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Ungeachtet der hohen wirtschaftlichen und menschlichen Kosten plant Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine fortzusetzen, mit dem Ziel, ihre Souveränität zu vernichten. Zudem würden die Weichen für eine langfristige Konfrontation mit dem Westen gestellt. Zu dieser Einschätzung kommen die beiden Geheimdienste Litauens in ihrem gemeinsamen Jahresbericht 2023, der am 09. März veröffentlicht wurde.

Als Indikatoren für diese Schlussfolgerung wird im Bericht die starke Erhöhung des russischen Verteidigungshaushalts sowie die geplante Verstärkung der russischen Streitkräfte an der Westgrenze des Landes angegeben. Als unmittelbarste Bedrohung für das kleine baltische Land machen dessen Geheimdienste die russische Enklave Kaliningrad aus, die in der Zeit vor der Invasion in die Ukraine besonders vorbereitet wurde.

Russischer Verteidigungshaushalt wächst

Der russische Entwurf für den Verteidigungshaushalt vom Herbst des vergangenen Jahres sehe für das Jahr 2023 knapp fünf Billionen Rubel vor. Im Vergleich dazu habe der Haushaltsentwurf im Jahr 2021, also vor Kriegsbeginn, für das Jahr 2023, 3,55 Billionen Rubel veranschlagt, so die litauischen Dienste. Laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax beträgt der russische Haushalt für das Jahr 2023 insgesamt 29 Billionen Rubel.

Somit sind die russischen Militärausgaben in diesem Jahr um 1,45 Billionen Rubel bzw. um rund 40 Prozent höher, als die Planungen im Jahr 2021 noch vorgesehen hatten und machen in etwa 16 Prozent des Gesamthaushalts aus. Fünf Billionen Rubel entsprechen derzeit zirka 62 Milliarden Euro. Hinzu kämen noch geheime zusätzliche Ausgaben für die Kriegsanstrengungen, heißt es im Bericht weiter. Diese werden aber nicht näher spezifiziert.

Vergrößerung der russischen Streitkräfte

Bezüglich der Vergrößerung der russischen Streitkräfte heißt es im litauischen Papier, dass noch in diesem Jahr die Marke von zwei Millionen Soldaten überschritten werden soll und darüber hinaus ein fortschreitender aufwuchs seitens der russischen Führung geplant sei. Von welchem Umfang des russischen Militärs die litauischen Dienste derzeit ausgehen, wird allerdings nicht gesagt, was eine Einordnung der Annahmen verhindert.

Konkretere Angaben macht der Bericht allerdings in Bezug auf eine Reform der russischen Streitkräfte, die das Verteidigungsministerium in Moskau im vergangenen Dezember angekündigt haben soll. Mit dieser solle das russische Militär strategisch Richtung Westen ausgerichtet werden. Durch zusätzliche 350.000 Soldaten sollen den russischen Plänen zufolge die Großverbände im westlichen Militärdistrikt deutlich verstärkt werden, wie die litauischen Dienste berichten. So sollen drei zusätzliche Motorisierte Schützendivisionen geschaffen und sieben bestehende Brigaden vom Umfang her verdreifacht werden, sodass diese die Größe von Divisionen erreichen.

Die litauischen Dienste gehen davon aus, dass dies und andere Maßnahmen dazu führen, dass sich der Umfang des militärischen Personals und Materials im westlichen Militärdistrikt um 30 bis 50 Prozent erhöhen wird. Wie schnell die Pläne am Ende umgesetzt werden könnten, hänge davon ab, wie viele Ressourcen Russland noch auf seinen Krieg in der Ukraine verwenden müsse. Da es sich jedoch um Planungen für die kommenden sechs bis zehn Jahre handele, hätten diese keine unmittelbaren Auswirkungen auf den aktuellen Krieg in der Ukraine, so die litauische Bewertung.

Als weiteres Anzeichen für eine langfristige Ausrichtung auf eine Konfrontation mit dem Westen bewertet der Geheimdienstbericht die um zwei Jahre vorgezogene strategische Militärübung „Zapad“, die in diesem Jahr gemeinsam mit Belarus stattfinden soll.

Kaliningrad – die unmittelbarste Bedrohung

Eine gewichtige Rolle in der litauischen Bedrohungsanalyse spielt die Enklave Kaliningrad, die dafür sorgt, dass das Baltikum nur durch einen schmalen Korridor zwischen der russischen Enklave und Belarus, dem sogenannten Suwalki Gap zu erreichen ist. Kaliningrad stelle die größte Bedrohung in Litauens unmittelbarer Nachbarschaft dar, da aufgrund der dort stationierten militärischen Systeme die russischen Streitkräfte in der Lage seien, die Versorgung der Baltischen Staaten, sowohl über See Luft und Land zu unterbinden. Die sogenannte Anti-Access/Area Denial-Fähigkeit (A2/AD).

Der Krieg in der Ukraine habe zwar die auf der Enklave stationierten russischen Landstreitkräfte beeinträchtigt, aufgrund ihrer Einbindung in die Kampfhandlungen. Die See- und Luftstreitkräfte seien aber praktisch nicht betroffen und weiterhin einsatzbereit. Diese Schwächung der Landstreitkräfte in Kaliningrad sei aber nur von kurzer Dauer, so die Analyse, da die Region Priorität genieße und dadurch Verbände schnell wieder aufgefüllt würden. Zudem erwarten die litauischen Dienste im Zuge der militärischen Aufstockung an der Westgrenze Russlands, auch eine weitere Militarisierung Kaliningrads, sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht.

Ein weiterer Aspekt, den der Bericht mit Blick auf Kaliningrad hervorhebt, ist, dass die von NATO-Staaten umschlossene Region noch vor dem Beginn der russischen Vollinvasion in die Ukraine, im Februar des vergangenen Jahres, mit zusätzlichen Vorräten versorgt worden sei. Zudem seien zusätzliche Fähren sowie ein Schiff zur Gas-Versorgung, die Marshal Vasilevskiy, bereitgehalten worden, um bei einer möglichen Isolation der Enklave, die Versorgung dieser zu gewährleisten.

Insgesamt sei die Bereitschaft, politische und wirtschaftliche Schäden zu erleiden, um den Krieg in der Ukraine fortzusetzen deutlich höher, als von den litauischen Geheimdiensten zuvor angenommen. Moskau ist gemäß der litauischen Analyse bereit, die Reste seiner internationalen Reputation, seine wirtschaftliche Stabilität und weitere Menschenleben zu opfern, um sich vor einer eingebildeten Bedrohung seiner nationalen Sicherheit und territorialen Integrität zu schützen.

Redaktion / oh