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Interview mit den beiden Geschäftsführern der General Dynamics European Land Systems (GDELS) Deutschland, Dr. Thomas Kauffmann und Dr. Christian Kauth

Der Krieg in der Ukraine dauert nun mittlerweile ein Jahr. Insbesondere bei den Offensiven, aber auch bei den Verteidigungsbemühungen der Ukrainer im Sommer und Herbst 2022 wurde deutlich, dass der Kampf um Gewässer auch im 21. Jahrhundert weiterhin einen hohen Stellenwert hat. Das Unternehmen General Dynamics European Land Systems (GDELS), welches einen Großteil der europäischen und NATO-Streitkräfte mit unterschiedlichen taktischen Brückensystemen ausrüstet, besitzt mit seiner deutschen Tochtergesellschaft GDELS-Bridge Systems eine einmalige Expertise auf diesem Themengebiet. ES&T sprach mit den beiden Geschäftsführern der GDELS Deutschland über die Fähigkeiten der NATO im Allgemeinen und der Bundeswehr im Speziellen, Gewässer zu überqueren sowie über spezifische Designmerkmale für leistungsfähige Kriegsbrücken.

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Thomas Kauffmann (Fotos: GDELS)

ES&T: Herr Dr. Kauffmann, wie bewerten Sie die Fähigkeiten der NATO und der Bundeswehr, Gewässer im Kriegsfall überqueren zu können?
Kauffmann: Die größeren NATO-Partner verfügen in der Regel über hochwertiges Pioniergerät für die Gewässerüberquerung, allerdings fast durchweg nicht mehr in ausreichender Quantität. Bei den europäischen Streitkräften reicht der Bestand an Schwimmbrücken jeweils noch für wenige Hundert Meter Brückenlänge aus. Die U.S. Army hält mit über 2.000 Brückenpontons zwar noch signifikante Fähigkeiten vor, jedoch nur einen Teil davon in Europa. Wenn man sich dabei vor Augen führt, dass ein Großteil der vorhandenen Brücken- und Straßeninfrastruktur in Europa nicht in der Lage ist, Fahrzeuge mit einer militärischen Lastenklasse von mehr als 50 zu tragen, wird deutlich, dass die schnelle Verlegung von mechanisierten Kräften auf dem europäischen Bündnisgebiet über Gewässer hinweg eine höchst komplexe Aufgabe darstellt.

Die Relevanz des Themas zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass die NATO unlängst drei „High Visibility Projects“ zur militärischen Mobilität begründet hat – eines davon explizit zur Verbesserung der gemeinsamen Gap-Crossing-Fähigkeiten. Ein entsprechender Letter of Intent wurde am 15. Februar in Brüssel durch zwölf Mitglieder der Allianz unterzeichnet, darunter Deutschland.

ES&T: Wo bestehen Ihrer Meinung nach Lücken und wie ließen sich diese schnellstmöglich schließen?
Kauffmann: Seit den 1990er-Jahren haben alle europäischen und NATO-Staaten ihre Brückenkapazitäten signifikant abgebaut. Pionierbrücken galten auch vor dem Hintergrund der dominierenden Auslandseinsätze als entbehrliche Ressource. Deshalb bestehen heute Lücken sowohl bei den Ponton- und amphibischen Systemen als auch bei den fahrzeuggestützten Brücken. Kurzfristig könnte diese kritische Fähigkeitslücke durch schnelle Instandsetzung und mögliche Traglast-Upgrades der eingeführten Systeme zumindest in Teilen geschlossen werden; mittelfristig müssen konsequent Neubeschaffungen eingeleitet werden. GDELS bietet dazu marktverfügbare Lösungen in allen drei Bereichen an, wie die Improved Ribbon Bridge oder IRB, die Amphibie M3 und die fahrzeuggestützte Anaconda, die auf der bewährten Panzerschnellbrücke Biber basiert.

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Christian Kauth

ES&T: Herr Dr. Kauth, um beim Thema Panzerschnellbrücke zu bleiben: Der Markt hat mehrere Alternativen zu GDELS-Lösungen, die im Übrigen auch Längenvorteile aufweisen. Wieso sollten Kunden dann auf Ihr Produkt zurückgreifen?
Kauth: Mit der Anaconda bieten wir ein weitgehend plattformunabhängiges System an, das sich auf einem Kettenfahrgestell ebenso integrieren lässt wie auf einem 8×8 Lkw. Der Änderungsbedarf am Fahrgestell ist minimal, was sich in signifikant niedrigeren Beschaffungs- und Betriebskosten – Stichwort: logistische Gleichheit – widerspiegelt. Noch einen Schritt weiter in der Trennung von Mobilität und Funktionalität gehen wir mit unseren kleineren Brücken Python, Cobra und Viper. Brücke und Verlegesystem lassen sich hier innerhalb kurzer Zeit beispielsweise auf ein Gefechtsfahrzeug einrüsten. Sobald sie nicht mehr benötigt werden, wird das Modul entfernt, und das Trägerfahrzeug erhält seine ursprüngliche Funktionalität wieder. Es ist schlichtweg nicht mehr zeitgemäß, ein Hochwert-Trägerfahrzeug lediglich für eine Aufgabe (Brückenleger) zu verwenden.

