Print Friendly, PDF & Email

Es ist verständlich, dass Menschen unterschiedliche Perspektiven auf die Digitalisierung und ihre konkrete Ausgestaltung haben. Offen zutage tritt das gegenwärtig angesichts der Corona-Krise: Für einige Menschen ist der maximale Ausbau des Homeoffice ein „endlich eingenommener Zustand“, für andere Menschen eine „Notlösung“, um bald wieder in den Dienst zu kommen. Für einige Menschen hat die Digitalisierung den Verlust eines Arbeitsplatzes zur Folge, für andere Menschen wird er durch sie geschaffen.

Auch in der Bundeswehr existieren – jenseits der Erklärung der besonderen Bedeutung der Digitalisierung und eines digitalen Mindsets – durchaus unterschiedliche Perspektiven. Sie beginnen bei der Bewertung der eigenen Büroausstattung, gehen über die Hilfe von IT-Tools bei administrativen oder fachlichen Aufgaben bis hin zu Fachanwendungen, z. B. zur Speicherung und Nutzung von Daten der Militärgeografie.

Vorstellung des Segelflugsimulators (Foto: OSLw Wagner)

Das alles gilt für die Teilstreitkräfte auch; sie haben aber auch eine spezielle Sicht: die der Digitalisierung für und in ihren militärischen Fähigkeiten. Man könnte das in drei Schlagworten plakativ zusammenfassen:

  • Digitalisierung dient dem Training und der Ausbildung, indem sie die Möglichkeiten dazu durch Virtualität und Simulation vervielfacht.
  • Digitalisierung ist für die Teilstreitkräfte dort von besonderer Bedeutung, wo digitale Werkzeuge in Bezug auf ihre Waffensysteme zur Anwendung kommen.
  • Digitalisierung dient letztlich einer besseren Analogität, nämlich da, wo die Fähigkeiten kinetisch zum Einsatz kommen und die Wirkung im Ziel erreicht wird.

Diese drei besonderen Perspektiven schaffen digitale Herausforderungen und zugleich Chancen. In jedem Fall ist die Durchdringung der Digitalisierung viel stärker und vielfältiger, als in manchen anderen Bereichen – auch der Bundeswehr. Um das ein wenig konkreter zu machen, wird es im Folgenden an fünf Aspekten verdeutlicht:

Technik-/Digitalisierungsentwicklung

Wir leben in einer Zeit, in der Technik immer schneller entwickelt wird. Das betrifft vor allem die Digitalisierung. Von besonders disruptiven Technologien spricht kaum noch jemand, weil derartige Innovationssprünge so häufig auftreten. State of the Art zu sein, benötigt eine viel höhere Innovationsgeschwindigkeit.

Und eine einmal realisierte Fähigkeit muss einem Spiral Development weiter unterliegen, will sie nicht morgen schon out-dated sein.

Bei den deshalb notwendigen hohen Innovationszyklen geht es nicht um die Digitalisierung der Luftwaffe an sich, sondern um das Bestehen gegen einen gut aufgestellten und innovativen Gegner, also um unseren Auftrag. Wer hätte gedacht, dass Drohnen im Konflikt um Bergkarabach eine so entscheidende Bedeutung gewinnen, dass Hyperschallwaffen so schnell Realität werden und der Schutz davor so notwendig geworden ist und dass die technologische und breite Nutzung des Weltraums nahezu unabdingbar für die militärischen Fähigkeiten und unser ganzes Leben geworden ist?! Bei der Digitalisierung vollzieht sich manches im Stillen, aber es ist keine Frage, ob Digitalisierung sich rasend schnell entwickelt, sondern nur wo und wie.

Was lehrt uns das?
Wir müssen uns in den Teilstreitkräften von technischen und digitalen Entwicklungen ebenso prägen lassen wie von operativen Forderungen. Beides muss Impuls und Ausgangspunkt sein. Und wir brauchen Prozesse und Vergabeverfahren, die schnelle Innovationen permanent ermöglichen.

