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Am vergangenen Freitag hat die russische Marine das größte U-Boot der Welt, die „Belgorod“, übernommen. Die feierliche Unterzeichnung des Abnahmeprotokolls und die Übergabe fand in der Sevmash-Werft in der Nikolskoje-Mündung bei Severodvinsk statt. In einer Pressemitteilung der Werft heißt es, dass die Führung des Verteidigungsministeriums, der Marine, der Verwaltungen der Oblast Archangelsk und Sewerodwinsk sowie Vertreter der Schiffbauindustrie anwesend waren.

1992 bereits auf Kiel gelegt, dauerte es zwanzig Jahre bis zur Auslieferung. Im Jahr 2000, nach der Katastrophe mit dem Vorgängerboot K-141 „Kursk“, wurde der Bau für mehr als ein Jahrzehnt unterbrochen. Die Taufe der Werft-Baunummer 664 fand am 23. April 2019 statt (ESuT berichtete). Mit 184 Metern Länge und einer Verdrängung von 30.000 Tonnen getaucht, übertrifft die K-329 „Belgorod“ andere Atom-U-Boote (SSBN/SSGN) der russischen Typhoon- sowie die Ohio-Klasse der US-Marine.

Sie gehört mit ihren beiden noch in Bau befindlichen Schwesterschiffen eigentlich zur dritten Generation russischer Atom-U-Boote. Von diesen zwischen 1982 und 1996 gebauten elf Schiffen sind noch acht in Nutzung, zwei wurden verschrottet, die K-141 „Kursk“ sank im August 2000 in der Barentssee. Als zwölftes Schiff dieses für den Einsatz von Marschflugkörpern konzipierten U-Boot-Typs (SSGN) wurde die „Belgorod“ für einen neuen Zweck mit modifiziertem Entwurf wiederbelebt, im Dezember 2012 als Projekt 09852 fortgesetzt und in ein „spezielles Forschungs- und Rettungs-U-Boot“ oder Multifunktions-U-Boot umgewandelt.

Der Bootskörper der „Belgorod“ wurde um ein Dock für kleine und unbemannte Tauchfahrzeuge, wie Unmanned Underwater Vehicles (UUV), und U-Boot-Rettungsfahrzeuge erweitert. Somit wird das ehemalige Angriffs-U-Boot nunmehr zum nuklearangetriebenen Mutterschiff für bis zu acht Unterwasserdrohnen. Sie soll Unterwasserausrüstung aussetzen und Kabelverlegungen bzw. -inspektionen durchführen. Dazu kann sie kleinere Unterwasserfahrzeuge huckepack transportieren oder gar in sich aufnehmen. Am Schiffsbauch lässt sich das autonome Unterwasserfahrzeug Harpsichord 2P-PM andocken. Dort befindet sich auch eine Station zum Mitführen von U-Booten bis zu 70 m Länge. Einschlägige Kreise erwähnen die Projekte 18511 (Paltus) und 10831 (Losharik), beides bis zu 1.000 m Tauchtiefe einsetzbare, mit mehreren Roboterarmen ausgestattete nuklearangetriebene Tiefseetauchgeräte, die im Aussehen an die russische Kilo-Klasse erinnern.

 

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Übergabe der „Belgorod“ an den Kapitän und die Besatzung durch den Hersteller Sevmash, am 8. Juli, Foto: Sevmash

Außerdem wird die „Belgorod“ der Träger für den von Vladimir Putin in seiner Rede zur Lage der Nation am 1. März 2018 angekündigte neuen nuklear angetriebenen Torpedo Poseidon werden.  Mit einer „interkontinentalen“ Reichweite von fast 10.000 km bei einer Höchstgeschwindigkeit von rund 100 km/h (54 Knoten) soll Poseidon in der Lage sein, seine Ladung über sehr große Entfernung ins Ziel zu bringen. Basierend auf früher geleakten technischen Zeichnungen und der Auswertung einiger vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlichten Testbildern, misst Poseidon etwa 24 m Länge und 1,6 m Durchmesser. Die Skizzen zeigen einen Gefechtskopf von etwa 4 m Länge und einem Durchmesser von 1,5 m. Die Angaben zur Sprengkraft reichen von zwei bis zu 100 Megatonnen. Die „Belgorod“ soll über sechs solcher Poseidon verfügen.

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Die auf der „Belgorod“ zum Einsatz kommenden Systeme. Die „Belgorod“ kann kleinere U-Boote huckepack befördern und noch kleinere U-Boote in sich aufnehmen.

