
Anker ausgerauscht? Verdächtige Aktivitäten des Frachters „Arne“ in der Ostsee
Hans Uwe Mergener und Michael Nitz
In jüngster Zeit häufen sich Berichte über Handelsschiffe in der Ostsee, die unerwartet den Verlust von Anker und Ankerkette melden. Ein weiterer Vorfall ereignete sich am 20. Februar 2025 mit dem aus St. Petersberg kommenden, unter der Flagge von Antigua und Barbuda fahrenden Mehrzweckfrachter „Arne“. Gegenüber einer ausweislich der AIS-Daten vorher festzustellenden Geschwindigkeit von etwa 12,5 Knoten konnte auf einem Streckenabschnitt in Höhe der schwedischen Inseln Gotland und Öland eine merkliche Fahrtreduzierung auf etwa sieben bis acht Knoten vermerkt werden. Dieses ungewöhnliche Fahrtprofil des 27 Jahre alten Handelsschiffes erregte die Aufmerksamkeit schwedischer, dänischer und deutscher Sicherheitsbehörden.
Sie sahen sich veranlasst, eine multinationale Begleitoperation einzuleiten. Deutschland entsandte das Einsatzschiff „Bamberg“ der Bundespolizei See, die „Arne“ von der Höhe Sassnitz bis Gedser begleitete. Anschließend übernahm die „Neustadt“ bis in die Kieler Innenförde. Dänemark beteiligte sich mit dem Heimwehrkutter „HDMS Luna“ (MHV 810), der den Frachter bis kurz vor die Kieler Bucht eskortierte.
Während ihrer Begleitung ließ die „Neustadt“ kurz nach Passieren des Kieler Leuchtturms ihr NAVIS-RHIB an Backbord zu Wasser. Dieses verlegte mit hoher Geschwindigkeit zum Marinestützpunkt Kiel-Wik.
Am 21. Februar meldeten schwedische Medien unter Bezug auf schwedische Behörden, dass das deutsch-finnische Unterwasser-Datenkabel C-Lion beschädigt worden sei. Die schwedische Polizei hat Ermittlungen wegen möglicher Sabotage startet. Der Schadensort soll in der ausschließlichen Wirtschaftszone Schwedens nahe der Insel Gotland aufgetreten sein. Das Betreiberunternehmen teilte mit, die Funktionsfähigkeit der über das Kabel laufenden Kommunikationsverbindungen sei nicht beeinträchtigt.
Maßnahmen auf der Reede Kiel-Holtenau
Auf der Reede Kiel-Holtenau wurde die „Arne“ von der Bundespolizei See gestoppt. Laut einem Sprecher der Bundespolizei wurden grenzpolizeiliche Einreisekontrollen durchgeführt. Details zu den Abläufen und weiteren Maßnahmen wurden aus einsatztaktischen Gründen nicht bekannt gegeben. Der Frachter verharrte nahezu drei Stunden auf der Reede, bevor er am 22. Februar um 13.30 Uhr in die Schleusenanlage des Nord-Ostsee-Kanals (NOK) in Kiel-Holtenau einlief. Beobachtern blieb der fehlende Anker an Backbordseite des Schiffes nicht verborgen. Das ca. 10.500 Tonnen verdrängende Schiff erscheint voll beladen. Nach AIS ist sein Bestimmungshafen Sevilla, Spanien.
Ob die „Arne“ mit dem jüngsten Kabelvorfall direkt in Verbindung gebracht werden kann, bleibt zu untersuchen. Ihr Verhalten im betroffenen Seegebiet war auffällig. Ihr fehlender Anker ist eine Übertretung von Seerechtvorschriften und kann ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen. Nach internationalen Seerechtsübereinkommen gehört er zur Sicherheitsausstattung. Bei Hafenstaatkontrollen kann ein Verstoß gegen die Sicherheitsvorschriften geahndet werden, Versicherer könnten Leistungen verweigern, wenn das Nichteinhalten von Vorschriften nachgewiesen wird.
