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Zahlreiche maritime Infrastrukturen sind von zentraler Bedeutung für die Versorgung und das Wohlergehen der Bevölkerung und werden daher als Kritische Infrastrukturen eingestuft. Angesichts wachsender Bedrohungen gewinnt ihre Fähigkeit, Störungen standzuhalten und sich schnell zu erholen, zunehmend an Bedeutung.

Maritime KRITIS

Kritische Infrastrukturen (KRITIS) umfassen Einrichtungen, Systeme oder deren Bestandteile, die für das reibungslose Funktionieren einer Gesellschaft und ihrer Wirtschaft unverzichtbar sind. Ein Ausfall oder eine Beeinträchtigung dieser Strukturen hätten schwerwiegende Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit, das wirtschaftliche Wohlergehen und die Gesundheit der Bevölkerung. Dazu zählen auch zahlreiche maritime Infrastrukturen in Deutschland. Häfen sowie Schifffahrtsrouten wie der Nord-Ostsee-Kanal sind für den deutschen Import und Export von großer Bedeutung. Ebenso spielen maritime Infrastrukturen eine zentrale Rolle in der Energieversorgung. Offshore-Windparks sollen zukünftig bis zu 25 Prozent der deutschen Bruttostromerzeugung liefern, während Unterwasserpipelines einen erheblichen Teil des importierten Erdgases bereitstellen. Auch für die Informationstechnik und Telekommunikation sind maritime Systeme unerlässlich, da fast der gesamte globale Datenverkehr über Unterseekabel abgewickelt werden.

Daher ist die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit und der Schutz dieser Infrastrukturen vor natürlichen und von Menschen ausgehenden Bedrohungen, wie etwa physischen Angriffen, von wesentlicher Bedeutung.

Seehäfen sind weltweit eine Kritische Infrastruktur (Fotos: DLR)

Anforderungen an den Schutz

Die Anforderungen an den Schutz Kritischer maritimer Infrastrukturen unterscheiden sich in mehreren Aspekten deutlich von denen an Land. Zum einen liegt dies an der erheblichen räumlichen Ausdehnung der zu überwachenden Gebiete: Die deutschen Meeresflächen in Nord- und Ostsee entsprechen zusammen in etwa der Größe Kroatiens. Zudem haben die maritimen Infrastrukturen selbst oft beträchtliche Ausmaße. Offshore-Windparks können sich beispielsweise über mehr als 100 km² erstrecken und Unterwasserpipelines können Längen von Hunderten von Kilometern erreichen. Diese weiten Entfernungen und die Tatsache, dass Interventionskräfte meist in Küstennähe oder auf Inseln stationiert sind, führen zu verlängerten Reaktionszeiten. Luftfahrzeuge benötigen häufig mehr als 30 Minuten, Wasserfahrzeuge sogar mehrere Stunden, um den Einsatzort zu erreichen. Dies erschwert eine schnelle Reaktion auf bedrohliche Vorfälle erheblich.

Eine weitere Herausforderung beim Schutz maritimer Infrastrukturen ist ihre multidimensionale Natur. Zu den Bereichen, die überwacht und geschützt werden müssen, zählen der Meeresboden für Pipelines und Unterseekabel, der Unterwasserbereich zur Erkennung von Bedrohungen durch Unterwasserfahrzeuge, die Wasseroberfläche für Offshore-Windparks und Plattformen, der Luftraum zum Schutz vor Drohnenangriffen sowie der Cyberraum.

Resilienzfähigkeiten

Angelehnt an die Definition des Büros der Vereinten Nationen für Katastrophenvorsorge (UNDRR) lässt sich die Resilienz einer Infrastruktur als deren Befähigung beschreiben, den Auswirkungen von Störungen rechtzeitig und effizient zu widerstehen, diese zu absorbieren, sich daran anzupassen und sich davon zu erholen. Für Kritische Infrastrukturen sind insbesondere folgende Systemfähigkeiten essenziell: Absorptionsfähigkeit, Wiederherstellungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit.

