Die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie unterstützt die Ukraine seit der russischen Invasion.
Seit der russischen Vollinvasion der Ukraine im Februar 2022 hat sich die Zusammenarbeit zwischen der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und der Ukraine dynamisch entwickelt. Was mit ersten Bedarfsanfragen begann, ist heute eine strategische Partnerschaft, von der beide Seiten profitieren. Die Ukraine erhält dringend benötigte Technologie und Expertise, während deutsche Unternehmen wertvolle Einblicke in den Einsatz ihrer Produkte gewinnen.
(Foto © BDSV)
Unmittelbar nach der russischen Vollinvasion wurde die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie vom Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) ersucht, Vorschläge für eine schnelle Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte mit geeigneter Ausrüstung zu unterbreiten.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Kontakte mit der ukrainischen Seite hinsichtlich ihrer Bedarfe noch kaum entwickelt. Sehr rasch wurden aber über die ukrainische Botschaft in Berlin Bedarfslisten an das Ministerium und uns als Verband herangetragen.
Strukturierter Austausch: Vom Unterstützungsstab zur direkten Kooperation
Angesichts des sehr restriktiven Exportkontrollregimes Deutschlands für Rüstungsgüter, insbesondere gegenüber Ländern außerhalb der Europäischen Union (EU) und der NATO, war jedoch von Beginn an klar, dass die Entscheidungen der Bundesregierung hierbei eine zentrale Rolle spielen würden. Für diese wurde dann sehr schnell in den beteiligten Ministerien, insbesondere im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), eine der Lage angepasste Basis für eine sehr schnelle Einholung von Exportkontrollgenehmigungen geschaffen. Es fehlten jedoch anfänglich auch ausreichende Haushaltsmittel, wodurch die Umsetzung der Maßnahmen in der Praxis zeitweise behindert wurde. Ferner war der Umgang mit den EU-Mitteln aus der sogenannten „European Peace-Facility“ noch nicht eingeübt. Somit war die dringliche Anfrage zur Ukraineunterstützung, die seinerzeit vom BMVg an die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie gerichtet wurde, von viel gutem Willen getragen, ohne dass eine gesicherte Aktionsbasis dafür bestand.
Gleichwohl kamen aus dem Kreis der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sehr schnell konkrete Angebote, die im Bundesamt für Ausrüstung, Information und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) gesichtet und priorisiert wurden. Bereits kurz danach kam es zu ersten, über die ukrainische Botschaft in Berlin vermittelten Direktkontakten mit Unternehmen, die aus ukrainischer Sicht über kriegswichtige Produkte verfügten.
Bald wurde im BMVg der Unterstützungsstab Ukraine unter Leitung von Generalmajor Christian Freuding errichtet. Im BMWK nahm sich der zuständige Staatssekretär Sven Giegold der äußerst zügigen Abwicklung der exportkontrollrechtlichen Genehmigungen an. Im Regelfall bildeten diese für die Industrie kein Problem, außer wenn ein bestimmtes Exportgut aus übergeordneter politischer Sicht zunächst der Zustimmung des Kanzleramtes bedurfte. Aufgrund der zunehmenden individuellen Kontaktaufnahmen zwischen ukrainischen Stellen – insbesondere dem Ministerium für Strategische Industrien, damals unter der Führung von Minister Oleksandr Kamyshin – und einzelnen deutschen Unternehmen zu Fragen bilateraler Zusammenarbeit bei Fertigung sowie Instandhaltung stieg ab Frühjahr 2023 die Nachfrage nach verbandsseitiger Unterstützung zur Organisation weiterer Austauschgelegenheiten mit Vertretern der ukrainischen Regierung.
Neue Formate: Von B2G- zu B2B-Plattformen
Nach einem ersten Arbeitstreffen zwischen Vertretern der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und Minister Kamyshin im Herbst 2023 beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fand am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz 2024 erstmals ein breit angelegtes B2G-Format (Business to Government) statt. Organisiert von BDI und BDSV mit Unterstützung des BDLI, wurde hier eine Plattform geschaffen, die Unternehmen und staatlichen Entscheidungsträgern nicht nur den direkten Austausch ermöglichte. Sowohl in der Gruppe als auch in bilateralen Gesprächen konnten hier Bedarfe und Herausforderungen identifiziert sowie neue Kontakte geknüpft werden. Dieses direkte und ergebnisorientierte Vernetzen zwischen Industrie und ukrainischer Regierung wurde von beiden Seiten äußerst positiv aufgenommen und hat sich im Laufe des Jahres nachweislich verstetigt.
