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Als eine der größten Wirtschaftsmächte wickelt Deutschland einen beträchtlichen Anteil seines weltweiten Handels über Seeverbindungen ab. Viele der auch für Deutschland wichtigen Seestraßen verlaufen durch den Indischen Ozean und den Pazifik sowie die sie verbindenden Meerengen wie die Straße von Malakka, die aufgrund ihrer kommerziellen und strategischen Bedeutung auch als „Aorta des Indo-Pazifischen Raumes“ bezeichnet wird. In der Region Indo-Pazifik, so die Kurzbezeichnung dieses nicht eindeutig umrissenen Großraumes, lebt über die Hälfte der Menschheit. Die Bevölkerung ist verglichen mit anderen Weltregionen jung, die wirtschaftlichen Potenziale der Region sind trotz des enormen wirtschaftlichen Aufschwungs Chinas noch längst nicht ausgeschöpft. Aufgrund des hohen globalen Handelsanteiles dieser Region haben auch entfernte Staaten und Regionen wie Europa ein vitales Interesse an Frieden und Stabilität in der Region.

Strategischer Wettbewerb

Obwohl die Region von großen wirtschaftlichen Verflechtungen geprägt ist, gibt es keine angemessene kollektive Sicherheitsarchitektur, der sich alle Anrainerstaaten gemeinsam verpflichtet fühlen. Stattdessen herrscht ein strategischer Wettbewerb um Vormachtstellung in einzelnen Seeregionen. Zwischen zahlreichen Anrainerstaaten bestehen ungeklärte Territorialansprüche. Zudem ist in der Region eine zunehmende Militarisierung, z.B. des Südchinesischen Meeres, zu beobachten. Ein quantitativ und qualitativ dynamisches Rüstungsgeschehen prägt diese Region. Hier sind insbesondere der fulminante Aufwuchs der Marine der Volksrepublik China (PLAN) nach Tonnage und Zahl schwimmender Einheiten und die technologischen Anstrengungen bei der Rüstungsmodernisierung Chinas, besonders im Bereich Anti-Access Area Denial zu nennen.

Die derzeit zehn ASEAN-Staaten liegen im Mittelpunkt des Indopazifischen Raums (Grafik: mawibo media)

Mehrere Staaten in der Region sind bilaterale Allianzen mit den USA als gemeinsamem Partner eingegangen. Weitere Foren der Zusammenarbeit sind regionale Organisationen wie die ASEAN und Dialogmechanismen wie ADMM-Plus und QUAD, die unterschiedlich zusammengesetzt sind. Gleichzeitig bestehen Schnittmengen zwischen Teilnehmerstaaten neuer regionaler Freihandelsabkommen (z. B. Regional Comprehensive Economic Partnership, kurz RCEP, unterzeichnet am 15. November 2020) und bestehenden Gruppierungen, ohne dass hieraus bis jetzt positive Synergien erwachsen, wie an den aktuellen Handelsstreitigkeiten zwischen China und Australien zu beobachten ist: China weigert sich momentan, bestellte Kohlelieferungen Australiens im Wert von rund 500 Millionen US-Dollar anzunehmen, um Australien für den Ausschluss von Huawei zu sanktionieren.

Freie und offene Seewege

Die Vorstellungen der Anrainer, wie eine regionale Ordnung beschaffen sein sollte, könnte nicht unterschiedlicher sein. Die USA und ihre Allianzpartner, z.B. Japan und die Republik Korea, betonen die Bedeutung einer regelbasierten Ordnung, freier und offener Seewege und anerkannter Rechtsnormen. Diese Position deckt sich mit den Normen und Werten der EU wie auch Deutschlands. China hat mit seinem Anspruch auf das Südchinesische Meer eigene Vorstellungen dieser Ordnung, die konträr zu den Prinzipien des Seerechtsübereinkommens UNCLOS stehen. Nach einer Klage der Philippinen gegen China vor dem Ständigen Schiedshof im Juli 2016 wurden Chinas Ansprüche abgewiesen.