Im Eurofightersimulator (Foto: Luftwaffe)

Anwendung in Fähigkeiten und Verbünden

Jenseits aller anderen Sichten auf die Digitalisierung sind für die Teilstreitkräfte und insbesondere für die Luftwaffe adäquate Fähigkeiten und deren Verbünde die entscheidende Perspektive. Digitalisierung bietet ein besseres Lagebild, unterstützt Entscheidungen, garantiert Präzision und beim Fliegen zugleich Sicherheit.

Es ist nicht nur ein Trend, ein System of Systems zu konzipieren, wenn wir an das künftige Luftkampfsystem FCAS denken; man kann gegen einen technologisch hochwertigen Gegner nur so bestehen. Das bedeutet, dass die digitale Vernetzung immer stärker in den Vordergrund rückt: von Links zwischen Waffensystemen und Lagebildern als Grundlage für einen Systemverbund (System of Systems) bis hin zur Ermöglichung von Joint All Domain Operations (JADO) und dessen Command & Control. Digitalisierung führt Fähigkeitsentwicklungen daher zusammen, wenn wir es denn zulassen und im Planungsprozess so umsetzen können. Die entscheidenden zu beantwortenden Fragen in einer solchen multiplen JADO sind: Wie viel vertrauen wir der Digitalisierung an Ratschlag und Eigenständigkeit an? Erlauben wir eine Exzellenz auf Kosten der Nachvollziehbarkeit von lernenden Systemen? Und wie halten wir den Human in/on the Loop?

Was lehrt uns das?
Digitalisierung aus Sicht der Teilstreitkräfte bekommt nicht so sehr durch einzelne Anwendungen digitaler Werkzeuge ihre Bedeutung, sondern durch die Möglichkeit des Fähigkeitsverbundes – mit allen dazu gehörigen Elementen. In der Luftwaffe nennen wir das „Air Power Connected“.

Ausbildung in Führungsaufgaben Command and Control (Foto: OSLw)

Kooperationspartner

Ohne Zweifel kann die Komplexität einer digitalisierten Teilstreitkraft wie der Luftwaffe nur mit Partnern bewältigt werden.

Zunächst sind Forschungsinstitute wie Universitäten, DLR oder Fraunhofer wichtige Impulsgeber.

Da JADO immer auch multinational erfolgen, sind Partner nicht nur an-, sondern einzubinden – inklusive gemeinsamer digitaler Standards.

Darüber hinaus kann es nicht der Industrie überlassen werden, digitale Lösungen anzubieten, die wir in den Streitkräften nur schwerlich bewerten können. Die Fähigkeit und die Prozesse zu einem Spiral Development sowie eine über alle Phasen angelegte ReccetLite zwischen den Teilstreitkräften und der bedarfsdeckenden Wirtschaft werden hier unabdingbar. Digitalisierung benötigt Kooperation. Wo immer unsere Prozesse das verhindern, wo immer rechtliche Rahmen dieses unmöglich machen, wo immer Compliance-Regeln Zusammenarbeit beschränken, ist digitale Zukunftsfähigkeit gefährdet.

Was lehrt uns das?
Digitalisierung im Sinne der Teilstreitkräfte kann nur joint, combined und kooperativ erfolgen, will sie erfolgreich und zukunftsfähig sein.

Cybersicherheit

Noch vor Kurzem hat die Frage, wie cybersicher denn die (zivile und militärische) Luftfahrt sei, bestenfalls Schulterzucken erzeugt – manchmal auch die politische Mahnung, das nicht allzu laut auszusprechen. Zugleich wissen wir, dass Cybersicherheit eine Conditio sine qua non für eine resiliente Bundeswehr in einem digitalen Konflikt ist. Dabei ist die Sicht der Teilstreitkräfte nicht allein auf die Verhinderung von Trojanern und Phishing in unserer Schreibtisch-IT ausgerichtet, die dem Organisationsbereich Cyber- und Informationstechnik/Cyber- und Informationsraum zugeordnet ist. Vielmehr steht die Funktionsfähigkeit des Systemverbundes der Fähigkeiten im Vordergrund. Es ist klar:

blank
Das Digitalisierungsrad der Luftwaffe (Grafik: Luftwaffe)

Niemals wird eine Cybersicherheit hundertprozentig sein, aber wie viel und wie investieren wir in dieses essenzielle Thema? Wenn zukünftig Combat Clouds und Verbindungen dahin sowie zwischen den Waffensystemen des Verbundes die Fähigkeit prägen, wenn die Waffensysteme selbst, um exzellent zu sein, durchgehend digitalisiert sind, und wenn Lageführung und Command and Control nur noch auf der Basis einer Vielzahl von Daten und deren Auswertung funktionieren, dann lohnt es sich, in Cyber-Resilienz zu investieren.

