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Es ist ein Fiasko ohnegleichen. Der rasante Vormarsch der Taliban in Afghanistan hat nicht nur die dortige Mission der internationalen Gemeinschaft scheitern lassen, sondern das Ansehen des Westens in der Welt massiv beschädigt. Dieses Scheitern wird Folgen haben.

Bereits seit Jahren ist die Staatengemeinschaft sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, mit militärischen Mitteln in Konflikte einzugreifen. Syrien ist ein Beispiel, bei dem es in den letzten Jahren mehrfach Ereignisse und Gelegenheiten gab, die ein Eingreifen möglich, vielleicht auch nötig gemacht hätte. Die Schwelle für ein solches Eingreifen ist in der letzten Zeit immer höher geworden – vor allem wegen des Ablaufs der Mission in Afghanistan. Nach diesem Ende des Einsatzes wird diese Schwelle praktisch unüberwindlich, jedenfalls für die absehbare Zeit.

Damit verliert die Staatengemeinschaft in einer immer schwieriger werdenden Welt eine politische Option für die Regelung von Konflikten. Gleichzeitig gewinnen die an Zulauf, die autoritär und gewaltsam regieren. Damit ist dies auch eine Niederlage der Demokratie.

Dass dies so schnell gehen konnte, hat eine Ursache darin, dass die Menschen in Afghanistan kriegsmüde sind. Nach der Enttäuschung, die der Abzug der NATO-Truppen bedeutet hat, wollten die Afghanen keinen Bürgerkrieg mehr. Es soll dort endlich ein kriegsfreier Zustand entstehen, selbst um den Preis einer Taliban-Herrschaft.

Das zeigt die Breite des Scheiterns. Der Aufbau der Zivilgesellschaft, für die es sich lohnt, zu kämpfen, ist nicht gelungen. Die aktuelle Diskussion verkennt, dass vor allem die zivile Neuorganisation des Landes misslungen ist. Das Wegtauchen aller zivilen Kräfte, die dort engagiert waren, ist schon seit Jahren zu vermerken. Aber dass das nicht funktioniert hat, wird die Bereitschaft zu künftigen Missionen nochmals reduziert worden.

Die US-Regierung, deren Verhalten in diesem Jahr das Fiasko ausgelöst hat, verweist darauf, dass Ziel der dortigen Mission sei gewesen, dem internationalen Terrorismus eine Basis zu nehmen. Dies sei gelungen. Das kann allenfalls eine Hoffnung sein. Denn wer sagt denn, dass die Taliban den Terrorgruppen diese Basis nicht wieder ermöglichen? Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Taliban nun zu einem Bollwerk gegen den islamistischen Terror werden.

Also ist selbst dieses Ziel nicht erreichbar. Die Spekulationen, ob ein längeres Verbleiben der internationalen Truppen in Afghanistan zu einem besseren Ergebnis geführt hätte, sind müßig. So, wie die Mission durchgeführt wurde, indem man im Wesentlichen alles den Streitkräften überlassen hat, wäre auch zu einem späteren Zeitpunkt das Szenario abgelaufen, das wir jetzt erlebt haben. Von daher hätte es zwei Alternativen gegeben: Man hätte den Einsatz anders, neu gestalten müssen – oder eben gehen.

Wer trägt dafür die Verantwortung? Alle Regierungen, die sich dort engagiert haben, haben die Mission auf diese Art gestaltet. Also sind sie alle dafür verantwortlich. Auch, wenn die Verantwortung für das Scheitern der zivilen Bemühungen den Vereinten Nationen zugeschrieben werden muss. Auch dort aber sind die Staaten mit ihren Regierungen vertreten.

Heruntergebrochen auf das wahlkämpfende Deutschland sind alle Regierungsparteien der letzten 20 Jahre an diesem Fiasko beteiligt. Die aktuelle Bundesregierung hat „nur“ das mangelhafte Herausholen der Ortskräfte zusätzlich zu verantworten. Das kann Menschenleben kosten und wiegt deshalb schwer, auch, weil es vermeidbar gewesen wäre.

Es ist eine schwere Niederlage, schwerer als die in Vietnam, mit der das oft verglichen wird. Dort waren nur die USA beteiligt, hier sind es alle westlichen Staaten.

Rolf Clement     

Dieser Artikel ist eine Vorabveröffentlichung eines Beitrages aus der Druckausgabe der „Europäischen Sicherheit und Technik.“