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Die verteidigungspolitischen Beziehungen zwischen Großbritannien und Frankreich sollen wieder intensiviert werden. Das war ein Ergebnis des Gipfeltreffens zwischen Premierminister Rishi Sunak und Staatspräsident Emmanuel Macron am 10. März im Elysée-Palast. Seit fünf Jahren hatte es keinen solchen Gipfel mehr gegeben.

Im Nachgang zu diesem Treffen äußerte sich das französische Verteidigungsministerium in seiner allwöchentlichen Pressekonferenz: „Die Zusammenarbeit im Verteidigungssektor ist das am stärksten strukturierende Element in den franco-britischen Beziehungen“, so Oberst Bruno Cunat aus der Abteilung Internationale Beziehungen und Strategie des Ministère des Armées. Trotz des Brexits von 2020 und des AUKUS-Bündnisses von Australien, dem Vereinigtem Königreich und den Vereinigten Staaten aus dem Jahr darauf seien Frankreich und Großbritannien mehr denn je militärische Verbündete.

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Französische Soldaten nehmen an einem gemeinsamen Manöver mit der „Aviation Task Force 3“ im Rahmen der britisch geführten NATO enhanced Forward Presence (eFP) in Estland teil.
Foto: UK MoD, RAF, Ryan Murray

Lancaster-House-Verträge

Heute beruhe, so der französische Stabsoffizier, diese „historische Partnerschaft“ vor allen Dingen auf den bilateralen Lancaster-House-Verträgen von 2010 sowie auf der gemeinsamen Zugehörigkeit zur NATO. Am 2. November 2010 hatten Premierminister David Cameron und Staatspräsident Nicolas Sarkozy im Londoner Lancaster House Abkommen unterzeichnet, die einer engeren Zusammenarbeit im Rüstungsbereich, bei den Streitkräften sowie zum Zwecke der Kosteneinsparung im Verteidigungsbudget dienen sollten.

Von besonderer Bedeutung betrachtet Frankreich dabei den bilateralen Vertrag zur Kernwaffenforschung und zur Wartung der Kernwaffenarsenale. In diesem Zusammenhang verwies Oberst Cunat auf das Treffen von Macron und Sunak, bei dem beide Staatenlenker betont hätten, „dass keine Situation existiert, in der die vitalen Interessen Frankreichs oder des Vereinigten Königreichs bedroht sein könnten, ohne dass die des anderen Landes es nicht auch seien“. Es steht zu vermuten, dass diese Äußerung auch eine Reaktion auf die nuklearen Drohungen Russlands im Zusammenhang mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine ist.

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Oberst Bruno Cunat stellt die franco-britischen Beziehungen auf dem Gebiet der Verteidigung vor.
Foto: Ministère des Armées

Bei einem weiteren Vertrag von 2010 geht es um die militärische Zusammenarbeit im konventionellen Bereich. Diese ruht auf zwei „Säulen“: der operativen und derjenigen der Fähigkeiten. Zur operativen Säule gehört unter anderem die schnelle Eingreiftruppe „Combined Joint Expeditionary Force“ (CJEF), zu der Frankreich und Großbritannien jeweils 5.000 Soldaten beitragen. Die CJEF, so der französische Stabsoffizier, „soll eine bestimmte Anzahl von Aufgaben erfüllen können, die von der Hilfe für Bevölkerungen bis zum Erscheinen auf dem Gefechtsfeld für Operationen hoher Intensität reichen“. Ein weiteres Beispiel ist die Verlegung von Truppenteilen nach Estland und Litauen im Rahmen der NATO.

Auf der Fähigkeiten-Säule geht es um Kooperationen bei der Entwicklung, Beschaffung und Finanzierung im Rüstungsbereich. Dabei ist es Ziel der französischen Beschaffungsbehörde DGA (Direction Générale de l’Armement) und ihres britischen Gegenstücks DE&S (Defence Equipment and Support), die industrielle und technologische Basis im Verteidigungssektor zu stärken. Beispiele hierfür sind das Projekt „One MBDA“ mit Filialen in beiden Staaten als Exzellenzzentren, die nächste Generation von Anti-Schiffs-Raketen und Marschflugkörpern FMAN/FMC (Futur Missile Antinavire/Futur Missile de Croisière) von MBDA, das Programm „Maritime Mine Countermeasures“ (MMCM) von Thales und BAE Systems sowie die CTA-40mm-Kanone (Case Telescoped Armament) von Nexter und BAE Systems.

Was den dauerhaften politisch-militärischen Dialog zwischen Frankreich und Großbritannien betrifft, so sind laut Oberst Cunat „die Enge dieser Beziehungen und ihr Charakter unumkehrbar, gerade vor dem Hintergrund, dass aktuell ein bewaffneter Konflikt in Europa stattfindet“.

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Ein Eurofighter „Typhoon“ der Royal Air Force (vorne) und eine „Rafale“ der Armée de l’Air.
Foto: UK MoD, Matthews

Rückblick

Dabei verwies der französische Stabsoffizier auf den Umstand, dass die militärische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern „mehr als 100 Jahre“ zurückreiche, was einer deutlichen zeitlichen Untertreibung entspricht: „Die 1820er Jahre“, so in diesem Zusammenhang Kapitän zur See Julien Lalanne de Saint-Quentin, stellvertretender Marineattaché an der französischen Botschaft in London, „sehen zum ersten Mal die französischen und britischen Armeen auf derselben Seite während des griechischen Unabhängigkeitskrieges kämpfen.“ Im April 1904 schlossen dann die Französische Republik und das Vereinigte Königreich die „Entente cordiale“ zur Beilegung ihrer kolonialen Streitigkeiten. Und am 26. März 1918 wurde das Große Hauptquartier der verbündeten Armeen unter dem Oberbefehl von Marschall Ferdinand Foch aufgestellt.

Gerd Portugall