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Verschläft Deutschland die Chance, in der Weltraumtechnologie neue Maßstäbe zu setzen? Ein deutsches Startup findet in den USA Unterstützung, in Deutschland bewegt sich nichts. Dabei wäre das ein Feld der Kooperation zwischen beiden Ländern. Das könnte ein Punkt auf dem Sprechzettel von Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Woche bei US-Präsident Joe Biden sein.

Seit vier Jahren forscht ein kleines Team von Ingenieuren in Deutschland an der revolutionären Weiterentwicklung von Raumfahrtantrieben – und erreichte damit eine Führungsposition in der international vergleichbaren Forschung in China, Russland und den USA. Das über eigenes Kapital und Bürgschaften finanzierte Start-up Neutron Star Systems in Köln baut dabei auf über 20 Jahre Forschung an Plasma-Antrieben an der Universität Stuttgart, und über 60 Jahre weltweit auf. Der erreichte entscheidende Sprung in der Gewichtsreduktion und Leistungssteigerung ergab sich aus der Nutzung von Supraleitern in den für den Antrieb benötigten Magnetspulen.

Das Resultat verspricht deutlich preisgünstigere, leichtere und leistungsfähigere Antriebe. Statt dem bisher in anderen Antrieben verwendeten teuren Xenon Gas als Treibstoff, basiert das Supreme System von Neutron Star Systems auf weit billigerem Argon oder Ammoniak. Das aus dem Gas erzeuge Plasma wird mit Hilfe eines Elektromagneten beschleunigt, um Schub zu erzeugen. „Supreme ist die einzige Elektroantriebstechnologie, die von der Auslegung her so robust und einfach ist, dass sie bis auf Megawattebene skaliert werden kann und damit Cargo- und Crewmissionen ermöglicht“, zitierte die Süddeutsche Zeitung im vergangenen Dezember den Neutron-Stars Mitgründer Manuel la Rosa Betancourt.

Ein Problem der bisherigen Antriebstechnologien ist, dass sie bei hohen Leistungen und großen Frachtmengen an ihre Grenzen kommen. Jenseits 20 Kilowatt Leistung erreicht das Gewicht des Motors einen Anteil am Gesamtgewicht, der den Transport von Zuladung kaum noch wirtschaftlich möglich macht. Im Vergleich: Ein 100 Kilowatt Antrieb der NASA wiegt etwa 230 Kilogramm, ein Antrieb mit Supreme-Technologie nur 70 Kilo. Die Antriebe mit Hochtemperatur-Supraleiter-Spule erreichen nur ein Viertel des Gewichtes derjenigen mit konventionellen Spulen. Zusätzlich kommt das System mit einem Bruchteil des Stromes aus. Bei vierfacher Stärke des Magnetfelds erhöhen sich Leistung und Lebensdauer des Antriebs. Entscheidend ist auch das Treibstoffgewicht bei elektrischen Antrieben. Sie benötigen nur noch ein Zehntel des Gewichts, das bei chemischen rund 60 Prozent des Gesamtgewichts des Trägersystems ausmachen kann.

Nach Schätzung der Entwickler erfordert die Fertigstellung eines flugfähigen Prototyps noch weitere zwei Jahre, und der Einbau zum Einsatz in Weltraummissionen weitere zwei. Die Kosten hierfür belaufen sich nach Angaben des Teams auf etwa fünf Millionen Euro für den ersten Schritt und weitere zehn Millionen Euro für den zweiten. Den Gründern fehlt hierfür das nötige Kapital, und ohne fertigen Prototyp gelingt normalerweise kein Verkauf an die Industrie.

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Neutron Stars erfolgreicher Start-up Pitch beim Select USA Tech der US Botschaft vom 07. – 11.06.2021 (Bildquelle Twitteraccount der US Botschaft)

Allerdings gewann nun jüngst das Team um Marcus Collier-Wright und Manuel de la Rosa Betancourt, den „Start-up Pitch“ der US-Botschaft Anfang Juni in Berlin. Mit klarem Blick für die strategische und ökonomische Relevanz der neuen Antriebstechnologie gibt es nun konkrete Zusagen von Investoren und staatlichen Partnern des Verteidigungs- und Raumfahrtsektors in den USA. Obwohl die Einstufung der Technologie als „national security“-relevant die Gründer stark einschränken würde, und sie gerne weiterhin auf die gute deutsche Forschungslandschaft setzen würden, steht ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nur der Weg über den Atlantik zum Bau ihres Antriebs und zum wirtschaftlichen Erfolg offen.

