Das neue Defense-Studio von Accenture in Berlin setzt auf modernste Technologien für Streitkräfte: Interoperable C2-Systeme, Simulationen und KI-gesteuerte Lösungen sollen die Einsatzbereitschaft optimieren. Kevin Thiele, Managing Director bei Accenture, gibt im Interview mit ES&T exklusive Einblicke in das Common Synthetics Environment und erklärt, wie Accenture mit innovativen Konzepten die Bundeswehr und internationale Partner zukunftssicher macht.
ES&T: Was sind aus Ihrer Sicht die spannendsten Produkte und Technologien, die im neuen Defense-Studio präsentiert werden? Welche Schwerpunkte setzen Sie dabei?
Thiele: In unserem Defense-Studio in Berlin werden moderne technische Lösungen wie C2- oder Battle Management Systeme – zum Beispiel das in vielen NATO-Ländern eingesetzte SitaWare – mit militärischen Simulationen sowohl konstruktiv als auch virtuell zusammengebracht. Die wesentliche Innovation besteht darin, dass diese, sich häufig schon im Einsatz befindlichen Systeme nun in ein Gesamtsystem integriert werden und miteinander interagieren. Das ist ein sehr innovativer Ansatz, da er die aktuellen Silos dieser Systeme aufbricht und in der Kombination einen deutlichen Mehrwert für den Nutzer schafft. Out of the box ist die Integration zum Teil nur sehr eingeschränkt möglich, weshalb wir ein ganzheitliches Framework geschaffen haben, um das Common Synthetics Environment (CSE) zu ermöglichen. Der Fokus dieses Frameworks ist die Ausbildung und Übung – wobei wir mit dem CSE in der Lage sind, die aktiv übende Truppe mit virtuell übenden Truppenteilen zu verbinden und feindliche Kräfte in der Simulation entsprechend zu modellieren. Dies lässt sich selbstverständlich auch auf Missionsplanung und Nachbereitung ausweiten. Aber auch im Bereich Capability Development und oder zur Unterstützung des Wargamings lässt sich CSE nutzen.
ES&T: Wie möchten Sie potenzielle Kunden und Interessierte im neuen Accenture-Showroom erreichen und begeistern? Gibt es besondere Formate oder Ansätze, um den Mehrwert Ihrer Lösungen zu demonstrieren?
Thiele: Wir haben in den vergangenen Monaten viel mit unseren Kunden über die Möglichkeiten des Common Synthetics Environment gesprochen und hatten unter anderem auch schon Delegationen in unserem Studio in Helsinki, Finnland, und auf verschiedenen internationalen Messen, auf denen wir ausgestellt haben. Das Feedback war dabei außerordentlich positiv, weswegen wir uns entschlossen haben, auch in Deutschland ein eigenes Demostudio aufzubauen. Wir haben schon vor der Eröffnung mehrere Anfragen für Kundentermine und hoffen, pünktlich zum zweiten Quartal eröffnen zu können. Unser Studio in Berlin ist so ausgelegt, dass wir neben der stationären Demoeinheit auch eine mobile Variante haben werden, die wir zu verschiedenen deutschen und europäischen Messen und Veranstaltungen bringen können. So planen wir, das CSE auf der diesjährigen AFCEA Fachausstellung in Bonn auf dem Accenture-Stand vorzustellen.
ES&T: Welche Rolle spielt das Defense-Studio in Berlin für die strategische Ausrichtung von Accenture im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich?
Thiele: Tatsächlich eine sehr große Rolle: Das CSE ist unser erster Demo Case. Perspektivisch wollen wir uns aber offenhalten, auch weitere innovative Lösungen vor Ort in Berlin auszustellen, um unseren Kunden die Möglichkeit zu geben, diese Lösungen „hands-on“ auszuprobieren. Aktueller Fokuskunde ist dabei sicherlich die Bundeswehr.
Nichtsdestotrotz wollen wir perspektivisch auch weitere Kunden in das Studio einladen und auch die Rüstungsindustrie hierzulande adressieren. Technologisch wollen wir im zweiten Schritt KI-Usecases fokussieren. So haben wir auf der letzten AFCEA Fachausstellung bereits umfangreiche KI-Demos gezeigt, die perspektivisch auch im Demostudio gezeigt werden. Zudem sind erste KI-Features ohnehin bereits in der CSE-Lösung integriert. Hervorzuheben ist hier sicherlich auch unsere Partnerschaft mit Nvidia, die in den letzten Monaten auch medial Beachtung gefunden hat. So lassen wir durch Nvidia Omniverse KI-gesteuert Anpassungen in Simulationen vornehmen, und können Gebäude oder auch Feldlager durch die KI im Modell entwerfen lassen.
ES&T: Welche Projekte und Themen stehen für Accenture in den nächsten Jahren im Fokus? Wohin soll die Reise gehen, und wie wollen Sie Ihre Stellung in der Branche ausbauen?