Was lehrt uns das?
Cybersicherheit ist keine „ergänzende Perspektive“. Sie ist essenziell. Die Luftwaffe hat einen Analyseprozess begonnen; er wird die Startlinie darstellen für diesen notwendigen Anteil der Zukunftsentwicklung – insbesondere auch der Waffensysteme und deren Verbünde. Cybersicherheit wird zu operationalisieren sein.

Die Menschen unserer Luftwaffe

Landläufig herrscht oft die Vorstellung, dass Digitalisierung nur etwas für Spezialisten ist, die Produkte zur Nutzung durch Nichtexperten bereitstellen. Und ja: Am Ende sind es geschickte und wissende Programmierer, welche Digitalisierung überhaupt möglich machen, auch in der Luftwaffe, wie z. B. in Systemzentren – wie dem Systemzentrum 25. Da uns Digitalisierung aber künftig prägt und durchdringt (und nicht mehr nur „etwas Digitalisierung“ in unseren Waffensystemen „eingebaut ist“), werden wir in den Teilstreitkräften ein digitales Mindset für alle entwickeln müssen. Das bedeutet einerseits, mit Digitalisierung umgehen zu können und andererseits unsere künftigen Fähigkeiten mit ihr zu planen. Konkret: Das Können eines Piloten in einem FCAS-Systemverbund ist deutlich anders als heute. Konzipieren wir FCAS als System of Systems, wie wir es in der Luftwaffe fordern, oder haben wir einen traditionellen „Fighter“ mit einigen „Ergänzungen“ vor Augen? Aber auch: Zwingen wir das Kommunikationsverhalten unserer Mitarbeiter in eine traditionelle Vorgesetzten-Untergebenen-Struktur oder akzeptieren wir eine (ehedem stattfindende) – zugegeben recht ungesteuerte – Kommunikation aller mit allen und bauen unsere Verantwortungsstruktur in der Bundeswehr auf diesem Fundament?

Was lehrt uns das?
Digitalisierung ist kein „besonderes Fähigkeitsfeld“ mehr. Sie ist Ausgangspunkt und Prägung von allem. Daher müssen die Soldatinnen und Soldaten, zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Verwendungen und in allen Funktionen sie einbeziehen, denken und annehmen. Das bedeutet nicht zuletzt eine große und stete Lernbereitschaft.

blank
Das zukünftige Führungspersonal muss die digitale Operationsführung beherrschen (Foto: UniBw München)

Fazit

Was die Luftwaffe als Teilstreitkraft mit Blick auf die Digitalisierung in der Fähigkeitsentwicklung und Vernetzung braucht, ist vor allem die Fähigkeitssicht.

Digitalisierung ermöglicht, vom Joint- zum System-of-Systems-Ansatz bis hin zu Joint all Domains Operations überzugehen – unter der Einbeziehung unserer Partner. Schließlich muss die Luftwaffe wie alle Teilstreitkräfte in allen ihren Fähigkeiten und Operationen besser, präziser, durchsetzungsfähiger, sicherer, ggf. auch effizienter werden – da wo letztlich alles in die durchaus „analoge“ Wirkung im Ziel mündet. Digitalisierung ist schon heute eine essenzielle Innovationsquelle – neben allen operativen Notwendigkeiten einer modernen Operationsführung. Vor allem aber braucht die Luftwaffe Menschen, welche die Digitalisierung – jenseits der Buzzwords – konkret planen, realisieren und auch als Operateure einsetzen können!

Generalleutnant Dr. Ansgar Rieks ist Stellvertretender Inspekteur der Luftwaffe.