenn die Ausfuhr den nationalen Sicherheitsinteressen widerspricht. Auch Dual-Use-Güter, die sowohl zivile als auch militärische Verwendungen haben, fallen unter diese Kontrolle, was den Kreis möglicher Abnehmer weiter einschränkt.
Nicht nur Export, sondern auch Investitionen aus dem Ausland in deutsche SVI-Unternehmen unterliegen der staatlichen Investitionskontrolle. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) verfügt über umfangreiche Instrumente, um ausländische Beteiligungen zu kontrollieren, einzuschränken oder zu untersagen. Bereits Minderheitsbeteiligungen können eine Freigabe erfordern. Während die Sektor übergreifende Investitionskontrolle nur für Nicht-EU-/Nicht-EFTA-Investoren gilt, erfasst die Sektor spezifische Kontrolle auch EU-Investoren bei Unternehmen der Militärgüter- und Wehrtechnikindustrie sowie Herstellern von bestimmten IT-Sicherheitsprodukten.
Das BMWK prüft regelmäßig, ob die Versorgungssicherheit der Bundeswehr geschützt ist, und bindet dabei das Verteidigungsministerium ein. So können Beteiligungen an Auflagen wie Liefer- und Versorgungszusagen geknüpft werden. Die detaillierte Offenlegung der Gesellschafterstruktur kann PE-Investoren dabei zeitlich und praktisch vor Herausforderungen stellen. Das gilt besonders für komplexe Fondsstrukturen außerhalb von EU und EFTA, die Investitionskontrollverfahren durchlaufen müssen. Auch spätere Exits können erschwert werden, da ausländische Käufer auch bei einer Weiterveräußerung die Investitionskontrolle durchlaufen müssen. Dies begrenzt den Kreis möglicher Erwerber und kann Exit-Multiples beeinträchtigen.
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Geheimschutz: Zusätzliche Auflagen für sicherheitsrelevante Unternehmen
Das BMWK kontrolliert den Zugriff auf Verschlusssachen (VS), die in der SVI für Produktions- und Entwicklungsaufträge relevant sind oder durch eigene Entwicklungen entstehen. Um eine unkontrollierte Weitergabe bei einer Unternehmenstransaktion zu verhindern, müssen zusätzliche regulatorische Verfahren durchlaufen werden. Dabei prüft das BMWK auch die Gesellschafterstruktur potenzieller Investoren. Dies führt wie bei allen regulatorischen Prozessen zu einem erhöhten Zeitaufwand.
Ethische Debatten und Finanzierungsfragen: ESG, Sin Clauses und Leverag
Neben wirtschaftlichen und rechtlichen Herausforderungen stellt sich die ethisch-moralische Frage, ob Investments in die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie akzeptabel sind. Rüstung zählt – wie Tabak, Glücksspiel und Pornografie – zu den Sektoren, die viele Sponsoren über „Sin Clauses“ (Ausschlussklauseln für ethisch bedenkliche Geschäfte) ausschließen. Selbst die PE-Häuser, die in der SVI aktiv sind, meiden oft Investments in Hersteller von Handfeuerwaffen und Sturmgewehren – nicht zuletzt wegen der mit diesen Waffen verübten Massaker, die insbesondere in den USA für Schlagzeilen sorgen. Dies führt zum scheinbaren Widerspruch, dass Fonds-Regularien Investments in Panzerproduzenten erlauben, nicht aber in Pistolenhersteller.
Auch auf der Fremdkapitalseite spielt ESG (Environmental, Social and Governance) eine Rolle. Manche Banken sind bei der Finanzierung von SVI-Investments zurückhaltend, ein Faktor, den Private Equity-Fonds bei der gewünschten Leverage (Hebelung) des eigenen Investments über Fremdkapital einkalkulieren müssen.
Wachstumspotenzial: Private Equity entdeckt neue Chancen in der SVI
Private Equity öffnet sich zunehmend der SVI, insbesondere bei den Zulieferern, die weniger von staatlichen Ausschreibungen und Marktfragmentierung betroffen sind. Für manche Unternehmen im Portfolio kann der Wechsel zu militärischen Anwendungen sogar eine Existenzfrage sein – etwa für Zulieferer der kriselnden Automobilindustrie, die künftig auch OEMs der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie beliefern könnten.
Herausforderung bieten zugleich Chancen: ESG kann als Treiber für SVI-Deals wirken, wenn Unternehmen sich über Carve-outs von nicht konformen Geschäftsbereichen trennen. Zudem eröffnet die fragmentierte Angebotsseite mit vielen mittelständischen Familienunternehmen Konsolidierungspotenzial, das über eine Roll-up-Strategie in der Lieferkette genutzt werden kann.
Darüber hinaus schafft die dynamische Entwicklung der SVI neue Opportunitäten, insbesondere in der Cybersicherheit, Überwachungstechnologie und Künstlicher Intelligenz (KI), die auch unter ESG-Gesichtspunkten leichter vermittelbar sind. Neben klassischem Private Equity ergeben sich Chancen für Venture Capital, was erfolgreiche Finanzierungsrunden für Defense-Start-ups, die KI-Lösungen oder unbemannte Systeme entwickeln, belegen. Der Nachholbedarf im Defense-Bereich erfordert dabei seriengefertigte Standardprodukte ((sogenannte Commercial off the Shelf oder COTS) anstelle teurer Spezialanfertigungen. Jüngste Konflikte zeigen, dass kostengünstige, leicht produzierbare Systeme wie Drohnen (Unmanned Aerial Vehicles oder UAVs) an Bedeutung gewinnen.
Strategische Neuausrichtung: Politische Initiativen zur Stärkung der SVI
Auch in der Wehrbeschaffung setzt sich das Umdenken fort. 2023 veröffentlichte die Bundesregierung ihre erste „Nationale Sicherheitsstrategie“, die den Ausbau der Bundeswehr zur leistungsfähigsten Streitkraft in Europa und bessere Rahmenbedingungen für die SVI zum Ziel erklärt. Darauf aufbauend beschloss das Kabinett am 4. Dezember 2024 eine neue „Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie“. Diese Strategie adressiert zentrale Herausforderungen, darunter die Vereinfachung von Produktionsprozessen durch Standardbauteile, den Abbau bürokratischer Hürden, die Förderung von Exporten in EU und NATO sowie eine engere Zusammenarbeit innerhalb von EU und NATO.
Zudem wurden sicherheits- und verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien neu definiert – etwa Marineschiffbau und gepanzerte Fahrzeuge, die national gesichert bleiben sollen. Hier werden staatliche Beteiligungen erwogen, was einen strategischen Wandel signalisiert.
Die ursprünglich diskutierte Bündelung europäischer Militärtechnologien zu „Champions“ scheiterte; stattdessen hat die Landes- und Bündnisverteidigung höchste Priorität. Dazu gehört auch der erleichterte Zugang der SVI zu Krediten und Kapitalmärkten – trotz ESG-Hürden. Zwar bleibt Private Equity unerwähnt, und es gibt Kritik an der Umsetzung der „Zeitenwende“, insbesondere da das 100 Milliarden-Euro-Sondervermögen bereits weitgehend verplant ist. Dennoch scheinen die Investmentchancen für Private Equity in die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie günstig.
Stefan Widder und Christoph Goller
Dr. Stefan Widder, LL.M. und Dr. Christoph Goller sind Rechtsanwälte bei Gleiss Lutz. Widder ist Partner mit über 20 Jahren Erfahrung in M&A- und Private-Equity-Transaktionen. Goller berät Mandanten der Branche und vertritt sie vor Behörden und Gerichten.