Am 5. Juni hat das Bundeskabinett neue Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung beschlossen, in denen erstmals hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe behandelt werden. Angesichts der veränderten Sicherheitslage will die Bundesregierung die militärische und zivile Verteidigung stärken.
Die Überarbeitung der Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung (RRGV) ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der nationalen Sicherheit, schreiben die zuständigen Ministerien der Verteidigung und des Inneren in ein er gemeinsamen Pressemitteilung. Demnach beschreiben die neugefassten RRGV die notwendigen Maßnahmen und Strukturen, um die Unabhängigkeit und Souveränität Deutschlands in Krisen- und Konfliktzeiten zu sichern. Die Rahmenrichtlinien stellen sicher, dass alle relevanten Akteure – von der Bundeswehr über die Hilfsorganisationen bis hin zu den Zivilschutzbehörden – ihre Rollen und Verantwortlichkeiten in Krisenzeiten klar erfüllen können. Die neuen Richtlinien lösen die RRGV von 1989 ab.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser: „Wir setzen auf integrierte Sicherheit. Alle staatlichen Ebenen müssen eng zusammenwirken. Die militärische und zivile Verteidigung haben wir eng verzahnt. Neue Technologien wie unsere modernen Warnsysteme haben wir aufgebaut und in unsere Pläne integriert. Denn es ist notwendig, dass wir uns stärker wappnen. Wir haben durch die russische Aggression eine völlig veränderte Sicherheitslage in Europa – zuallererst bei unseren östlichen EU- und NATO-Partnern wie im Baltikum, aber auch durch hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe, Spionage und Desinformation bei uns. Wir müssen neben allen Schutzmaßnahmen unserer Sicherheitsbehörden und der militärischen Abschreckung und Verteidigung daher auch den Zivilschutz weiter stärken.“
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius: „Wir erleben derzeit eine verschärfte Bedrohungslage: Im Cyberraum, durch Drohnen über Bundeswehrliegenschaften, Desinformationskampagnen und klassische Sabotage. Es ist wichtig, dass wir gesamtstaatlich darauf reagieren. Deshalb stehen alle relevanten Ministerien in engem Austausch, und zwar dauerhaft. Die Gesamtverteidigung Deutschlands ist eine Aufgabe, zu der wir alle unseren Beitrag leisten müssen, staatliche und zivile Institutionen sowie jeder und jede einzelne von uns. Wir brauchen eine resiliente Gesellschaft, die mit den Herausforderungen umgehen kann. Viele leisten schon jetzt sehr wertvolle Beiträge im THW, DRK oder als Reservistinnen und Reservisten bei der Bundeswehr. Ihnen gilt mein Dank. Für den militärischen Beitrag zur Gesamtverteidigung Deutschlands haben wir mit Expertinnen und Experten aus allen Bereichen der Bundeswehr in einer gemeinsamen Planungsgruppe aus Bund, Ländern und Kommunen sowie den Blaulichtorganisationen und der Wirtschaft den Operationsplan Deutschland entwickelt. Vereinfacht ausgedrückt wird dabei festgeschrieben, wer in welchem Krisenszenario welche Aufgabe zu übernehmen hat. Diesen Plan stimmen wir derzeit auf allen relevanten politischen und gesellschaftlichen Ebenen ab.“
Mit der Neufassung wird ein maßgeblicher Baustein geschaffen, schreiben die Ministerien, um die in der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung beschriebene nötige Widerstandskraft für einen Konfliktfall zu entwickeln. Die zivile Verteidigung werde im Rahmen der Gesamtverteidigung grundlegend gestärkt und damit unter anderem auch die zivile und logistische Unterstützung für die Streitkräfte gesichert. Damit werde eine wesentliche Voraussetzung für die weitere Umsetzung des Operationsplans Deutschland geschaffen.
Als wesentliche Neuerungen wird herausgestellt:
- Bedrohungen aus dem Cyberraum und hybride Kriegsführung werden als Herausforderung der Landes- und Bündnisverteidigung in der Neufassung der RRGV beschrieben.
- Die sicherheitspolitischen Interessen und der Leitgedanke der integrierten Sicherheit aus der Nationalen Sicherheitsstrategie haben in die Neufassung ebenso Eingang gefunden wie die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2023.
- Die Rolle Deutschlands als Bündnispartner der NATO hat sich verändert. Deutschland ist nicht mehr Frontstaat, sondern dient den verbündeten Streitkräften als Drehscheibe im Herzen Europas. Hierfür bedarf es der umfassenden Unterstützung der zivilen Seite. Daher werden Unterstützungsmaßnahmen der zivilen Seite für die Bundeswehr im äußeren Notstand jetzt auf verbündete Streitkräfte erweitert.
- Die veränderten Strukturen und Neuzuschnitte der Aufgabenwahrnehmung innerhalb der Bundeswehr sind aufgenommen.
- Für den Zivilschutz ist u.a. die klare Aufgabendefinition, der Grundsatz des Doppelnutzens für Zivil- und Katastrophenschutz, sowie die Mitwirkung der Hilfsorganisationen aus dem Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe (ZSKG) in die Neufassung eingeflossen.
- Technische Weiterentwicklungen wie z.B. moderne Warnsysteme (Modulares Warnsystem, WarnApps, Cell Broadcast) oder auch die Nutzung von Geoinformationsdiensten beim Wetterdienst sind berücksichtigt.
- Die zunehmende Privatisierung wesentlicher Versorgungsleistungen für die Gesamtverteidigung war nach dem Verzicht auf ehemals staatseigene Betriebe (z.B. Bahn, Post, Telekom) ebenfalls neu zu beschreiben. Entsprechend angepasste bzw. neue Rechtsgrundlagen, wie u.a. das Telekommunikationsgesetz, das Erdölbevorratungsgesetz sowie neue Gesetze im Bereich der Notstandsgesetzgebung wie das Ernährungssicherstellungs- und -Vorsorgegesetz sind berücksichtigt.
Die Rahmenrichtlinien werden jetzt in den Strukturen umgesetzt. Im militärischen Bereich ist das relativ einfach. Da gibt es nur einen Akteur. Im zivilen Bereich sind neben dem Innenministerium mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und dem Technischen Hilfswerk als zentrale Organisationen, die Zuständigkeit für Maßnahmen und Aktionen auf die Bundesländer, Städte und Kreise und Gemeinden verteilt. Die Zusammenarbeit wird regelmäßig in Länder- und Ressortübergreifende Krisenmanagementübung (LÜKEX) trainiert. Mit den neuen Rahmenrichtlinien ergeben sich neue Themen für die Übungen.
Redaktion / gwh