Die Bundesregierung will der Ukraine bis zu 4.000 Strikedrohnen liefern. Die Drohnen werden von der Firma Helsing mithilfe von fortschrittlicher KI programmiert und sollen eine Reichweite von 100 km haben. Dabei besitzen sie einen wichtigen taktischen Vorteil.
Drohnen statt Taurus?
Heute, am 19. November 2024, wird die Ukraine seit 1.000 Tagen vom Nachbarland Russland angegriffen. Seit einem Großteil dieser 1.000 Tage bittet die Ukraine den Westen um die Erlaubnis, Ziele in Russland mit westlichen Langstreckenwaffen anzugreifen. Nach langem Zögern erlaubte Präsident Biden nun den Einsatz von ATACMS im russischen Gebiet Kursk. Großbritannien und Frankreich zogen nach und gaben die Freigabe für den begrenzten Einsatz auf russischem Boden. Nur Deutschland hält sich noch zurück. Scholz blieb bei seinem Nein zur Taurus-Lieferung, auch weil deutsche Soldaten bei der Programmierung des Marschflugkörpers direkt involviert wären. (ESUT berichtete) Dieses kategorische Nein wird jedoch nun von der Lieferung deutscher Kamikazedrohnen an die Ukraine überschattet.
Nachdem eine Lieferung in dieser Richtung bereits im Juni angekündigt wurde, sickerten jetzt technische Details und der Hersteller der Drohnen durch. Laut Bild sollen die Drohnen bereits in den nächsten Wochen ausgeliefert werden. Verteidigungsminister Pistorius bestätigte bei einem Besuch bei Airbus die Lieferung und nannte weitere interessante Details.
Die Kamikaze-Drohnen sollen vom Rüstungsunternehmen Helsing mit einer fortgeschrittenen künstlichen Intelligenz ausgestattet sein. Dabei liefert Helsing nur die Software. Welches Unternehmen die Drohnenhardware zur Verfügung stellt, ist bisher nicht bekannt. In Medienberichten wird die Drohne als HX2 Karma bezeichnet. Pistorius sprach beim Airbusbesuch davon, dass die Drohnen 40 bis 50 km ins „Hinterland“ der Front vordringen können. Das würde mit der von anderen Quellen genannten Reichweite von 100 km korrespondieren. Über die Stärke der verbauten Sprenglast ist noch nichts bekannt, vergleichbare Systeme wie die Switchblade 600 können aber Sprenglasten von bis zu 15 kg aufnehmen.
GPS-unabhängig und schwarmfähig durch KI
Um auf diese Reichweite zielgenau zu treffen, rüstet Helsing die HX2 Karma mit fortgeschrittenen Navigationssystemen aus. Dafür setzt Helsing seine Altra-KI ein, die durch Echtzeitvergleich von Aufklärungsdaten selbstständig die Zieleingabe und Positionsbestimmung übernimmt. Das heißt, dass die KI durch Satellitenbilder ihre Flugbahn berechnet und somit auch bei einem Verbindungsabbruch selbstständig zum angegebenen Ziel navigieren kann. Dafür müssten die HX2 Karma aber auch mit Aufklärungssystemen und Sensoren interagieren können. Altra ermöglicht den Drohnen damit, auch in Gebieten mit feindlichen GPS-Jammern treffsicher zu agieren. Durch die ausgefeilten russischen Fähigkeiten in elektronischer Kriegsführung konnten viele auf GPS basierende westliche Waffen bisher kaum ihr volles Potenzial ausschöpfen. Auch könnte die von Helsing genutzte Altra-KI die Drohnen schwarmfähig machen. So würden dann mehrere Kamikazedrohnen im Verband koordiniert Ziele angreifen. Kombiniert mit der Reichweite von bis zu 100 km könnten die Drohnen dabei wichtige logistische Knotenpunkte, Kommandostrukturen und vielleicht sogar Flugplätze der russischen Streitkräfte angreifen. Auch sind die Kosten wohl geringer als bei ähnlichen Drohnen. Das lässt auf weniger Sensorik in der Drohne selbst schließen.
Der Hersteller Helsing aus München ist auf KI-Anwendungen im militärischen Bereich spezialisiert. Er beliefert Firmen wie Airbus, Rheinmetall und Saab. Ihre KI-Systeme sind bereits in manchen Strukturen der Bundeswehr und der britischen Streitkräfte integriert.
Bedeutung für die Ukraine
Der Zeitpunkt zum Veröffentlichen der Details kommt für die Bundesregierung günstig, da die Diskussion um die Drohnen die weiteren Taurus-Marschflugkörper-Forderungen überlagert. Und wenn Helsings KI hält, was sie verspricht, dann könnten die Drohnen sich als mindestens genauso wertvoll für die Ukraine herausstellen wie der Taurus. Denn die angekündigte Stückzahl von 4.000 wäre eine enorme Verbesserung der ukrainischen Offensivfähigkeiten und könnte der russischen Armee auch hinter der Front Probleme bereiten. Wenn die Drohnen über genug Sprengkraft zur Bekämpfung von Panzerfahrzeugen verfügen, machen sie das für die Ukraine zu einer effizienten Panzerabwehr. Auch in Kombination mit Langstreckenwaffen der anderen westlichen Partner liefert Deutschland also ein Waffensystem, das echte Veränderungen bringen könnte. Der Zeitpunkt hängt jedoch einmal wieder von politischem Kalkül ab und kommt vermutlich zu spät.
Jannis Düngemann