Der erste Versuch einer Sicherheitsarchitektur bestand in der Errichtung der Southeast Asian Treaty Organization (SEATO), die 1954 in Manila als „pazifisches Gegenstück zur NATO“ gegründet, jedoch bereits 1977 wieder aufgelöst wurde. Der 1967 gegründete Verband Südostasiatischer Nationen, ASEAN, war zunächst nicht als Verteidigungsbündnis gedacht, sondern verfolgte wirtschaftliche, soziale und politische Ziele. Eine Zusammenarbeit im Bereich von Verteidigung und Rüstung wurde erst mit Gründung des ASEAN Defence Ministers’ Meeting (ADMM) im Jahr 2006 ins Leben gerufen. Aktuell zählt ASEAN zehn Mitgliedstaaten, nämlich Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam. Aus dieser Liste wird ersichtlich, dass die größten und mächtigsten Anrainerstaaten des Indo-Pazifiks, nämlich China und Indien, in dieser Organisation gar nicht vertreten sind. Um diesem aus sicherheitspolitischer Perspektive gesehen kritischen Defizit abzuhelfen, wurde im Oktober 2010 unter der Bezeichnung ADMM-Plus ein zusätzlicher Mechanismus für aktuell acht Dialogpartner eingerichtet, nämlich Australien, China, Indien, Japan, Neuseeland, die Republik Korea, Russland und die USA. Konkrete Kooperationsmöglichkeiten für diese Dialogpartner bestehen im Rahmen von Experts Working Groups in den Feldern maritime Sicherheit, Terrorismusabwehr, humanitärer- und Katastrophenhilfe, Friedensmissionen (PKO), Militärmedizin, humanitärer Minenräumung und Cybersicherheit. Die Dialogpartner können sich im Dreijahresturnus an bis zu drei Arbeitsgruppen im Rahmen gemeinsamer Übungen beteiligen.

Seit 2007 existiert QUAD

Ein weiterer Dialogmechanismus ist der Quadrilaterale Sicherheitsdialog, bekannter als QUAD, mit den Teilnehmerstaaten USA, Japan, Australien und Indien, die in ihrer Summe für ein Viertel der Weltbevölkerung und des globalen Bruttosozialprodukts stehen. Ins Leben gerufen wurde das Format auf Initiative der USA und Japans. Allerdings schien eine Fortführung des Dialogs bereits in den Folgejahren nicht mehr sicher. Australien zog sich nach chinesischen Protesten vorübergehend zurück. Das Herzstück der Kooperation, die jährliche Marineübung „Malabar“, wurde nun zwischen den USA, Indien und Japan fortgeführt. Im Jahr 2020 schloss Australien sich wieder offiziell an.

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Gemeinsam ist allen vier QUAD-Partnern, dass sie mit China Spannungen unterschiedlichster Art haben. Die USA sind als Schutzmacht Taiwans sowie als Bündnispartner der Republik Korea und Japans ein natürlicher Opponent Chinas, das langfristig die Wiedervereinigung mit Taiwan anstrebt und den Einsatz seiner Streitkräfte zu diesem Zweck ausdrücklich nicht ausschließt. Gleiches gilt für den Konflikt auf der koreanischen Halbinsel: Die USA sind Bündnispartner Südkoreas, während China zwar offiziell kein Bündnis mit Nordkorea unterhält, trotzdem aber ein starkes Interesse am Überleben des dortigen Regimes hat. Japan hat mit China Gebietsstreitigkeiten über die Senkaku-Inseln (chin.: Diaoyu-Inseln), während Indien mit China über eine Reihe ungeklärter Gebietsansprüche streitet. Im Himalaya kommt es in jüngster Zeit wiederholt zu Scharmützeln zwischen indischen und chinesischen Grenztruppen.

Gravierender ist indes, dass China und Indien sowie der dritte Nachbar Pakistan Atommächte sind. Zwischen Pakistan und Indien schwelt ein langjähriger Konflikt, während China und Pakistan auch im Rahmen der Seidenstraßeninitiative eng kooperieren und China insbesondere über den Hafen Gwadar Zugang zum Indischen Ozean erhalten hat. Ein chinesisches Unternehmen verwaltet den Hafen. Von hier sind es nur rund 400 km bis zur Straße von Hormus. Gwadar ist damit für die Energiesicherheit Chinas von herausragender Bedeutung.

Schließlich entwickeln sich auch die Beziehungen zwischen China und Australien längst nicht so harmonisch, wie die Außenhandelszahlen vermuten lassen. China wird von Australien gezielter politischer Einflussnahme im Inland beschuldigt, ist aber gleichzeitig größter Abnehmer australischer Rohstoffe.

Die EU und Deutschland haben ein vitales Interesse an Frieden und Stabilität im Indo-Pazifik. Die Wahrnehmung der dortigen Herausforderungen und Chancen, so der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borell, gibt die Möglichkeit der Vertiefung mit gleich gesinnten Partnern in der Region und ist weit mehr als nur eine Frage der Sicherheitspolitik.

In eigener redaktioneller Verantwortung. Dr. Oliver Corff ist Sinologe, Wirtschafts- und Politikberater und Dolmetscher.