Thiele: Aktuell ist das Geschäft von Accenture mit der Bundeswehr noch vergleichsweise klein. In der Rüstungsindustrie haben wir bereits einen stärkeren Footprint. In den nächsten Jahren wollen wir diese Position deutlich ausbauen, insbesondere im Bereich der Bundeswehr mit einem starken Fokus auf die Force Readyness. All unser Tun soll die Streitkräfte dabei unterstützen, die Einsatzbereitschaft zu erhöhen. Wir möchten durch unser Know-how und die Erfahrung aus anderen internationalen Projekten im Verteidigungsbereich dazu beitragen, die Bundeswehr auf ihrem Weg zur Combat Readyness zu begleiten. Bedingt durch die Größe von Accenture ist unser Portfolio dabei breit aufgestellt. Nichtsdestotrotz haben wir einige Schwerpunkte gesetzt: Dazu gehört das bereits angesprochene Common Synthetics Environment. Andere Schwerpunkte sind bei uns Cloud-Themen, insbesondere die Integration in Fog und Edge – also am scharfen Ende. Hervorzuheben ist zudem unsere Expertise im Bereich Medical Service und der fliegenden Waffensysteme, wo wir bereits seit vielen Jahren unsere Kunden unterstützen.
ES&T: Welche langfristigen Ziele verfolgt Accenture im Verteidigungssektor? Wie wollen Sie auf Entwicklungen wie Cybersicherheit, KI und Automatisierung reagieren?
Thiele: Wir sehen diese angesprochenen Themen wie Cybersicherheit, KI und Automatisierung als Enabler. Mit den immer stärker digitalisierten und vernetzten Systemen steigt auch der Bedarf an Cybersicherheit immer weiter. So wird es perspektivisch keine Lösungen, ganz gleich ob in der IT oder am Waffensystem, geben können, die nicht bereits in der Entwicklung nach dem Security by Design-Prinzip entworfen worden sind. Für diese Enabler-Themen haben wir bei Accenture Organisationseinheiten aufgestellt, die Expertise in genau diesen Bereichen bündeln. So haben wir beispielsweise für das Thema KI ein eigenes sogenanntes Data-and-AI-Studio in Brüssel aufgebaut, indem globale Experten gemeinsam an Kundenherausforderungen in den Themenfeldern Künstliche Intelligenz und Daten arbeiten. Dabei liegt der Schwerpunkt des Brüsseler Studios bei Kunden aus dem öffentlichen Sektor. Ein ähnliches Studio haben wir aber auch in München für Industriekunden. Die Relevanz des Themas Security kann man sicherlich auch daran ablesen, dass dieser Bereich bei Accenture einer mit dem größten Wachstum ist. Zudem planen wir, bis zum Jahr 2026 insgesamt 80.000 Mitarbeiter mit Expertise in Daten- und KI-Themen entweder einzustellen oder intern zu qualifizieren. Aus unserem Annual Report 2024 geht hervor, dass wir da auf einem sehr guten Weg sind. Bisher haben wir 57.000 dieser 80.000 erreicht.
ES&T: Welche spezifischen Angebote richten sich an B2B-Kunden? Gibt es spezielle Programme, die auf die Bedürfnisse von Industriepartnern oder Behörden zugeschnitten sind?
Thiele: Unsere Angebote sind grundsätzlich B2B und B2G, also auch Business-to-Government, ausgelegt. Zu meinem Verantwortungsbereich gehören die öffentlichen Kunden im Bereich Verteidigung, also der Bereich B2G. Wir versuchen aber insbesondere mit unseren B2B-Kollegen, die die Rüstungsindustrie verantworten, einen sehr engen Austausch zu pflegen. Wir sind der festen Überzeugung, dass es zwischen den einzelnen Kundensegmenten große Synergien gibt und wir einen Mehrwert für den Kunden schaffen, wenn wir die Bedürfnisse beider Seiten verstehen und entsprechend beraten.
ES&T: Interoperabilität ist ein Schlüsselfaktor im Verteidigungsbereich. Welche Ansätze verfolgt Accenture, um den nahtlosen Einsatz unterschiedlicher Systeme und Technologien zu gewährleisten?
Thiele: Interoperabilität ist eine der Schlüsselfähigkeiten moderner Streitkräfte. Gerade das Beispiel CSE zeigt, dass Silos aufgebrochen werden und die Integration verschiedener Systeme gelingen müssen. Dies denken wir bei unseren Angeboten immer von Anfang an mit.
ES&T: Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für Accenture im europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsmarkt, insbesondere in der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr und anderen Streitkräften?
