In den sicherheits- und verteidigungspolitischen Positionen wurde der neu geschaffene ‚Verteidigungskommissar‘ durch die Anhörung im Europäischen Parlament bestätigt. Kaja Kallas, die Kandidatin als Hohe Vertreterin, gehört zu dem Korb der unter Diskussion stehenden Vizepräsidenten.
Andrius Kubilius, designierter Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt, überzeugte seinem Plan zur Stärkung einer unabhängigen europäischen Verteidigungs- und Raumfahrtpolitik. Er forderte eine robuste Verteidigungsstrategie, einen einheitlichen europäischen Verteidigungsmarkt und höhere Investitionen, um Europa auf militärische Krisen, insbesondere russische Bedrohungen, vorzubereiten. Seine Argumentationslinie griff Elemente aus dem Bericht des ehemaligen finnischen Präsidenten Sauli Niinistö zur Bereitschaft europäischer militärischer und ziviler Kräfte auf.
Im Hinblick auf die Finanzierung von Verteidigungsanstrengungen plädierte Kubilius für eine deutliche Erhöhung des derzeit begrenzten Verteidigungsbudgets von 10 Milliarden Euro. Er schlug vor, ungenutzte europäische Mittel umzuwidmen oder Anleihen zu nutzen und setzte sich für eine Reform der Kreditvergabepraktiken der Europäischen Investitionsbank ein. Kubilius argumentierte, dass Verteidigungsausgaben nicht als zusätzliche Belastung für nationale Haushalte betrachtet werden sollten, sondern als notwendige Investitionen in die Sicherheit Europas angesichts externer Bedrohungen, insbesondere durch Russland. „Wir mehr ausgeben müssen, aber nicht wegen Trump, sondern wegen Putin“.
Zudem betonte er die Bedeutung der Ukraine-Unterstützung, einschließlich der Integration der ukrainischen Verteidigungsindustrie in den europäischen Markt. Im Raumfahrtbereich plädierte er für autonomes Handeln und eine stärkere Rolle des privaten Sektors.
Kubilius erhielt mit 164 von 110 erforderlichen Stimmen breite Zustimmung und kann sich auf seine Amtsübernahme vorbereiten.
Die Kandidatin für die Position der Hohen Vertreterin der EU, Kaja Kallas, betonte in ihrer Anhörung die Bedeutung einer stärkeren geopolitischen und wirtschaftlichen Position der EU sowie die Notwendigkeit erhöhter Verteidigungsinvestitionen und internationaler Zusammenarbeit. Für die ehemalige Premierministerin Estlands hat ein Sieg der Ukraine Priorität, sie setzt sich für umfassende Unterstützung ein. Weiter mit Blick auf die Ukraine sprach sie sich für den Beitritt des Landes zur EU aus und betonte, dass die Erweiterung auf Nachbarländer eine geostrategische Investition sei, die im eigenen Interesse der EU liege: „In den nächsten fünf Jahren brauchen wir hier klare Ergebnisse.“
Innerhalb der von ihr zu vertretenden Politikbereiche steht sie für klare Fortschritte bei der EU-Erweiterung in den nächsten fünf Jahren und betonte deren geostrategische Bedeutung. Bezüglich Migration müsse die EU ihre Außengrenzen stärken und gleichzeitig die Ursachen der Migration angehen. Sie warnte vor Abhängigkeiten von China in Schlüsselbereichen und plädierte für ein Risikomanagement. Um russische Aggressionen abzuschrecken, forderte sie höhere europäische Verteidigungsausgaben. Bezüglich der „erheblichen Unterinvestition“ Europas in Sachen Verteidigung sagte sie, dass eine Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten Europas als starke Abschreckung wirken würde: „Es würde Russland sagen, denk nicht mal dran, weil wir zurückschlagen werden.“
Die transatlantische Partnerschaft hob sie als zentralen Pfeiler für Sicherheit hervor. Kallas unterstrich die Rolle der EU als globaler Akteur, der eng mit der NATO zusammenarbeitet, ohne deren Aufgaben zu duplizieren. Kallas ist der festen Überzeugung, dass die EU keine eigenen militärischen Kräfte neben der NATO brauche. Die Rolle der EU bestünde vielmehr darin, die Verteidigungsindustrie zu stärken und Rüstungsgüter zu produzieren. Für sie bedeutet eine rüstungsindustriell optimierte EU eine gleichzeitige Stärkung der NATO. Bemerkenswert ist ihre Aussage: „Ich glaube nicht, dass die Europäische Union von der NATO getrennte militärische Kräfte braucht. Denn im Falle einer großen militärischen Krise ist es sehr wichtig, wie die Befehlskette aussieht, d. h. wer wem Befehle erteilt. Wenn wir zwei parallele Strukturen haben, könnte der Ball einfach zwischen die Stühle fallen, und das brauchen wir nicht. Daher sehe ich wirklich eine Synergie zwischen der NATO und der Europäischen Union, in dem Sinne, dass die NATO die militärischen Pläne vorbereitet, während sich die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten darauf konzentrieren, wie diese Munition und Fähigkeiten zustande kommen.
Nicht nur militärisch tritt sie für die transatlantische Beziehung ein, weil „ich global sehe, dass wir die stärksten Verbündeten sind und zusammenhalten müssen“.
Kallas unterstützte dauerhafte Sanktionen gegen Russland und plädierte im Nahostkonflikt für einen Waffenstillstand, humanitäre Hilfe sowie eine Zwei-Staaten-Lösung.
Ihr Fokus einer gestärkten globalen Rolle der EU kam bei der Anhörung an.
Regierungslatenz und Weißbuch
Bis Redaktionsschluss herrschte Unsicherheit, ob die Kommission zum 1. Dezember ihre Legislatur antreten kann. Womit das Risiko besteht, dass Europas Exekutivorgan bei der Übergabe des Weißen Hauses noch von der Vorgängerriege verwaltet wird.
Sollte Kallas bestätigt werden, kommt auf sie und dem ‚Verteidigungskommissar‘ Kubilius die Aufgabe zu, innerhalb der ersten hundert Tage im Amt ein Weißbuch zur Verteidigungspolitik der EU vorzulegen.
Hans Uwe Mergener