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Unter dem Motto „(Re-)Learning War – Lessons from the Black Sea“ veranstaltete das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) in diesem Jahr erstmalig gemeinsam mit dem German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS) das Kiel International Seapower Symposium (KISS). Traditionell fiel die hochkarätige Tagung mit dem Auftakt zur Kieler Woche 2024 und dem Hafenaufenthalt der Teilnehmer des jährlichen Marinemanövers „Baltops“ zusammen.

Seit 2015 bietet das Symposium eine Plattform zum Austausch in der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit sowie um Verbindungen zwischen Lehre (Akademie) und Praxis (Marine) zu festigen. Die „Chatham House Rule“ förderte dabei den offenen Dialog und ehrliche Diskussion über die aktuellen Herausforderungen und Zukunftsperspektiven von Seestreitkräften und Seapower. Die Hauptkonferenz bringt mehr als 100 Experten aus Streitkräften, Wissenschaft, Politik, NGOs und Wehrtechnik zusammen. Ein wissenschaftlicher Workshop am Rande der Tagung findet mehr und mehr Beachtung.

Foto/Grafik: KISS

Bei Europas dezidiertem jährlichen Forum für maritime Sicherheit und Seestrategie präsentierten in diesem Jahr Experten aus Wissenschaft, Politik, Militär und Nichtregierungsorganisationen ihre Perspektiven über die maritime Dimension des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. Der rote Faden des Tages war die Frage, inwiefern der Schwarzmeer-Konflikt als Vorlage für zukünftige Seekriege dienen kann oder ob er eine potenziell gefährliche Ablenkung für westliche Marinen darstellt. Gleichzeitig stand die Frage im Raum, inwieweit das Schwarzmeer ein Center of Gravity im Krieg sei und damit womöglich für den Ausgang des Konflikts entscheidend sei. Einigkeit herrschte darüber, dass der Krieg in der Ukraine Innovationen auch in der Seekriegführung fördert. Dazu gehört u.a. der Einsatz von maritimen Drohnen gegen große Überwasserkampfschiffe.

Demgegenüber stellt der Krieg in der Ukraine eine gewisse Behäbigkeit auf Seiten der NATO heraus. Die Umsetzung der aus dem Schlachtfeld resultierenden Lessons Learned in die Organisation hinein ist alles andere als einfach. Was fehlt, ist die Agilität, auf neue Bedrohungen zu reagieren. Gerade mit dem Krieg in der Ukraine wird vorgeführt, dass technologischer Fortschritt und taktische Weiterentwicklung Hand in Hand gehen. Der Verteidigungsplanungsprozess sollte schneller Lösungen zur Verfügung stellen und mehr am Ergebnis orientiert sein als am Prozess, so wie derzeit oft beobachtet. Allerdings herrscht in der NATO ein traditionelles Spannungsverhältnis zwischen den nationalen Einflüssen und der allianzgemeinsamen Interoperabilität und Austauschbarkeit.

Zu den wichtigsten Erkenntnissen des Symposiums zählte die Bedeutung der Ständigen Maritimen Einsatzgruppen der NATO. Hierbei richtete sich der Blick gerade auf die Deutsche Marine, die mehr Kräfte zur Verfügung stellen sollte. Es ist zu betonen, dass das KISS kein Format der Deutschen Marine ist, sondern unabhängig, wiewohl aber mit Unterstützung aus Rostock veranstaltet wird. Andererseits hat die NATO ein Schisma in der Wahrnehmung zu überwinden: Sie muss die Reaktionen als Allianz mit ihren Einsatzgruppen und Übungen mit den nationalen Vorgehensweisen harmonisieren. Anzustreben wäre vielmehr, die nationalen Aktivitäten als Maßnahmen in der Abschreckung des alliierten Gesamtorganismus zu präsentieren, sodass das Ganze mehr als die Summe seiner Einzelteile erscheint. Gerade die Ostsee könnte als Blaupause dienen: Die Handlungen scheinen aufeinander abgestimmt, sodass es nicht aussieht, als betreibe jede Marine ihr eigenes Geschäft.

Zu den vielen Einzelerkenntnissen des Tages gehörte die Frage, ob der finnische und schwedische NATO-Beitritt nicht eine Überarbeitung des klassischen Reinforcement erforderlich macht. Die skandinavische Landkarte zeigt einen Verlauf der maßgeblichen Verkehrswege in Nord-Süd-Richtung. Nunmehr könnten die Bewegungen eher in West-Ost-Richtung ausgelegt werden, was Auswirkungen auf das Streitkräftedispositiv hätte. Es zeigte sich, dass die Lektionen aus dem Schwarzmeerraum auch konkrete Konsequenzen für die Nordflanke haben. Seegebiete müssten daher in Verbindung gedacht, in ihrer Beziehung zueinander betrachtet und strategisch aufgestellt werden. Für Russland und seine maritime Strategie wird angesichts der Montreux-Konvention das Schwarze Meer dagegen weiter ein schwieriges Rätsel bleiben. Der Kriegsverlauf im Russland-Ukraine-Krieg wird weiterhin maritime Auswirkungen haben, die umfassend wohl erst nach Kriegsende beurteilt werden können.

Auf das nächste KISS am 19. Juni 2025 kann man sich schon jetzt freuen!

Hans-Uwe Mergener