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Um 14.00 Uhr am heutigen Mittwoch hieß es „Leinen los!“ für den Einsatzgruppenversorger Bonn der Deutschen Marine. Er verlässt seinen Heimatstützpunkt Wilhelmshaven, um sich der Operation IRINI im Rahmen der European Union Naval Forces Mediterranean (EUNAFVOR MED) anzuschließen. Zu den 220 Soldaten an Bord gehören Feldjäger sowie ein 11-köpfiges Boarding Team des Seebataillons in Eckernförde. Zwei Hubschrauber Sea Lynx werden die Lagebilderstellung unterstützen. Ein Rechtsberater des Bundesministeriums der Verteidigung soll im Fall der Fälle zur Handlungssicherheit beitragen. Medizinisches Personal der Luftwaffe verstärkt das Team im Einsatzlazarett der Bonn.

Vorrangige Aufgabe von IRINI ist die Umsetzung des Waffenembargos der Vereinten Nationen gegenüber Libyen, gemeinsam mit der Mission UNSMIL (United Nations Support Mission in Libya). Zur Überwachung und Durchsetzung des Embargos gehört das Anhalten, die Kontrolle, Durchsuchung und Umleitung von Schiffen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie unter Verstoß gegen das gegen Libyen verhängte Waffenembargo der Vereinten Nationen Waffen oder zugehöriges Material nach oder aus Libyen befördern.

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Der EGV Bonn nimmt Fahrt auf das offene Meer, Foto: hum

Mit dem Sammeln von Informationen zu Ausfuhren von Rohöl und raffinierten Erdölerzeugnissen leistet die Operation außerdem einen Beitrag zur Unterbindung der illegalen Ausfuhr von Erdöl aus Libyen. Darüber hinaus soll der Aufbau von Kapazitäten der libyschen Küstenwache und Marine und Ausbildung bei Strafverfolgungsaufgaben auf See, insbesondere zur Verhinderung von Schleuserkriminalität und Menschenhandel, im Einsatzgebiet unterstützt werden.

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Der Bonn, ihrer Besatzung und dem eingeschifften Personal stehen nicht nur wegen IRINI, sondern auch wegen Corona keine einfachen Zeiten bevor. Foto: hum

Als ein zählbares Ergebnis der Berliner Libyen-Konferenz vom Januar 2020 hatte die EU Ende März 2020 die Mission im zentralen Mittelmeerraum beschlossen. Die politische Einigung hatte sich schwierig gestaltet, da einige Mitgliedsstaaten in der Operation einen Hebel gegen die türkischen Bemühungen, in Libyen Fuß zu fassen, sehen. Letztendlich einigten sich die EU-Staaten auf eine Überwachungsmission aus der Luft, per Satellit und auf dem Meer. Nach der politischen Einigung fiel die Truppenstellung bei den ursprünglich 23 beteiligten EU-Mitgliedsstaaten schwer. Lange Zeit stützte sich die Operation IRINI ausschließlich auf deutsche, französische, luxemburgische und polnische Überwachung aus der Luft ab. Frankreich und Griechenland stellten erst ab Mitte Mai 2020 zeitweise seefahrende Einheiten. Deutschland beteiligte sich mit Seefernaufklärern P-3C „Orion“ an der Operation, mit einer Überwassereinheit erstmalig ab August 2020, damals mit der Fregatte „Hamburg“. Zuletzt war der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ im Einsatz.

Mit Stand 31. August 2021 wurden im Rahmen der Operation 3789 Routineabfragen durchgeführt. Es kam zu 18 Boarding-Einsätzen und zu einer Umleitung eines Schiffes (Daten: EUNAVFORMED).

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Der EGV Bonn aus der Ferne, Foto: hum

Das Mandat für die EU-geführte Krisenbewältigungsoperation wurde durch den Deutschen Bundestag bis zum 30. April 2022 verlängert. Der Beschluss vom 21. April 2021 sieht die bisherige personelle Obergrenze von bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vor. Damit ist sowohl die Teilnahme mit Booten und Schiffen als auch mit einem Seefernaufklärer sowie mit Stabspersonal in den Führungsstäben sichergestellt.

Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Beteiligung deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED IRINI werden für den Zeitraum 1. Mai 2021 bis 30. April 2022 voraussichtlich insgesamt rund 31,7 Millionen Euro betragen, die aus dem Verteidigungshaushalt bestritten werden.

Operation IRINI: schwierige Gemengelage – nicht nur zur See!

Die Situation in Libyen ist kompliziert. Russland und die Türkei sind die prominenten Akteure, die die dortigen Konfliktparteien unterstützen – auf unterschiedlichen Seiten. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien unterstützen die Konfliktparteien mit Lieferungen, nicht nur aus der Luft oder über See, sondern auch durch Landtransporte. Die Nachbarländer Libyens mischen ebenfalls mit. Im Juli 2020 autorisierte das ägyptische Parlament einen möglichen Einmarsch ägyptischer Kräfte in Libyen. Ägyptens Präsident Abdel Fatah al-Sisi soll zudem Waffenlieferungen an Stämme in Libyen, die gegen die Truppen der Einheitsregierung agieren, in Aussicht gestellt haben.

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Die an IRINI beteiligten Nationen, Infografik: EUNAVFOR MED IRINI

In Erinnerung bleibt der Zwischenfall vom 10. Juni 2020. Damals kam es zu einem Schlagabtausch zwischen einer französischen Fregatte und türkischen Einheiten, die sich gegen den Versuch der „Le Courbet“ stellten, ein unter tansanischer Flagge fahrendes Ro-Ro-Schiff mit türkischem Namen zu kontrollieren. Auch die „Hamburg“ geriet bei ihrem IRINI-Einsatz in schweres Fahrwasser, als das Boarding-Team bei der Kontrolle des Frachtschiffes „Royal Diamond 7″ Kerosin fand.

Trotz der strategischen Bedeutung der Region für die EU gestaltet sich die Wahrnehmung europäischer Interessen schwierig. Brüssel befindet sich in dem Dilemma, das eigentlich vorhandene Potenzial nicht zur vollen Entfaltung einsetzen zu können. Zudem scheint die Situation nicht durch einzelne Missionen, sondern vielmehr in einem gesamtheitlichen Ansatz beherrschbar. Dazu gehört auch die Kontrolle der Land- und Luftwege, der Schleuserstrukturen. Aber auch die Möglichkeit, auf die direkt wie indirekt am Bürgerkrieg Beteiligten einwirken zu können. Zum Beispiel durch Sanktionen. Aufgrund der schwierigen politischen Entscheidungsfindung innerhalb der 27 Mitgliedsstaaten bleibt Symbolpolitik als Minimalkonsens. Julian Pawlak vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel beschrieb daher in einem Artikel für das Marineforum die EU-Mission IRINI als „Zahnloser Tiger statt mächtige Göttin“.

Die Beteiligung von Einheiten der Deutschen Marine an Operationen wie IRINI ist als Ausdruck der deutschen Verantwortungsübernahme in der Staatengemeinschaft und als Beitrag zum gemeinschaftlichen Handeln wichtig.

Für die „Bonn“ ist der Einsatz nicht nur vor dem politischen Hintergrund eine Herausforderung. Die Corona-Pandemie wird überdies das Anlaufen von Häfen nicht zulassen. Der Kommandant des Schiffs sieht im Gespräch mit Europäische Sicherheit und Technik wenig Chancen zur Motivation seiner Besatzung und des eingeschifften Personals durch Landgänge. Einzig Souda Bay, der griechische NATO-Stützpunkt auf Kreta, biete mit seinem Sportplatz eventuell eine Abwechslung vom Bordalltag. Insgesamt keine einfache Aufgabe für den Einsatzgruppenversorger, der zum 21. Dezember in Wilhelmshaven zurückerwartet wird.

Hans Uwe Mergener