Seit Jahren gelingt es Neutron Star Systems nicht, in Deutschland ein klares Bekenntnis zur Förderung ihrer Entwicklung zu finden. Während die Industrie für die Entwicklung des Antriebs auf staatliche Förderung pocht, sind die Bearbeitungszeiten und Auswahlverfahren für derartige Förderungen äußerst langwierig und im Ausgang ungewiss. Zwölf Monate bis zu einer Entscheidung sind nicht unüblich, während die nun greifbare angebotene Fokussierung auf Amerika innerhalb der nächsten drei Monate eine klare Perspektive böte.

Die USA haben offensichtlich den Wert der Entwicklung von Neutron Star Systems erkannt. Sowohl China als auch Russland bauen bereits mit einigem Erfolg ähnliche Antriebe nach. Dennoch findet das Start-up bisher weder die staatliche Förderung noch den industriellen Partner, der ein Hierbleiben möglich machte. Vor allem, da in den USA mittlerweile konkrete Schritte und eine klare Strategie zur wirtschaftlichen Umsetzung vorliegen, stellt sich die Situation in Deutschland umso schwieriger dar. Im Idealfall wünscht sich das Gründerteam von Neutron Star Systems, dass parallel in Kooperation mit den USA und in Deutschland gearbeitet werden kann. Dieser Ansatz würde auch hervorragend in die „Combined Space Operations“-Initiative der USA passen, der sich Deutschland 2019 angeschlossen hat. Das ebenfalls dort beteiligte Neuseeland ist ein weiterer möglicher Kooperationspartner, der ein vergleichbares Plasma-Antriebsprojekt mit staatlicher Förderung vorantreibt. Um allerdings eine solche Kooperation von europäischer Seite mit Leben zu füllen, bräuchte es hier in Europa eine ebenso klare finanzielle Planungsgrundlage für Neutron Star Systems, wie es sie nun für die USA gibt. Aktuell droht eher ein vollständiger Weggang aus Deutschland und Europa, und ein Verschwinden der bisherigen technologischen Entwicklung hinter dem „firewall“ US-Amerikanischer „national security.“

Angesichts der kritischen wirtschaftlichen und militärischen Abhängigkeit von Weltraumsystemen, sowie den enormen wirtschaftlichen und strategischen Chancen in der Entwicklung des Supreme-Antriebs, liegt für Neutron Star Systems und den geopolitischen Wettbewerb im Weltraum ein Vergleich mit der Situation des kleinen Entwicklerteams der deutschen Firma Biontech im letzten Jahr in der Corona-Pandemie nahe. Hätte man dieses Unternehmen ohne eigene deutsche Investitionen damals vollständig in die USA abwandern lassen, wäre statt Impfstoff-Kooperation eher eine verstärkte Impfstoff-Abhängigkeit für Deutschland und Europa daraus erwachsen. Ähnlich liegt es heute bei Neutron Star Systems: Amerika ist zentraler Kooperationspartner für Europa im Weltraum – aber in wirtschaftlicher Sicht auch Konkurrent. Eine Kooperation wird daher umso ausgewogener und für Europa langfristig erfolgversprechender, je mehr es selbst in diese Zusammenarbeit einbringen kann. Die Pionierarbeit eines kleinen Start-ups aus Deutschland, mit revolutionärer Technologie an der Weltspitze, wäre ein strategisch wertvoller Baustein dazu. Allerdings fehlt dazu ein klares Bekenntnis zu dieser Technologie, eine tragfähige Unterstützung durch Partner der Industrie und – wo möglich – staatliche Förderung. Gelingt hier ein „Manöver des letzten Augenblicks“ in Deutschland und Europa, könnte schon beim Besuch der Bundeskanzlerin am 15. Juli in den USA und ihrem Zusammentreffen mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden eine vertiefende Zusammenarbeit in der Weltraumtechnologie auf der Agenda stehen.

Harald Kujat und Moritz Brake