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„Deutschlands Rolle im Europa der Zeitenwende“, so lautete das Thema des sicherheitspolitischen Gesprächs, das Dienstagabend mit Verteidigungsministerin Christine Lambrecht an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin geführt wurde. „Unheimlich viel“ müsse sich tun für diese Zeitenwende, so die Ressortchefin. Dabei subsummierte sie zahlreiche Aspekte aus ihrem Verantwortungsbereich unter dem Begriff der Zeitenwende: Unterstützung für die Ukraine, mehr deutsche Verantwortungsübernahme bei der Bündnisverteidigung, Schließen der Luftverteidigungslücke durch die European Sky Shield Initiative (ESSI), mehr Geld für den Einzelplan 14, schnellere Beschaffung, bessere Rüstungskooperation mit den europäischen Partnern sowie kontinuierliche Evaluation aller Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Als Instrumente der Unterstützung der Ukraine nannte die SPD-Politikerin Waffenlieferungen, Instandsetzung und Ausbildung. Im kommenden Jahr sollen drei weitere IRIS-T-Luftverteidigungssysteme geliefert werden. In der Slowakei werde eine Instandsetzungswerkstatt inklusive Ersatzteillager nahe der Grenze zur Ukraine eingerichtet. Im kommenden Sommer würden bis zu 5.000 ukrainische Soldaten in Deutschland ausgebildet. Außerdem werde das militärisch bedrängte Land durch die Aufnahme von mehr als einer Million Flüchtlinge in der Bundesrepublik und durch die Lieferung einer „Winterhilfe“ unterstützt.

Lambrecht verwies auf eine historische Bringschuld innerhalb der Atlantischen Allianz: Während die Bundesrepublik im Kalten Krieg in erster Linie Sicherheit konsumiert habe, sei es jetzt an der Zeit, Sicherheit für die NATO-Ostflanke zu produzieren. Aber: Zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit zur Landesverteidigung könnten nicht unbegrenzt deutsche Rüstungsgüter an Partner abgegeben werden. Überhaupt sei eine bessere Rüstungskooperation innerhalb Europas durch Refinanzierung der Entwicklungskosten mittels Exports vonnöten. Deshalb würden die bisher restriktiv gehandhabten deutschen Rüstungsexportrichtlinien überarbeitet.

Wenige Stunden vor der BAKS-Keynote der Ministerin hatte diese sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und Entwicklungsministerin Svenja Schulze im Kanzleramt darauf geeinigt, ab Sommer des kommenden Jahres mit dem Abzug des deutschen MINUSMA-Kontingents aus Mali zu beginnen, die dort für Februar 2024 vorgesehenen Wahlen noch abzusichern und bis spätestens Mai desselben Jahres das westafrikanische Land komplett verlassen zu haben.

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In der anschließend vom Präsidenten der BAKS, Botschafter Ekkehard Brose, moderierten Diskussion verwies Lambrecht darauf, dass die Realisierung des Zwei-Prozent-Zieles der NATO unter anderem auch deshalb erschwert würde, weil die wehrtechnische Industrie hierzulande nicht genügend liefern könne. Auf die Nachfrage zu diesem Aspekt durch den britischen Verteidigungsattaché erwiderte die Ministerin, dass es ihr fernliege, Industrie-Bashing zu betreiben.

Kanzler Scholz hatte den Begriff der „Zeitenwende“ in seiner Rede am 27. Februar im Bundestag vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine drei Tage zuvor in den sicherheitspolitischen Diskurs in Deutschland eingeführt.

Gerd Portugall