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Der Lenkwaffen-Spezialist MBDA Deutschland treibt gegenwärtig die Entwicklung von Hyperschallwaffen voran. Dabei verfolgt das Unternehmen aus dem bayerischen Schrobenhausen zwei Produktansätze: Einerseits die Konzeption eines Effektors für das Main Ground Combat System (MGCS) und andererseits die eines Hyperschall-Abfangflugkörper gegen so genannte hypersonische Bedrohungen. Wie Peter Heilmeier, Leiter Vertrieb und Geschäftsentwicklung sowie Mitglied der Geschäftsleitung, auf einer virtuellen Pressekonferenz des Unternehmens gestern weiter ausführte, rechnet er mit einem konkreten Bedarf für den als Ramjet-Interceptor bezeichneten Abfangflugkörper Anfang der 2030er Jahre. Aus diesem Grunde sollte seiner Meinung nach mit weitergehenden Studien zum Thema möglichst schnell begonnen werden.

Als Hyperschallwaffen werden Flugkörper bezeichnet, die mehr als die fünffache Schallgeschwindigkeit erreichen. Die hundertprozentige MBDA-Tochter Bayern-Chemie verfügt über das Know-how, einen so genannten Ramjet-Antrieb zu bauen, der derart hohe Geschwindigkeiten ermöglicht. Verwendet wird der Ramjet bereits beim Luft-Luft-Flugkörper Meteor, der laut MBDA bis zu 150 Kilometer angetrieben fliegen kann und dabei eine Geschwindigkeit von über Mach 3 erreicht.

Nach Aussage von Guido Brendler, Leiter Vertrieb und Marketing bei MBDA, soll ein zukünftiger mehrstufiger Ramjet-Interceptor sowohl von Schiffen als auch von bodengebundenen Luftverteidigungssystemen eingesetzt werden. Die Bayern-Chemie geht davon aus, dass sich mit dem Ramjet Geschwindigkeiten bis Mach 7 erreichen lassen. Dazu sind voraussichtlich im kommenden Jahr weitere Tests vorgesehen, bei denen auch überprüft werden soll, ob die Komponenten die hohen Geschwindigkeiten und Temperaturen standhalten.

Nachdem die Beschaffung des von MBDA mit Lockheed Martin entwickelten Taktischen Luftverteidigungssystems entgegen der ursprünglichen Planung nicht umgesetzt wird, konzentrieren sich die Schrobenhausener neben dem Thema Hyperschall verstärkt auf den Nah- und Nächstbereichsschutz und die Abwehr von Drohnen aller Art, etwa mit dem System Sky Warden. Auf der Fregatte Sachsen ist MBDA zusammen mit Rheinmetall im Augenblick dabei, die Demonstrationsphase für einen neuen Laser-Effektor vorzubereiten. Nach Aussage von Heilmeier wird in der gleichen Arbeitsgemeinschaft auch an der Landanwendung eines Lasers auf dem Radpanzer Boxer gearbeitet.

MBDA Deutschland hat darüber hinaus auch im Bereich der Raketenartillerie große Pläne. Dabei wird das Unternehmen in Zukunft stärker mit dem Landsystemhaus Krauss-Maffei Wegmann (KMW) kooperieren. Man habe am Montag mit KMW ein Memorandum of Understanding (MoU) zur Zusammenarbeit im Rahmen des zukünftigen „System Indirektes Feuer“ der Bundeswehr unterzeichnet, sagte Vertriebsleiter Brendler.  Mit weiteren Partnern sei man im Gespräch.

Ziel der Kooperation ist MBDA zufolge „die Entwicklung und Implementierung von Lenkflugkörpern mit großer Reichweite für Artillerie-Systeme der Bundeswehr“. Dabei will man auf bereits in der Bundeswehr genutzte Systemplattformen wie MARS II/MLRS und existierende Command & Control (C2) -Führungssysteme zurückgreifen. „MBDA und KMW sehen dieses MoU als Startpunkt, um gemeinsam die Zukunft der deutschen Artillerie mitzugestalten. Die Zusammenarbeit mit weiteren Unternehmen, die ihre Expertise einbringen wollen, ist ausdrücklich erwünscht“, so die Unternehmen in einer gemeinsamen Presseerklärung.