Die nächste Stufe des Engagements wurde mit dem deutsch-ukrainischen „Defence-Day“ im BDI am 14. Juni 2024 einen Tag nach der „Ukraine Recovery Conference“ erreicht. Ziel dieses Treffens war es, direkten Austausch zwischen der ukrainischen und der deutschen Industrie zu ermöglichen und – sofern bereits vorhanden – bestehende Kontakte zu vertiefen. Mehr als 30 deutsche und 30 ukrainische Unternehmen nutzten die Gelegenheit zur Vernetzung im Rahmen eines individuell gestalteten Business to Business-Formats (B2B), organisiert durch die den BDI, den BDSV und den Bundesverband der Deutchen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). Begleitet wurde die Initiative durch das BMWK und das ukrainische Ministerium für strategische Industrien im Beisein der Minister Kamyshin und Dr. Habeck. Das Treffen wurde von allen Seiten als ein wichtiger Schritt zur weiteren Vertiefung der Zusammenarbeit bewertet.
Aufbau vor Ort: Fertigungsstätten und Delegationsreisen
Ein Zeichen dafür ist die durch den BDI initiierte und organisierte Rüstungs-, Tech- und NewSpace-Unternehmensdelegation, die im Herbst 2024 in die Ukraine reiste. Auf dem Programm standen nicht nur B2B-Meetings, sondern auch Gespräche mit Ministern, Vertretern des Militärs, Besuche beim Verteidigungsinnovationshub Brave1, eine koordinierte Plattform, die von der ukrainischen Regierung ins Leben gerufen wurde, um die Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren der Verteidigungstechnologiebranche zu fördern sowie deutsch-ukrainischer Unternehmenskooperationen.
Die seitdem erfolgte Fortführung diverser B2B- und B2G-Formate in Deutschland und der Ukraine, die Errichtung von Fertigungsstätten deutscher Hersteller in der Ukraine, zahlreiche Joint-Venture- und Kooperationsankündigungen sowie die regelmäßigen Auftritte hochrangiger ukrainischer Entscheidungsträger bei Verbandsformaten wie dem BDSV-Thementag und dem BDI-Ausschuss für Sicherheit verdeutlichen die mittlerweile vertieften Beziehungen zwischen deutscher und ukrainischer Industrie, sowie die kurzen Kommunikationswege zwischen Industrie und ukrainischer Amtsseite.
Erfolge und Perspektiven: Eine Partnerschaft zum gegenseitigen Vorteil
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zahlreiche deutsche Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie inzwischen über enge Kontakte zur ukrainischen Regierung und den Streitkräften verfügen. Auf dieser Grundlage tragen sie – mit Wissen und Billigung des Ukraine-Stabes im BMVg, des Bundeskanzleramtes und des BMWK – maßgeblich zur rüstungstechnischen Unterstützung der Ukraine bei.
Dies betrifft keineswegs nur die großen Systemhäuser, die vielfach in den Medien als Ukraine-Unterstützer genannt werden und mittlerweile über eingeübte Kooperationen vor Ort oder in angrenzenden Ländern verfügen. Es betrifft insbesondere auch viele Mittelständler und junge Start-ups, die sich im Laufe der Zeit ihr eigenes Know-how im Zugang zu ukrainischen Kunden und Partnern erarbeitet haben. Zugleich erfahren diese Unternehmen aber auch einen erheblichen Mehrwert durch Wissen, das sie aus ihren Kontakten mit ukrainischen Akteuren über den Einsatz von Ausrüstung gewinnen. Es handelt sich also um Kontakte zum gegenseitigen Vorteil, zu deren weiterem Ausbau es heute allerdings so gut wie keiner verbindlichen Unterstützung mehr bedarf.
Diese Entwicklung verdeutlicht nicht nur die Unterstützung der Ukraine durch die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, sondern auch den Mehrwert einer langfristigen, strategischen Partnerschaft in herausfordernden Zeiten.
Kerstin Petretto, Hans Christoph Atzpodien und Nikolas Meisch