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Nach der Entdeckung von drei Lecks in beiden von Russland nach Deutschland durch die Ostsee führenden Gas-Pipelines vor wenigen Tagen ist mittlerweile ein viertes hinzugekommen. Derzeit sind damit zwei Leckagen in schwedischen Gewässern und zwei in dänischen bekannt. In der schwedischen Ausschließlichen Wirtschaftszone befindet sich östlich von Simrishamn eine größere Schadstelle über Nord Stream 1 und ein kleineres Leck über Nord Stream 2. Bis Mittwochnachmittag waren drei Lecks, davon zwei in dänischen Gewässern gemeldet worden.

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Ein aktuelles Foto der schwedischen Küstenwache von einem der Gaslecks, Foto: Kustbevakningen

Laut der schwedischen Küstenwache beträgt der Abstand zwischen den beiden Lecks in schwedischen Gewässern eine nautische Meile (1,8 km). Die Entfernung zwischen dem kleineren schwedischen Leck auf Nord Stream 2 und dem nächstgelegenen Leck in dänischen Gewässern soll sich auf 2,6 Seemeilen (4,6 km) belaufen. Die Pipelinezerstörungen in der dänischen Einflusszone befinden sich südöstlich von Bornholm (Dueodde).

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Sperrzone südöstlich Bornholm – gelbe Markierungen. Quelle: Dänische Energie-Agentur

Ein Schiff der schwedischen Küstenwache, die „KBV 003 Amfritrite“, operiert in der Nähe der Gaslecks in der schwedischen Einflusszone. Die Küstenwache weist darauf hin, dass das Schiff für einen Einsatz bei Verunreinigungen, wie zum Beispiel durch Gas, ausgerüstet sei. Es führe eine ferngesteuerte Drohne mit.

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Bild zeigt ein Schwesterschiff der „Amfritite“, die KBV 002 „Triton“, Foto; Kustbevakningen

Zurzeit ist jedoch ein Aufklärungseinsatz nicht geboten. Die schwedische Küstenwache rechnet – so berichten schwedische Medien – mit einem Ende des Gasaustritts frühestens am kommenden Sonntag.

Die genaue Ursache der Lecks ist weiterhin unklar. Westliche Sicherheitsexperten, insbesondere aus den beiden unmittelbar betroffenen Staaten, gehen von Sabotage aus. Dabei rückt Russland immer wieder in den Kreis der Verdächtigen – ohne, dass dies offiziell so dargestellt wird.

Moskaus Fähigkeit zur hybriden Kriegführung konnte im Laufe der vergangenen Jahre beobachtet werden. Die im Laufe des Ukrainekriegs vom russischen Staatschef Wladimir Putin wiederholten Androhungen von massiven Vergeltungsmaßnahmen wurden als Warnung vor dem Einsatz von Nuklearwaffen interpretiert. Doch verfügt Putin über die Eskalationshoheit auf dem gesamten Spektrum der militärischen und nicht-militärischen Kriegführung. Nicht nur mit seinen militärischen Maßnahmen und seinem völkerrechtsbrechenden Vorgehen (Kriegsverbrechen, Annexion), auch auf ökonomischem Gebiet, hat er davon schon Gebrauch gemacht.  Jetzt könnten Umweltschäden dazukommen, wenn sich der Verdacht auf die russische Urheberschaft erhärten sollte.

UN, NATO, EU

Auf Antrag Russlands findet am Freitagnachmittag europäischer Zeit eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats wegen der Lecks in den beiden Pipelines statt. In seiner Sitzung am 29. September drückte der NATO-Rat seine „große Sorge“ ob der Beschädigung der Pipelines in internationalen Gewässern der Ostsee aus. Zu den Ursachen äußert sich das Gremium vorsichtig. „Alle derzeit verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass dies das Ergebnis vorsätzlicher, rücksichtsloser und unverantwortlicher Sabotageakte ist.“ Bereits am Mittwochmorgen äußerte sich auch der Hohe Vertreter der Europäischen Union, Josep Borrell, „sehr besorgt über die Schäden an den Pipelines Nord Stream 1 und 2, die zu Lecks in den internationalen Gewässern der Ostsee geführt haben… Diese Vorfälle sind kein Zufall und gehen uns alle an.“ Auch Borrell sieht die Lecks als Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung. Und erklärt: „Jede vorsätzliche Störung der europäischen Energieinfrastruktur ist völlig inakzeptabel und wird mit einer robusten und gemeinsamen Antwort beantwortet werden.“

Auch die NATO will „jeden vorsätzlichen Angriff auf die kritische Infrastruktur der Bündnispartner mit einer gemeinsamen und entschlossenen Reaktion“ beantworten.

Offene Punkte

Stellt sich die Frage, was unter „kritischer Infrastruktur“ zu verstehen ist. Landläufig versteht man darunter – gerade vor dem Hintergrund des Geschehens – Pipelines, Strom- und Telekommunikationsleitungen. Doch der Begriff schließt auch Hafen- und Offshore-Installationen ein. Ebenso unterseeische Tunnels. Letztendlich könnte maritime Infrastruktur auch Seewege umfassen.

Bliebe die Frage, wie eine robuste Reaktion, insbesondere bei der EU aussehen soll. Auf Seiten der NATO stellt sich die Frage des Bündnisfalles. Die von den NATO-Botschaftern am Donnerstag vorgelegte Formulierung geht in diese Richtung. Fraglich ist, ob sich dazu ein Konsens erzielen lässt. Fakt ist, dass der umfassende Schutz maritimer Infrastruktur auf die Dauer nicht zu leisten ist. Insofern liegt in einer aufwändigen Diversifizierung und breiterem Ausbau ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma.

Hans-Uwe Mergener