Mit der Joint Fire Support-Missile hat MBDA erst vor kurzem ein Konzept vorgestellt, welches sowohl die Forderungen des Heeres nach einem modernen Wirkmittel großer Reichweite erfüllt, wie auch den Joint-Gedanken der Streitkräfte konsequent weiterführt.

Durch den Einsatz der JFS-M in Verbindung mit Artillerie-Systemen sollen die Streitkräfte in der Lage versetzt werden, auf Entfernung bis 499 Kilometer eine präzise Wirkung erzielen zu können. „MBDA und KMW verfügen über Know-how und langjährige Erfahrung in den Bereichen Abstandswaffen und Systemplattformen (MARS II/MLRS)“, so die Unternehmen. Bei der Konzeption der JFS-M wird sowohl auf erprobte Systeme und Teilsysteme als auch auf neue Technologien zurückgegriffen. Nach Angaben von MBDA sind von der Bundeswehr genutzte Komponenten im Rahmen der Konzeption berücksichtigt. „Zusätzlich kommen modernste Technologien, wie störungssichere GPS-Navigation, 3D-Flugplanung und bildgestützte Navigationssensorik zum Einsatz. Die Zielbekämpfung wird durch Künstliche Intelligenz für die automatische Zielerkennung und -identifikation (Automated Target Recognition and Identification) unterstützt“, so die Unternehmen.

Nach Angaben eines KMW-Vertreters während der Präsentation, hätten Untersuchungen gezeigt, dass sich als Trägerplattformen grundsätzlich sowohl das in der Bundeswehr genutzte Raketenartilleriesystem MARS II als auch andere Ketten- oder Radfahrzeuge, wie bspw. der Boxer oder ein IVECO LKW mit geschützter Kabine, eignen würden. Bis zu drei JFS-M können dabei in einem standardisierten Rocket-Pod-Container untergebracht werden. Da der MARS zwei solcher Pods aufnimmt, kann eine Mischbewaffnung des Systems – drei JFS-M und beispielsweise sechs GMLRS-Raketen – als Kampfbeladung aufmunitioniert werden.

Für eine Realisierung des für die Artillerie neuartigen Wirkmittels ist im nächsten Schritt eine Beauftragung der Bundeswehr notwendig. Nach Angaben des Unternehmens wäre eine Einsatzfähigkeit der JFS-M „wenige Jahre nach Vertragsschluss“ realistisch.

Auch in das Innenleben des schultergestützten Flugkörpers Enforcers gab es einige interessante Einblicke. Neben dem Hinweis auf die kürzlich stattgefundenen ersten Schießversuche der Bundeswehr trug Wolfgang Rieck, Geschäftsführer der Bayern-Chemie GmbH, zu den Herausforderungen bei der Entwicklung des Waffensystems vor.

Nach Aussage von Rieck, dessen Unternehmen für den Antrieb des Enforcers verantwortlich zeichnet, war insbesondere die Forderung der Bundeswehr nach einem geringen Gewicht und einem niedrigen Preis herausfordernd. Da ein Lenkflugkörper praktisch nur aus den beiden Baugruppen Gefechtskopf und Antrieb besteht, musste in allen Bereichen auf möglichst leichte Komponenten und Bauweisen zurückgegriffen werden –  die Obergrenze für den Enforcer lag bei sieben Kilogramm. Ungefähr zwei Drittel des Gewichtes setzen sich dabei aus Antrieb bzw. Antriebsmasse zusammen.

Der Antrieb besteht aus zwei Motoren unterschiedlicher Art, einem so genannten Ausstoßmotor und dem Marschtriebwerk. Die Herausforderung, geringe Kosten mit einem niedrigen Preis zu kombinieren, konnte nach Angaben von Rieck mittels Rückgriff auf das Laserschweißen gelöst werden. Dazu hat Bayern-Chemie in eine Laserschweißanlage investiert, welche sich gerade in der Qualifizierungsphase befindet. Das Besondere an der Anlage ist die Fähigkeit, auch Explosivstoffe zu schweißen. Damit ist Bayern-Chemie laut Riecks in der Lage, das gesamte Antriebssystem zusammenzuschweißen, während sich der Treibstoff bereits im Flugkörper befindet.

Waldemar Geiger und Lars Hoffmann