Print Friendly, PDF & Email

„Was HUMINT-Quellen im Kreml angeht, was Wege angeht auf allen möglichen technischen und nichttechnischen Wegen an Informationen aus Russland zu kommen, braucht sich der BND nicht zu verstecken.“ Das hat Bruno Kahl, der Präsident des deutschen Auslandsnachrichtendienstes, dem Bundesnachrichtendienst (BND), auf einer Veranstaltung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik am 22. Mai gesagt.

HUMINT ist die sogenannte Human Intelligence und bedeutet das nachrichtendienstliche Führen von Personen, die Zugang zu für den Dienst interessanten Informationen haben. Der BND selbst beschreibt diese Art der Nachrichtengewinnung auf seiner Webseite als die „Königsdisziplin“ nachrichtendienstlicher Arbeit. Mit seiner Aussage legt der Präsident des BND nahe, dass seine Behörde Kontakt zu Personen aus dem Regierungsumfeld der Russischen Föderation hat, die Informationen an den deutschen Dienst weitergeben.

Grundsätzlich habe der BND seine Russland-Expertise, im Gegensatz zu anderen westlichen Diensten, nach dem Ende des Kalten Krieges nie aufgegeben. „Wir haben immer das Wissen um militärische Potenzen Russlands wachgehalten und frischgehalten und deswegen können wir da jetzt auch relativ gut mitreden“, sagte Kahl. Aus diesem Grund sei der deutsche Dienst auch ein gefragter Gesprächspartner von anderen Partnerdiensten, so der BND-Chef weiter.

Allerdings differenziert Kahl zwischen dem Wissen um das Geschehen auf dem Gefechtsfeld und dem, was sich in Russland selbst zuträgt. Bei ersterem komme es insbesondere auf technische Aufklärungskapazitäten an, da keine eigenen Soldaten vor Ort sind, um die militärische Aufklärung zu übernehmen. Hier seien zum Beispiel die Amerikaner allein in kapazitiver Hinsicht deutlich stärker aufgestellt, sodass man hier entsprechend nicht konkurrenzfähig sei, erläuterte Kahl die Grenzen seines Dienstes.

Beginn des Kriegs vorhergesagt

Bereits seit Herbst 2021 habe man die Bundesregierung täglich über die Geschehnisse an der russisch-ukrainischen Grenze informiert. „Und es hat sich auch dann ein Zeitpunkt ergeben, von dem an wir auch die Bundesregierung über nichts anderes mehr unterrichten konnten, als dass es zum Krieg kommen wird“, so der BND-Präsident. Dieser Zeitpunkt habe ca. 14 Tage vor dem 24. Februar gelegen.

Im Vergleich zu den Amerikanern und den Briten habe man sich jedoch nicht auf einen konkreten Tag festlegen wollen. Unter dem Hinweis, dass diese zunächst drei Mal falsch gelegen hätten, bis es dann tatsächlich bei der vierten Vorhersage auf den Tag genau gestimmt hatte, sagte Kahl: „Es kommt aber auch weniger darauf an, dass man den Tag und die Stunde weiß, als dass man generell, das, was sich anbahnt vorhersagen kann. Dazu waren wir in der Lage und haben dementsprechend auch die Bundesregierung unterrichtet.“

Zudem hätten die Amerikaner und die Briten bei der Analyse der Geschehnisse eine andere Methode als die Deutschen verfolgt. Während die Partnerdienste relativ starr anhand von Kriterien die Wahrscheinlichkeit des Kriegseintrittes beurteilten, habe man in Berlin Wert darauf gelegt, dass es am Ende von der Entscheidung einer einzelnen Person abhänge, nämlich von Putin, ob der Krieg beginne. „Und diese Entscheidung macht er abhängig von vielen Dingen, die nicht im Durchzählen von Raketen, Flugzeugen oder Panzern bestehen“, erläuterte der oberste Nachrichtendienstler das deutsche Vorgehen.

blank
Das Hauptgebäude des BND in der Chausseestraße in Berlin. (Grafik: BND)

Kahl noch am 24. Februar in Kiew

Bezüglich seiner persönlichen Anwesenheit in der ukrainischen Hauptstadt vom 23. auf den 24. Februar 2022 und dem damit verbundenen Bild eines unzureichend Informierten deutschen Nachrichtendienst-Chefs sagte Kahl, dass er sich der Gefahr sehr wohl bewusst gewesen sei, die diese Reise mit sich gebracht habe. Dies könne man daran erkennen, dass er seinen Dienstflieger nach der Landung in Kiew wieder zurück nach Deutschland geschickt habe, sodass dieser bei einem möglichen Kriegsausbruch und einem daraus resultierenden Flugverbot oder Schlimmerem nicht davon betroffen gewesen wäre. Der Grund für seinen Besuch in Kiew sei die Bitte um ein Gespräch seitens der ukrainischen Partner gewesen, führte er weiter aus.