Zusammenhang mit Kabelschäden in der Ostsee
Die „Arne“ gehört zu den Handelsschiffen, die sich in der Nähe der kürzlich entdeckten Kabelschäden nahe der schwedischen Insel Gotland aufhielten. Langsame Fahrt und ungewöhnliche Manöver der „Arne“ in diesem Gebiet ließen den Verdacht aufkommen, dass das Schiff in mögliche Sabotageakte verwickelt sein könnte. Der fehlende Anker verstärkt diesen Eindruck.
Zum Gesamtbild trägt bei, dass die „Arne“, IMO 9142564, mehrfach umbenannt wurde. Sie führte unter anderem „Manisa Belen“, „Marneborg“ und „Normed Istanbul“ als Namen. Angaben über Reeder und Manager gehen auf den einschlägigen, öffentlich zugänglichen Plattformen auseinander.
Internationale Zusammenarbeit
Der Vorfall unterstreicht die enge Zusammenarbeit zwischen den schwedischen, dänischen und deutschen Behörden in der Ostsee. Angesichts der strategischen Bedeutung der Unterseekabel und anderer kritischer Infrastrukturen haben die Anrainerstaaten ihre Überwachungsmaßnahmen verstärkt.
Die Europäische Kommission hat Maßnahmen entwickelt, um die Sicherheit von Unterseekabeln zu erhöhen. Sie wurden am 21. Februar 2025 in Form einer Erklärung an das EU Parlament und Rat (JOIN(2025) 9 final) veröffentlicht. Auf 17 Seiten werden technische, rechtliche und kooperative Maßnahmen dargestellt, mit denen die Kommission die Risiken für Unterseekabel minimieren und ihre Funktionsfähigkeit auf lange Sicht gewährleisten will. Darunter:
- Physischer Schutz: Verstärkung und tiefere Verlegung der Kabel, um physische Schäden zu verhindern.
- Überwachung: Einsatz von Echtzeit-Monitoring und Warnsystemen zur schnellen Erkennung von Beschädigungen.
- Cyber-Sicherheit: Verschlüsselung von Daten und regelmäßige Sicherheitsaudits zum Schutz vor Cyber-Angriffen.
- Internationale Zusammenarbeit: Abkommen und Informationsaustausch zwischen Ländern und Organisationen zur gemeinsamen Sicherung der Infrastruktur.
- Regulatorische Maßnahmen: Einführung von Gesetzen und Schutzzonen, um Sabotage zu verhindern.
- Forschung und Innovation: Investitionen in neue Technologien und Materialien zur Verbesserung der Kabelsicherheit.
Schwedische und finnische Medien berichteten bereits über eine erhöhte Präsenz von Marineeinheiten in der Region. Insbesondere die schwedische Küstenwache (Kustbevakningen) und die finnische Grenzschutzbehörde (Rajavartiolaitos) haben ihre Patrouillenfahrten intensiviert. Dänische Nachrichtenquellen weisen auf koordinierte Operationen zur Sicherung der Seewege hin.
Ausblick und weitere Untersuchungen
Die genauen Hintergründe des Vorfalls sind Gegenstand laufender Ermittlungen. Es ist unklar, ob die „Arne“ bewusst beteiligt war oder ob es sich um einen Unfall handelt. Dabei ermitteln die Behörden in Hinblick auf Verstöße gegen Seerechts- und Sicherheitsvorschriften, mögliche Zusammenhänge mit anderen ähnlichen Vorfällen in der Region, Verdachtsmomente auf Sabotage oder Spionageaktivitäten.
Herausforderungen
Der Vorfall verdeutlicht die steigenden Herausforderungen für die maritime Sicherheit in der Ostsee. Die strategische Bedeutung der Region erfordert eine koordinierte Antwort der Anrainerstaaten sowie eine verstärkte Aufmerksamkeit seitens der maritimen Wirtschaft. Dabei sind Schiffe wie die „Arne“ ein typisches Beispiel für die vielen Handelsschiffe, die täglich durch die Ostsee navigieren und einen wichtigen Beitrag zum Warenverkehr in Europa leisten. Während Verdachtsmomente ernst genommen werden müssen, ist es ebenso wichtig, Fakten zu überprüfen und sich auf verifizierte Informationen zu stützen.
Hans Uwe Mergener und Michael Nitz