Offshore-Windparks sind von zunehmender Bedeutung für die deutsche Energieversorgung

Die Absorptionsfähigkeit eines Systems zielt darauf ab, die anfänglichen negativen Auswirkungen einer Störung zu verringern und gleichzeitig die Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Sie umfasst Maßnahmen, die entweder automatisch oder mit minimalem Aufwand aktiviert werden können, einschließlich Schutzmaßnahmen, die gewöhnlich auf einzelne Szenarien ausgerichtet sind. Die Wiederherstellungsfähigkeit basiert auf Maßnahmen, die ergriffen werden, um die Folgen einer Störung rückgängig zu machen. Dazu zählen der Einsatz von Reparaturteams, das Vorhandensein von Notfallplänen, eine kompetente Reaktionsfähigkeit im Ernstfall sowie die effiziente Verteilung von Personal und Ressourcen. Die Anpassungsfähigkeit bezieht sich auf die Fähigkeit eines Systems, sich zu verändern, um künftigen Störungen wirksam entgegenzutreten. Dies bedeutet, dass das System seine Strategien oder Arbeitsweisen anpasst und aus früheren Störungen lernt. Maßnahmen zur Förderung dieser Anpassungsfähigkeit umfassen die Aktualisierung von Plänen, die Anpassung von Abläufen sowie die Einführung neuer Werkzeuge, Technologien und Schulungen, um optimal auf kommende Gefahren vorbereitet zu sein.

Resilienzprinzipien spielen eine entscheidende Rolle bei der Festlegung geeigneter Maßnahmen. Sie beschreiben grundlegende Regeln, Richtlinien oder Ziele, die für die Entwicklung und Gestaltung resilienter Systeme unerlässlich sind. Zu den häufig angewandten Prinzipien gehören Antizipationsvermögen, Diversität, Flexibilität, Modularität, Redundanz und Überwachung. Diese Prinzipien wirken je nach Kontext und Art der Störung unterschiedlich. So fördert beispielsweise Diversität die Anpassungsfähigkeit, indem sie verschiedene Reaktionsmöglichkeiten auf neue Herausforderungen bietet, während Redundanz die Absorptionsfähigkeit durch zusätzliche Kapazitäten verstärkt.

Ansätze zur Erhöhung der Resilienz
Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz maritimer Kritischer Infrastrukturen gegenüber physischen Bedrohungen lassen sich in die Bereiche multidimensionale Seeraumüberwachung, Lagebewusstsein, Schutzmaßnahmen und systemische Ansätze unterteilen.

Multidimensionale Seeraumüberwachung
Sie basiert auf dem Resilienzprinzip Überwachung und nutzt eine Kombination aus Sensorsystemen und -plattformen, um alle maritimen Dimensionen – Meeresboden, Unterwasser, Wasseroberfläche, Luftraum und Cyberraum – zu überwachen. Ziel ist es, Objekte, Personen, Umweltparameter, Veränderungen an Infrastrukturen sowie die Abläufe innerhalb der Infrastrukturen zu erfassen. Im Bereich der Wasseroberfläche und des Luftraums existiert eine Vielzahl von Sensoren, die hauptsächlich im elektromagnetischen Spektrum arbeiten. Dazu gehören optische Kameras, LiDAR-Sensoren, Radarsysteme wie Over-the-Horizon-Radar und Synthetic Aperture Radar sowie hyper- und multispektrale Sensorsysteme. Das Automatic Identification System (AIS) wird zur Identifizierung und Positionsbestimmung von Schiffen eingesetzt und ist weit verbreitet, jedoch anfällig für Manipulationen. Nicht zuletzt deshalb wird auch Open-Source Intelligence (OSINT), die Informationen aus frei zugänglichen Quellen gewinnt, zunehmend wichtiger. Im Unterwasserbereich sind elektromagnetische Sensoren aufgrund starker Dämpfungseffekte nur eingeschränkt einsetzbar. Hier kommen vor allem akustische Systeme wie Sonar zum Einsatz. Zudem gewinnen Systeme an Bedeutung, die Lichtwellenleiterkabel zur Datenübertragung und als Sensoren nutzen. Die Sensorsysteme können stationär installiert oder auf mobilen Plattformen eingesetzt werden. Klassische Plattformen im maritimen Umfeld sind Satelliten, Luftfahrzeuge sowie Über- und Unterwasserfahrzeuge. Auch Drohnen – fliegend, schwimmend und tauchend – werden vermehrt für Überwachungsaufgaben genutzt.

