Damaskus ist gefallen, der syrische Diktator Bashar al Assad nach Moskau geflohen. Die islamistische Gruppe Hayat Tahrir Al-Sham (HTS) und weitere militante Rebellengruppen nahmen Anfang Dezember in einer Art Blitzoffensive große Teile Syriens ein, darunter die Millionenstädte Aleppo und Hama und letztendlich auch die Hauptstadt Damaskus. Damit endet der seit 2011 andauernde und zwischenzeitlich eingefrorene Bürgerkrieg in Syrien abrupt und mit ungewissen Konsequenzen.
Nachdem die bewaffneten Gruppen in Aleppo kaum auf Widerstand trafen, wehrten sich syrische Regimetruppen in Hama. Unterstützt von der russischen Luftwaffe flog die syrische Armee auch Luftangriffe auf die HTS und ihre Verbündeten. Trotz der Luftschläge konnten die Gruppen Homs relativ schnell einnehmen. Nachdem kurdische Kämpfer auch im Osten Ziele einnahmen, zogen sich syrische Regimetruppen schnell zurück. Als drei von fünf Großstädten des Landes unter Rebellenkontrolle lagen, floh Bashar al-Assad aus Damaskus. Regierungstruppen leisteten keinen Widerstand mehr und der Ministerpräsident leitete Prozesse für eine friedliche Machtübernahme der Rebellengruppen in die Wege. In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde das Ende von 50 Jahren autokratischer Kontrolle der Assad Familie verkündet, Menschen in Damaskus feierten auf der Straße.

Wer sind die Rebellen?
Die islamistische bewaffnete Gruppe Hayat Tahrir Al-Sham ist maßgeblich für den Erfolg der Rebellion verantwortlich und führte die Anfangsoffensive auf Aleppo und Hama. Sie kämpfte zusammen mit der syrischen Nationalarmee (SNA). Die SNA wird massiv von der Türkei unterstützt, da sie auch gegen die kurdischen Gruppen in Rojava vorgeht.
Hayat Tahrir Al-Sham (HTS) ist ein Zusammenschluss verschiedener militanter Gruppen, die das Chaos der letzten 10 Jahre Bürgerkrieg hervorbrachte. Ursprünglich als Jabhat al Nusra bekannt, war die Kerngruppe der HTS während den Hochzeiten des syrischen Bürgerkriegs ein Ableger des berüchtigten islamistischen Al Qaeda Terrornetzwerkes.
HTS distanziert sich heute jedoch von seinen Ursprüngen im extremen Islamismus. Sie weigerte sich in den Zeiten des Bürgerkrieges dem islamischen Staat (IS) beizutreten. In einem Interview mit CNN im Dezember äußert sich der Führer der bewaffneten Gruppe, Abu Mohammad al-Jolani kritisch gegenüber Praktiken des sogenannten „Gotteskrieges“. Menschen in von HTS kontrollierten Gebieten hätten keinen Grund sich vor extremistischer Verfolgung zu fürchten, so Jolani sinngemäß im Gespräch mit CNN. Syrien brauche unabhängige Institutionen und Kooperation verschiedener religiöser Gruppen.
Ob die HTS wirklich eine religiös diverse Gesellschaft dulden wird, bleibt abzuwarten. Das Hauptziel der Gruppe war bis jetzt immer der Sturz Assads. Weltmächte beobachten gespannt, wie die HTS nun mit ihrer neu erlangten Verantwortung und Macht umgeht.