„In der Nacht haben dann die Kriegshandlungen begonnen, ich habe am nächsten Morgen meine Gespräche geführt und bin dann auf etwas umständliche Art und Weise mit dem Auto ausgereist“, berichtete Kahl.  Weiter erzählte er, dass er dann mit seinem Personenschutzteam, sowie weiteren Angehörigen des BND, die die Station in Kiew bis zum Schluss besetzt hatten, das Land, mit rund 40.000 anderen Fahrzeugen, Richtung Westen verlassen habe.

Keine Risse im System Putin

Der BND sieht Putin weiterhin fest im Sattel. Das stellte der BND-Chef klar heraus: „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass dieses Machtgefüge, was um ihn herum zentriert ist, irgendwie ins Wanken gerät. Die einzelnen Stimmen, einzelner Protagonisten, die auch mit Kritik an der Kriegsführung nicht sparen sind die normalen Auseinandersetzungen um taktische Fragen auf dem Gefechtsfeld aber keine Gefahr für das System Putin. Das schließt nicht aus, dass es morgen implodiert, aber vorhersehen lässt sich das nicht. Anzeichen dafür gibt es nicht.“

Und auch die Fähigkeit Russlands weiterhin Krieg gegen die Ukraine zu führen, bewertet Kahl als weiterhin gegeben. Russland könne weiterhin Menschen und Rüstungsgüter mobilisieren. Diese Strategie Moskaus, auf Masse und lange Zeitspannen zu setzen werde auch von Erfolg gekrönt werden, wenn der Westen die organisierte Unterstützung der Ukraine nicht aufrechterhalte, so die Einschätzung des Nachrichtendienstlers.

Probleme beim BND

Der BND selbst war in jüngster Vergangenheit nicht vor Skandalen gefeit. So wurde Anfang des Jahres bekannt, dass ein Mitarbeiter des BND Informationen an den russischen Geheimdienst weitergegeben hat. Zudem gab es Meldungen über rechtsextreme Mitarbeiter beim Nachrichtendienst. Bezüglich des Verräters aus den eigenen Reihen sprach Kahl vom schlimmsten anzunehmenden Fall für einen Nachrichtendienst. Der Fall habe zunächst viel Vertrauen bei den Partnern gekostet. Durch transparente und offene Kommunikation sei dies aber wieder hergestellt und mindestens so gut wie zuvor, versicherte der Behörden-Chef.

Um die Gefahr von Innentätern und Verfassungsfeinden zu reduzieren, müsse man die Sicherheitsüberprüfungen verbessern, erläuterte der BND-Präsident seine geplante Reaktion auf die Fälle.

Schneller, aber nicht weniger gründlich, sei das ausgegebene Ziel zur Optimierung der eigenen Absicherung. In der Vergangenheit habe man sich bei der Abwägung, Sicherheitsüberprüfungen für neues oder für vorhandenes Personal durchzuführen, oft für die neuen Mitarbeiter entschieden, um die offenen Stellen besetzen zu können. Dadurch seien aktive Mitarbeiter nicht regelmäßig durchleuchtet worden. Hier müsse es eine Repriorisierung geben, um die Eigensicherung zu verbessern, so der BND-Chef.

Als sein persönliches Ziel für den Nachrichtendienst formulierte Kahl: „Ich will den BND als ein unverzichtbares Werkzeug, als einen Sensor und als Lieferant für die relevanten Informationen just in time etablieren, der die Bundesregierung dann auch zu einer verantwortungsvollen Außen- und Sicherheitspolitik befähigt. Ich will mit dem Label BND nicht für Verräter oder für rechtsradikale Aktionen in einzelnen Fällen stehen, sondern funktionierende Sicherheitspolitik ermöglichen und eine Betriebskultur und auch eine Sicherheitsarchitektur unterstützen, die die entsprechenden Leistungen bringt.“

Redaktion / oh