Lagebewusstsein
Dieses orientiert sich an den Resilienzprinzipien Situationsbewusstsein und Antizipationsvermögen und umfasst primär Lösungen zur Sensordatenfusion, -analyse und zur Erstellung eines umfassenden Lagebildes. Ziel ist es, die Informationen der Sensoren zu integrieren, um die aktuelle Situation präzise darzustellen. Durch automatische Erkennung, Klassifizierung und Identifikation von Objekten sollen zusätzliche Erkenntnisse gewonnen werden. Hierbei kommen verstärkt Methoden des maschinellen Lernens zum Einsatz, die beispielsweise Anomalien erkennen können, wie ungewöhnliches Schiffsverhalten oder verdächtige Objekte in der Nähe Kritischer Infrastrukturen.

Maritime Lagebilder erweitern und verbessern: der DLR Sensorverbund für die maritime Sicherheit

Schutzmaßnahmen
Schutzmaßnahmen folgen im Wesentlichen dem Resilienzprinzip Robustheit und zielen darauf ab, bekannte Störereignisse zu verhindern oder deren Auswirkungen zu minimieren.

Im maritimen Raum sind solche Maßnahmen aufgrund der großen räumlichen Ausdehnung jedoch stark eingeschränkt. Daher ist das Zusammenspiel zwischen umfassendem Lagebewusstsein und verfügbaren Interventionskräften von zentraler Bedeutung, um eine effektive und zeitnahe Reaktion sicherzustellen. Bei Angreifern, die unerkannt bleiben wollen, wie es bei hybriden Bedrohungen durch staatliche oder private Akteure häufig der Fall ist, kann das gezielte Ansprechen per Funk sowie die sichtbare Überwachung durch Schiffe oder Drohnen wirkungsvoll sein. Physische Schutzmaßnahmen wie schwimmende Barrieren und Unterwassernetze bieten zusätzlichen Schutz, sind jedoch aufgrund der Weitläufigkeit vieler maritimer Infrastrukturen nur begrenzt einsetzbar.

Drohnenabwehrsysteme gewinnen zunehmend an Bedeutung und werden in den drei Dimensionen Unterwasser, Wasseroberfläche und Luftraum eingesetzt.

Systemische Ansätze
Diese konzentrieren sich auf Maßnahmen, die sowohl die Absorptionsfähigkeit vor einem Ereignis als auch die Wiederherstellungsfähigkeit nach einem erfolgreichen Angriff stärken.

Dazu zählen insbesondere Redundanzmaßnahmen und die Optimierung der Reparaturkapazitäten. Redundanz kann beispielsweise durch die Verlegung mehrerer räumlich getrennt verlaufender Unterseekabel oder die redundante Auslegung kritischer Infrastrukturelemente erreicht werden. Die Reparaturfähigkeit lässt sich durch Maßnahmen wie die Bereitstellung von Kabelverlegungsschiffen, die Lagerung wichtiger Ersatzteile sowie die Etablierung stabiler Lieferketten und Vereinbarungen mit Herstellern und Zulieferern verbessern, um eine schnelle Beschaffung benötigter Komponenten sicherzustellen.

Fazit

Der Schutz maritimer Infrastrukturen stellt aufgrund vielfältiger Bedrohungen, ihrer großen räumlichen Ausdehnung und der Multidimensionalität eine komplexe Herausforderung dar.

Diese Infrastrukturen sind für die Wirtschaft und Energieversorgung eines Landes von zentraler Bedeutung und werden daher häufig als Kritische Infrastrukturen eingestuft. Um Störungen standzuhalten und die Funktionsfähigkeit schnell wiederherzustellen, ist Resilienz unerlässlich. Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz umfassen multidimensionale Überwachung, Situationsbewusstsein, Schutzstrategien und systemische Ansätze. Eine umfassende und integrierte Umsetzung dieser Maßnahmen ist entscheidend, um die langfristige Sicherheit und Widerstandsfähigkeit maritimer Infrastrukturen zu gewährleisten.

Dr.-Ing. habil. Frank Sill Torres ist kommissarischer Direktor des Instituts für den Schutz maritimer Infrastrukturen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) in Bremerhaven.