Internationale Konsequenzen
Die USA kündigten an, trotz des Machtwechsels ihre Truppen nicht abzuziehen. An die 1000 US-Soldaten sind immer noch im Nordosten Syriens stationiert. Sie sollen ihre kurdischen Partner vor Ort unterstützen und den in manchen Gebieten immer noch operierenden islamischen Staat im Zaum halten. Dafür fliegt die U.S. Air Force regelmäßig Angriffe, worüber ESuT berichtete .
Die Gefahr einer neuen Machtergreifung durch den IS ist besonders in unsicheren Zeiten mit einem Machtvakuum groß. US-Präsident Biden definierte nach dem Sturz Assads auf die fortgesetzte US-Militärpräsenz wie folgt: „Unterstützung für unsere Partner, Sanktionen und Diplomatie sowie gezielte militärische Gewalt, wenn nötig“.
Die Unterstützung der US-Partner dreht sich neben den kurdischen Milizen wohl vor allem um Israel. Israel, engster Partner der USA in der Region, grenzt an Syrien und besetzt bis heute die Golanhöhen, die völkerrechtlich zu Syrien gehören. Als Reaktion auf die Machtübernahme bombardierte Israel am Wochenende Waffendepots der syrischen Armee in Damaskus. Die israelischen Angriffe galten wohl dort gelagerten Chemiewaffen, die den Rebellen nicht in die Hände fallen sollten.
Doch nicht nur die USA haben geopolitisches Interesse an der Lage in Syrien. Russland kontrolliert in Syrien zwei strategisch wichtige Militärstützpunkte in Hmeimim und Tartus am Mittelmeer. Für Moskau ist der Sturz Assads ein herber Schlag. Russland unterstützte das Regime seit Jahren militärisch sowie diplomatisch und nutzte die Stützpunkte als Einflusssphären im Nahen Osten und Afrika. Nach Angaben des russischen Staatsfernsehens ist der Kreml bereits im Kontakt mit Führern der Rebellengruppen. Man habe Sicherheitsgarantien für die Stützpunkte der russischen Streitkräfte erhalten. Trotzdem ist die Zukunft des russischen Engagements in der Region ungewiss, abgesehen vom massivem Imageverlust für Moskau und Teheran.

Erfolg der Rebellen
Doch wie konnte es trotz russischer und iranischer Unterstützung für Assad überhaupt zu so einer schnellen Eroberung kommen?
Die Kriegsführung der HTS überforderte die Verteidiger. Sie ist für eine nicht staatliche Gruppe sehr gut ausgerüstet, setzte gepanzerte Fahrzeuge ein und nutzte auch Drohnenangriffe nach Vorbild des Ukraine Krieges. Dabei sollen sie sogar selbst Drohnen produziert haben.
Ihrer Ausstattung nach erhielt sie substanzielle Hilfe von ausländischen Akteuren. Weiter nördlich kämpft die HTS zusammen mit der syrischen Nationalarmee (SNA), einem Zusammenschluss mehrerer Rebellengruppen, gegen Assad-Truppen. Die SNA wird massiv von der Türkei unterstützt, da sie gegen die kurdischen Gruppen vorgeht, die Ankara als Bedrohung empfindet. Es ist also wahrscheinlich, dass die Türkei auch die HTS unterstützt. Auf sozialen Medien sind Fotos von HTS-Kämpfern mit türkischen Flaggen zu finden.
Auch der Israel-Libanon Konflikt spielt bei dem Erfolg der HTS eine Rolle. Kämpfer der Hisbollah unterstützten in der Vergangenheit unter Kommando der iranischen Revolutionsgarden das Assad Regime. Die Einbindung der Hisbollah an der eigenen Front mit Israel sorgte jedoch in den letzten Monaten für kaum vorhandene Kapazitäten in Syrien.
Dazu kommt die allgemeine Aushöhlung der syrischen Regimetruppen über die letzten Jahre, in denen der Konflikt weitgehend eingestellt war. Auch Geheimdienstapparate Assads waren nicht auf eine so schnelle Eroberung durch die HTS vorbereitet.
Zusätzlich war und ist Syrien seit Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 ein geopolitischer Spielball verschiedenster Regionalmächte. Die Türkei bekämpft an der nördlichen Grenze kurdische autonome Gruppen der Region Rojava. Ein NATO-Partner der Türkei, die USA unterstützen jedoch diese kurdischen Gruppen, auch weil sie im Krieg gegen den IS eine große Hilfe waren. Russland und der Iran unterstützten das Assad Regime, auch mit Hilfe von Proxies wie der Hisbollah. Israel wiederum flog deshalb das letzte Jahr über hinweg Luftangriffe gegen Assads Regierungstruppen. Dieses verschränkte Netzwerk gegenseitiger Interessen hat Syrien von jeher destabilisiert und die Sicherheitslage unübersichtlicher gemacht – auch für das Assad-Regime, das die Offensive der Rebellen nicht vorhersehen konnte.
Jannis Düngemann