Thiele: Accenture ist grundsätzlich international aufgestellt. Im Defense Bereich pflegen wir einen sehr engen Austausch mit unseren europäischen und internationalen Kollegen, unter anderem aus Finnland oder Australien. Die europäischen Streitkräfte stehen in vielen Bereichen vor ähnlichen Herausforderungen. Das reicht von der Finanzierung ihrer Rüstungsgüter bis hin zur demografischen Entwicklung. Sofern möglich, versuchen wir diese Herausforderungen mindestens europäisch zu denken, sofern die nationalen Sicherheitsanforderungen dies zulassen. Einen besonderen Stellenwert hat hier unser NATO-Account, der parallel zu den Landesorganisationen aufgestellt ist und unsere Partnerschaft mit der NATO über Landesgrenzen hinweg verantwortet, aber vielfach auf die Expertise der nationalen Teams zurückgreift.
Auch in den Streitkräften lässt sich eine verstärkte Zusammenarbeit erkennen, die deutsch-niederländische Partnerschaft im Heer ist nur eines von vielen Beispielen. Wir glauben, dass diese Zusammenarbeit sich noch vertiefen wird, auch bei neuen Rüstungsprogrammen. FCAS, MGCS und CAVS gehen bereits diesen Weg.
Mit der neuen außenpolitischen Ausrichtung der USA unter der zweiten Trump-Regierung steht Europa vor der Herausforderung, mehr Mittel für die eigene Verteidigungsfähigkeit aufbringen zu müssen. Die deutsche Zeitenwende adressiert dies bereits mit dem Sondervermögen, muss aber konsequent zu Ende gedacht und finanziert werden. Falls das nicht gelingt, besteht die Gefahr, dass neue Waffensysteme auf Basis des Einzelplans 14 nicht langfristig in Betrieb gehalten werden können oder dass spätere Investitionen hierfür zurückgehalten werden müssen. Andere europäische Länder gehen noch einen Schritt weiter. So planen die polnischen Streitkräfte perspektivisch mit fünf bis sechs Prozent des BIP.
ES&T: Wie sieht Ihre Vision für modernes Training der Streitkräfte aus? Welche neuen Ansätze oder Technologien plant Accenture, um die Einsatzbereitschaft zu optimieren?
Thiele: Perspektivisch wird sich die Grenze zwischen realen und simulierten Trainings auflösen. Wie bereits angesprochen, wird es möglich sein, dass Teile des zu schulenden Personals in einem realen Trainingsszenario unterwegs sind, beispielsweise im Gefechtsübungszentrum. Andere Teile werden in einer Simulation dazugeschaltet, sitzen physisch also möglicherweise mehrere Hundert Kilometer entfernt. Sie sind über CSE aber dennoch auf dem gleichen Übungsszenario integriert. So wird der Soldat im Gefechtsübungszentrum über eine Augmented Reality-Brille Fahrzeuge eingeblendet bekommen, die durch Kameraden im Fahrsimulator gesteuert werden. Diese trainieren im Fahrsimulator in einer komplett simulierten Umgebung, welches jedoch die tatsächlichen Geländebegebenheiten abbildet. In dieser Simulation bekommen sie ihre verbündeten Kräfte angezeigt, sie sehen also die Bewegungen der Einheiten im Gefechtsübungszentrum direkt in ihrer Simulation.
Dabei werden beide, Soldaten im Feld und diejenigen in der Simulation, innerhalb des Battlemanagements live dargestellt. Ihre Bewegungen und Handlungen sind für das Hauptquartier und die Führungsebene somit jederzeit nachzuvollziehen. So wie sich eigene Kräfte simulieren lassen, werden für die Übungszenarien auch feindliche Kräfte entsprechend dargestellt. Auf Basis konstruktiver Simulationen, die virtuelle Simulationen ergänzen, können verschiedene Szenarien der gegnerischen Kräfte und die Reaktionen darauf simuliert und analysiert werden – vom Gefechtsfeld bis zum Battlemanagement. Das ist dank CSE keine Zukunftsmusik mehr, sondern bereits Realität. So hat auch die Bundeswehr viele der dafür benötigten technischen Komponenten und Lösungen schon im Einsatz, wenngleich auch nicht vollständig integriert und in der Fläche ausgerollt, wie das zum Beispiel. in Finnland der Fall ist.
ES&T: Welches Feedback haben Sie bisher von Kunden erhalten, und wie fließt dieses in die Weiterentwicklung Ihrer Lösungen ein?
Thiele: Kundenfeedback ist für uns absolut essenziell. So laden wir unsere bestehenden Kunden nicht nur regelmäßig dazu ein, Feedback zu geben. Wir haben auch bei der Entwicklung unserer Produkte unser Ohr ganz nah am Kunden und berücksichtigen seine Bedürfnisse in unseren Lösungen und Beratungsangeboten. Speziell das Common Synthetics Environment ist maßgeblich durch die Rückmeldungen der finnischen Streitkräfte entstanden. Nach und nach versuchen wir nun, auch spezifische Anforderungen der Bundeswehr einzubringen. Dies betrifft unter anderem Konnektoren zu den Systemen, die speziell bei der Bundeswehr im Einsatz sind, aber auch spezifische Prozesse und Vorgaben der Bundeswehr, die zu berücksichtigen sind.
Die Fragen stellte Jürgen Fischer.