Print Friendly, PDF & Email

Europa kommt nicht zur Ruhe, vor allem nicht Osteuropa. Immer wieder, in fast regelmäßigen Abständen, sucht Russland, dem Putinschen Expansionsdrang Rechnung zu tragen. Russische Streitkräfte werden nun wieder an der ukrainisch-russischen Grenze zusammengezogen. Zudem behindert Russland mit dem Einsatz von Marineschiffen die zivile Schifffahrt im Schwarzen Meer und im Umfeld der Krim. Diese Nachrichten hätten in früheren Zeiten die Schlagzeilen gefüllt, die in diesen Wochen Inzidenzzahlen und Impfquoten vorbehalten sind. Die Krisen der Welt warten aber nicht, bis wir wieder unsere volle Aktionsfähigkeit zurückgewonnen haben. Vor allem in der Ukraine gehen die Alarmanlagen an. In einer solchen Lage geht es darum, die Anwendung von weiterer Gewalt zu verhindern. Es muss ein deutliches Stopp-Schild aufgestellt werden, um Russlands Expansionsdrang einzudämmen. Klare Kante ist da nötig.

Was aber hörte man zunächst aus den westlichen Metropolen vor allem Europa, auch aus Berlin: Beide(!) Seiten werden aufgefordert, sich zu mäßigen. Soll die Ukraine maßvoll darauf verzichten, seine Verteidigungsstellungen auszubauen, weil Russland das als Bedrohung bezeichnen könnte? Auf welcher Seite stehen die westlichen Staaten? Natürlich ist die Führung in der Ukraine kein Modell für einen demokratischen Staat nach unseren Vorstellungen. Ob bestimmte Nachrichten über ukrainische Aktionen zutreffen, ist von hier aus schwer auszumachen. Aber die ukrainischen Aktivitäten, wenn sie denn so stattgefunden haben, haben zum Ziel, die territoriale Integrität der Ukraine, also einen völkerrechtlich korrekten Zustand, wiederherzustellen, während Russland die von seinen Schergen gehaltenen Gebiete weiter aus dem Staatsverbund der Ukraine herauslösen will, was gegen das Völkerrecht verstößt. Es bleibt bei aller Kritik an der Regierung in Kiew aber klar: Im Vergleich zwischen der Ukraine und Russland dürfte es keinen Zweifel geben, auf welcher Seite wir stehen. Das aber muss dann auch gesagt werden. Es geschah erst, als die USA auf der Ebene der G 7 und in der NATO das Wort ergriffen. Sind wir ohne die USA nicht mal Verbalakrobaten?

Ein anderes Beispiel, gleiches Muster: Deutschland hat eine Indo-Pazifik-Strategie vorgestellt. Immer mehr wird deutlich, wie sehr China nicht mehr nur mit wirtschaftlichen, sondern auch mit militärischen Mitteln seinen Einfluss in der Region geltend macht. Also fährt eine Fregatte der Deutschen Marine in die Region, um Flagge zu zeigen. Ein besonders im Fokus stehendes Gebiet ist die Straße von Taiwan, durch die zahlreiche Schiffe und Boote westlicher Marinen fahren. In diese Straße darf die deutsche Fregatte nicht fahren.

Eine Mahnung, die Äquidistanz zeigt, und eine Flagge, die gerade dort nicht gezeigt wird, wo es eines Signals bedurft hätte, sind Zeichen einer konturenlosen Außenpolitik. Immer wieder sprechen deutsche Außenpolitiker von einer wertegebundenen Außen- und Sicherheitspolitik, die sie gemeinsam mit den Verbündeten vertreten wollen. Das aktive Eintreten für die Werte, die unser Grundgesetz ebenso wie die UN-Charta prägen, braucht mehr als nur Sonntagsreden, bei denen immer der Versuch gemacht wird, zwischen Konfliktparteien zu vermitteln. Gerade in der Sicherheitspolitik muss man Farbe bekennen.

blank
blank
blank

Verweigert man dieses, verrät man die wertegebundene Außenpolitik.

Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass Regimes wie die in Moskau oder Peking nur klare Ansagen verstehen. Da sei nur daran erinnert, dass in den 1980er Jahren erst die Umsetzung des Nachrüstungsteils des NATO-Doppelbeschlusses die damalige Sowjetunion zu ernsthaften Verhandlungen über die nuklearen Mittelstreckenraketen gebracht hat. Das Modell eines solchen Doppelbeschlusses könnte wieder angewendet werden. Aber die Geschichte der 1980er Jahre zeigt auch, dass die Standfestigkeit viel von demokratischen Regierungen verlangt. Damals konnte die „Nachrüstung“ erst durchgesetzt werden, nachdem in Deutschland ein Regierungswechsel stattgefunden hat. Die SPD/FDP-Regierung wurde durch die Regierung Kohl, also ein Bündnis aus Union und FDP abgelöst. Der damalige Kanzler Helmut Schmidt konnte für seine Politik des Doppelbeschlusses in seiner Partei, der SPD, keine Mehrheit mehr gewinnen. Es drängen sich Parallelen zu der gegenwärtigen Position der SPD in der Sicherheitspolitik auf. Umso mehr ist wichtig, dass aus Deutschland klare Signale kommen, die die werteorientierte Außenpolitik glaubhaft machen, die zeigen, dass rote Linien nicht ohne Folgen überschritten werden können und dass die westlichen Regierungen ihre Interessen auch durchzusetzen bereit sind.

Rolf Clement