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Am 9. Juni 2024 findet die Wahl zum 10. Europäischen Parlament in Deutschland statt. Um ihrem Wahlkampf ein Gesicht zu geben, haben die Parteien Spitzenkandidatinnen und -kandidaten gekürt. ES&T hat CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP sechs Fragen zur europäischen Verteidigungspolitik zugesandt, um die verschiedenen Positionen für Sie, liebe Leserinnen und Leser, vergleichbar darzustellen. Geantwortet haben Terry Reintke (Bündnis90/Die Grünen), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Manfred Weber (CSU). Keine Rückmeldung auf unsere tiefergehenden Fragen zur EU-Verteidigungspolitik gab es von Katarina Barley (SPD) und Ursula von der Leyen (CDU).

Terry Reintke ist seit 2014 Abgeordnete im Europäischen Parlament, seit 2022 Ko-Fraktionsvorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion und Spitzenkandidatin der Grünen zur diesjährigen Europawahl (Foto: Cornelis Gollhardt)
Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist seit 2017 Abgeordnete im Bundestag, seit 2021 Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und Spitzenkandidatin der FDP zur diesjährigen Europawahl (Foto: FDP)

 

 

 

 

 

 

Manfred Weber ist seit 2004 Abgeordneter im Europäischen Parlament, seit 2014 Fraktionsvorsitzender der EVP-Fraktion und Spitzenkandidat der CSU zur diesjährigen Europawahl (Foto: Tobias Koch)

ES&T: Wie bewerten Sie die aktuelle militärische Handlungsfähigkeit der EU und über welche konkreten militärischen Fähigkeiten sollte die EU Ihrer Meinung nach verfügen?

Reintke: Es war die EU, die binnen weniger Tage nach der Invasion Russlands in der Ukraine signifikante, auch militärische Unterstützung für die Ukraine über die Europäische Friedensfazilität mobilisiert hat – und das, obwohl diese noch nie zuvor auf diese Weise genutzt wurde. Dennoch ist die operative Einsatzfähigkeit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) über die letzten Jahre abnehmend. So wurden beispielsweise seit Beginn der GSVP immer weniger Truppen und Gerät von Mitgliedstaaten bereitgestellt. Auf der Führungsebene ist es auch nach vielen Jahren nicht gelungen, ein voll einsatzfähiges Hauptquartier zu entwickeln. Bei den Fähigkeiten erscheint sowohl der PESCO- als auch der Battle Groups-Prozess und andere bestehende Instrumente als nicht ausreichend. Sie können die alten Fähigkeitsziele von 1999 (60.000 Stabilisierungstruppen für ein Jahr und innerhalb von 60 Tagen vor Ort), die 2007 initiierten Gefechtsverbände (zwei Verbände à 1.500 für 30-120 Tage im Einsatz und innerhalb 10 Tage vor Ort) oder auch die neusten und richtigen Fähigkeitsprioritäten vom November 2023 noch nicht schnellstmöglich Realität werden lassen. Wir brauchen nun den politischen Willen und einen konkreten Fahrplan zur Erreichung der Ziele und der Herstellung von realen und voll einsatzbereiten GSVP-Fähigkeiten, die komplementär zur NATO sind.

Strack-Zimmermann: Die Verantwortung für die Streitkräfte liegt immer noch bei den Mitgliedsstaaten. Wir sehen in der gesamten EU deutlich steigende Investitionen und einen damit verbundenen Ausbau von Fähigkeiten. Das ist sehr wichtig für die Handlungsfähigkeit Europas. Am Beispiel der jüngsten militärischen EU-Mission – EUNAVFOR Aspides – sieht man sowohl Stärken als auch Schwächen der EU. Die am Ende beschlossene Mission ist hervorragend ausgestattet und ausgesprochen wirksam. Der Schutz der zivilen Schifffahrt vor den Angriffen der Huthi-Milizen ist gleichermaßen wichtig und gefährlich. Gleichzeitig war der Prozess zur Einsetzung der Operation im Roten Meer deutlich zu lang. Zwischen den ersten Angriffen der Milizen und dem Start der Mission lagen zwei Monate. Während die Handlungsfähigkeit also gegeben ist, mangelt es oft noch an der Handlungsschnelligkeit.

Weber: Europa ist ohne die nicht-europäischen NATO-Partner militärisch weitgehend nackt in einer Welt von Stürmen. 80 Prozent der militärischen Stärke der NATO liegen heute außerhalb der EU, nämlich in den USA, Großbritannien, Kanada und der Türkei. Europa muss verteidigungsfähiger werden, gerade auch um die NATO zu stärken. Es wird nicht dauerhaft so bleiben, dass 330 Millionen US-Amerikaner 440 Millionen Europäer verteidigen. Wir müssen eine europäische Verteidigungsunion mit integrierten Boden-, See-, Luft- und Cyberstreitkräften unter gesamteuropäischem Kommando innerhalb der NATO aufbauen. Zudem muss die Rapid Deployment Capability (RDC) als ständige EU-Eingreiftruppe jederzeit bereit sein, kurzfristige Kriseninterventionen durchzuführen. Auch brauchen wir eine europäische Cyber Defence Force, um hybride Angriffe effektiv bekämpfen zu können. Mit am wichtigsten ist der Aufbau eines europäischen Raketenabwehrschirms. Die „European Sky Shield Initiative“ (ESSI) der aktuellen Bundesregierung ist da zu kurz gedacht, zumal Frankreich, Polen, Italien und Spanien nicht daran beteiligt sind. Am Ende bleibt auch die fundamentalste Frage nach dem langfristigen nuklearen Schutzschirm für Europa und der Rolle der europäischen Atommächte Frankreich und Großbritannien.

ES&T: Ab 2025 soll das Leuchtturmprojekt der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Rapid Deployment Capacity (RDC), einsatzbereit sein. Die RDC soll bis zu 5.000 Soldatinnen und Soldaten umfassen und das bisherige Konzept der EU-Battlegroups ablösen. Welche konkreten Maßnahmen müssen aus Ihrer Sicht ergriffen werden, um die RDC, im Vergleich zu den EU-Battlegroups, zu einem tatsächlich einsetzbaren militärischen Instrument der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu machen?

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