Mehrzweckplattformen gehören aus unserer Sicht die Zukunft.

Bezüglich der Länge zeigt unsere langjährige Erfahrung im engen Austausch mit den Nutzern, aber auch die Topografie, dass 22 Meter ein optimales Maß sind. Damit sind knapp 90 Prozent aller Hindernisse im europäischen Einsatzraum, die mit fahrzeuggestützten, taktischen Brücken überwunden werden können, abgedeckt. Gleichzeitig sind die Brücken besser auf das Trägerfahrzeug integrierbar beziehungsweise transportierbar. Das heißt konkret, dass mit längeren, fahrzeuggestützten Brücken von bis zu 30 Metern Länge kaum mehr als 91 Prozent der Hindernisse überbrückt werden können. Hier schlägt das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens voll durch – der zusätzliche operative Nutzen von weniger als einem Prozent bezüglich möglicher Hindernisüberbrückung ist mehr als marginal und steht in keinem Verhältnis zu den Mehrkosten.

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Die Brückenlänge von 22 Metern, wie sie die Anaconda aufweist, bietet einen optimalen Grenznutzen

ES&T: Neben der Länge spielen insbesondere die Traglast und Mobilität der Brückensysteme eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung der Leistungsfähigkeit einer Brücke, die insbesondere in Verbindung mit dem Thema „Mittlere Kräfte“ des Heeres derzeit sehr kontrovers diskutiert wird. Wie nehmen Sie die Diskussion wahr und was wäre aus Ihrer Sicht eine geeignete Möglichkeit, diese Kräftekategorie mit entsprechenden Fähigkeiten zur Gewässerüberquerung auszustatten?
Kauffmann: Der entscheidende Vorteil der mittleren Kräfte liegt aufgrund ihrer kompakteren Bauart und des geringeren Fahrzeuggewichts in ihrer schnellen Verlegefähigkeit, sprich der taktischen und strategischen Mobilität. Bei der Ausstattung mit Brücken bedeutet dies konsequent weitergedacht, dass man Brückensysteme beschafft, die an Kampffahrzeuge der mittleren Kräfte flexibel angebracht werden können. Auch hier muss das Prinzip des abnehmenden Grenznutzens berücksichtigt werden: Neben der Qualität brauchen wir Quantität, und Quantität, also hohe Stückzahl, erzielen wir nur durch clevere, ökonomisch wettbewerbsfähige Brückenlösungen wie die modulare Cobra, die bereits im Auftrag der niederländischen Armee und in Kooperation mit Rheinmetall am Boxer integriert wurde.

Für breitere Gewässerhindernisse brauchen wir außerdem schnelle und flexibel einsetzbare amphibische Brückensysteme, da der Erfolg eines Übergangs heute wie früher ganz entscheidend von der Geschwindigkeit abhängt. Wir entwickeln daher unsere einsatzerprobte M3 zur neuen Generation M3EVO weiter.

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Cobra auf Boxer: Die Cobra lässt sich flexibel an bereits eingeführte Gefechtsfahrzeuge wie beispielsweise dem Boxer anbringen

ES&T: Zur strategischen Verlegefähigkeit von Streitkräften innerhalb Europas zählen neben der Selbstverlegefähigkeit der Truppe auch der Transport auf Gewässern, zu denen auch Flüsse gehören und Schienen. Wie sieht die Situation in diesem Bereich aus? Haben Sie schnelle und einfache Lösungen anzubieten?
Kauth: Wir haben zwei Typen von mobilen Eisenbahnverladerampen im Portfolio – übrigens eine weitere Ressource, die nach Ende des Kalten Krieges vernachlässigt wurde. In einer vom BAAINBw beauftragten Studie haben wir nachgewiesen, dass sich unsere Rampen mit wenig Aufwand auf eine Lastenklasse von mindestens MLC 85 bringen lassen und somit auch die schwersten Kampfpanzer der NATO tragen könnten.

Die Verlegung von Streitkräften auf Wasserstraßen über weitere Strecken ist nicht unser Metier. Im Bereich der Schwimmbrücken werden die Improved Ribbon Bridge und die künftige M3EVO aber weiterhin klar den NATO-Standard setzen. Zuletzt haben sich bekanntlich Lettland, Schweden und Korea für die Amphibie M3 entschieden. Und beide Schwimmbrücken können auch im Fährbetrieb eingesetzt werden, was sie nicht nur im klassischen Übersetzen, sondern auch in der Hochwasserhilfe mit dem Transport von Sandsäcken und anderem Material hinlänglich bewiesen haben.

ES&T: Wären dies rein proprietäre Lösungen oder sind diese auch mit anderen Brückenlösungen verbündeter Streitkräfte interoperabel?
Kauth: Die Improved Ribbon Bridge ist voll kompatibel mit den Vorgängermodellen, für den Betrieb zusammen mit der Ampfibie M3 bieten wir einen Kupplungsadapter an. Mit und zwischen anderen NATO-Systemen bestehen nur improvisierte Lösungen, wie das einfache Auflegen der Rampe auf eine andere Brücke, was natürlich nicht dieselbe Sicherheit und Stabilität gewährleistet.

Die Fragen stellte Waldemar Geiger.