Neben dem Einsatz von Poseidon wird Aufklärung eine maßgebliche Aufgabe der „Belgorod“ und ihrer beiden Schwesterschiffe sein. Die kursierenden Skizzen zeigen die Vorrichtung für ein Schleppsonar. Zusätzlich wird wahrscheinlich Harmony zum Einsatz kommen, ein Sensornetzwerk zur U-Boot-Detektion, das das russische Militär in der Arktis stationieren will – ähnlich dem SOSUS-Sonar-Netzwerk der U.S. Navy. Die „Belgorod“ wird ihr mitgeführtes Gerät, darunter die UUV, einsetzen können, um Sensoren zu platzieren. Bilder zeigen zudem eine Art Schleppausrüstung, vermutlich um Unterwasserkabel zu legen. Außerdem sind Stellen zu erkennen, die die Nutzung von Jetpropellern vermuten lassen, die das Boot auch in Engstellen manövrieren lassen, oder um es für Präzisionsarbeiten auf Position zu halten. Die Tauchtiefe soll rund 520 m (1.700 Fuß) betragen.

Wie bei den anderen Aufklärungsschiffen sollen Führung und operativer Einsatz des U-Bootes durch Glavnoye Upravlenie Glubokovodsk Issledovanii (GUGI), die weitgehend geheim operierende Hauptabteilung für die Unterwasserforschung innerhalb des Marineführungsstabes im Verteidigungsministerium, erfolgen. Wegen seiner strategischen Bedeutung ist denkbar, dass das operative Kommando über die „Belgorod“ direkt im Kreml, also beim Präsidenten liegt.

Mit der „Belgorod“ und ihrer Hauptbewaffnung Poseidon verspricht sich Moskau offenbar die Stärkung der Zweitschlagskapazität. Mögliche Ziele des Hochleistungstorpedos sind Trägergruppen sowie küstennahe Infrastruktur. Im März 2018 hatte Wladimir Putin die Weltöffentlichkeit über seine Pläne zur Stärkung der eigenen militärischen Reaktionsfähigkeit als Antwort auf amerikanische Stationierungspläne in Polen und Rumänien informiert. Dabei ließ er mehrere Videos von neuartigen Waffensystemen zeigen – darunter auch den Poseidon-Torpedo. Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums bestätigte im März 2019, dass die Tests mit Poseidon erfolgreich abgeschlossen worden seien.

Sowohl zum Gesamtprojekt wie zum Supertorpedo bleibt Skepsis angebracht. Zu den Herausforderungen wird das Verbergen vor feindlicher Aufklärung bei einem derartig großen Waffensystem gehören. Auch sind die Anforderungen an die Führungsfähigkeit, gerade im Fall eines derart weit operierenden Torpedos mit nuklearem Potenzial von elementarer Bedeutung, weil man unter Umständen den Angriff abbrechen oder einen Zielwechsel vornehmen möchte. Seine verheerende Wirkung bei einem Einsatz in Küstennähe ist besorgniserregend. Neben den unmittelbaren Trefferwirkungen sind Sekundärwirkungen durch Tsunamis denkbar.

Russland schlägt mit seinem Untersee-Mutterschiff „Belgorod“ ein neues Kapitel in der Marineseekriegführung auf. Obwohl technologische Vorteile nicht mehr in dem Maße wie bisher für U-Boote sprechen. Hinzu kommen die Fortschritte in den Methoden der U-Boot-Bekämpfung. Der Einsatz von Big Data, die Zusammenführung einer Vielfalt von Sensoren, die, um nur ein Beispiel aufzugreifen, in der Lage sind, die von U-Boot-Reaktoren freigesetzte Strahlung zu erfassen, erfordern neue Ansätze. Gleichzeitig wird es teurer, die U-Boote leiser zu machen und besser zu tarnen. U-Boote, die in den Tiefen oder gar nah am Meeresgrund verweilen können und dort operieren, können sich der Entdeckung entziehen. Gelänge gar der Waffeneinsatz, etwa per Poseidon, erführe die traditionelle maritime Kriegführung unter Wasser einen Paradigmenwechsel. Das Prinzip nuklearer Abschreckung ebenfalls. Letztendlich eröffnet eine derartige Waffe auch ein neues Kapitel im Nuklearwaffen-Kontrollregime.

Ursprünglich sollte die „Belgorod“ bereits im Jahr 2020 an die Flotte übergeben werden. Die Nachrichtenagentur TASS vermerkt dazu, dass die Covid-19-Pandemie ursächlich für die Verzögerungen sein soll. Russischen Quellen zufolge soll die „Belgorod“ zur Nordflotte gehen, ebenso wie das Schwesterschiff „Uljanowsk“, Projekt 09853. Baunummer 2, „Khabarovsk“, Projekt 09851, soll zur Pazifischen Flotte. Ihr Zulauf wird 2024 erwartet, der der „Uljanowsk“ 2025.

Hans Uwe Mergener