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Zu den vier Beschaffungsvorhaben für Marine, Heer und die Informationstechnik, die kürzlich Berlins parlamentarische Hürden passierten, gehören die Bordhubschrauber Sea Tiger. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat dafür jetzt rund 2,3 Milliarden Euro freigegeben. Es werden 31 Maschinen, die laut 25-Millionen-Euro Vorlage als Mehrrollenfähige Fregattenhubschrauber (MRFH) bezeichnet werden, beschafft.

Im August 2019 wurde die Auswahlentscheidung zum neuen Bordhubschrauber der Marine getroffen (ESuT berichtete). Ab 2025 soll die NH90-Variante Sea Tiger den Sea Lynx Mk 88A ersetzen, der seit 1981 in der Marine eingesetzt wird. Der NH90 wurde ursprünglich auf Wunsch der europäischen Nationen als Basishubschrauber konzipiert, der modular aufgebaut ist und in den Versionen Taktischer Transporthubschrauber (TTH) und NATO-Fregattenhubschrauber (NFH) angeboten wird. Der NATO Frigate Helicopter wird in der französischen und spanischen Marine als Caiman und darüber hinaus in den Marinen Belgiens, Italiens, der Niederlande und Norwegens sowie Australiens (dort als Taipan) eingesetzt. In Australien nutzt die Marine sechs Maschinen aus einem Pool von insgesamt 46 des australischen Heeres in einer Art Timeshare.

Beide Hubschrauberversionen (TTH und NFH) sind grundsätzlich technologisch identisch, unterscheiden sich aber in den Missionsausrüstungen stark voneinander. Auch für den Sea Lion, Nachfolger des Sea King, dient der NH90 NFH als Basis. Die Nutzung der NH90-Variante Sea Tiger erlaubt es der Marine, Synergien in Ausbildung, Logistik und Wartung und beim Personal zu bilden. Hinzu kommen ‚Streitkräftegemeinsamkeiten‘ bei Verfahren sowie bei logistischen und technischen Lösungen. International eröffnen sich Möglichkeiten zum Austausch von Erfahrungen und Know-how bis hin zu Kooperationen.

Fähigkeitslücke?

Trotz der erfolgten parlamentarischen Behandlung, die nun einen Vertragsschluss möglich macht, bleibt offen, ob ein bruchfreier Übergang vom Sea Lynx auf den Sea Tiger gelingen kann. Das neue Waffensystem ist selbst, wenn alle Termine eingehalten werden, naturgemäß nicht sofort voll einsatzfähig. Die Marineflieger hätten sich die Einführung des Sea Lynx-Nachfolgers zu Ende 2023 gewünscht, um die Einsatzfähigkeit der Bordhubschrauberkomponente nahtlos garantieren zu können. Denn mit dem Sea Tiger vollzieht sich quasi ein Quantensprung von der besseren Drohne zum vollwertigen Anti-Surface-Warfare Hubschrauber – so sieht es der Staffelkapitän der 3. Fliegenden Staffel im Marinefliegerschwader 5, Fregattenkapitän Sebastian Goldstein, in seinem Artikel in der Europäischen Sicherheit und Technik (siehe ES&T 7/20). Was auf das fliegende wie das technische Personal zukommt, wird klar, wenn man die Breite des Aufgabenspektrums betrachtet, das bisher durch die Sea Lynx abgedeckt wurde. Dies reicht vom banalen Personal- und Materialtransport über das Absetzen von Boarding-Teams auf unbekannten Dhows am Horn von Afrika hin zum Einsatz als abgesetzter Sensor und Waffenträger eines taktischen Schiffsverbandes im Nordatlantik. Mit dem mehrrollenfähigen Sea Tiger kann im Bereich der Effektoren mit dem neuen Seeziel-Lenkflugkörper eine Lücke geschlossen werden, die seit der Ausphasung des Sea Skua 2014 im Aufgabenportfolio der Sea Lynx klaffte. Insofern gilt es, bei Beibehaltung des operativen Betriebes des Sea Lynx gleichzeitig den Herausforderungen aus technischem Fortschritt und Überleitung auf neue Waffen- und Ortungssysteme zu meistern. Das gilt z.B. für die Aufnahme eines Joint Targeting Prozesses, d.h. die übergreifende Zielansprache, etwa für ein Landziel. Was an Land mit einer Vielzahl von Waffensystemen ausdifferenziert geleistet werden kann, muss von einem Bordhubschrauber mit drei Mann Besatzung umgesetzt werden können.

In einer Analyse kommt der Bundesrechnungshof auf Gesamtkosten in Höhe von 2,556 Milliarden Euro, ohne Bewaffnung und nur mit teilweiser Erfüllung der geforderten Fähigkeiten.

Insgesamt wird mit dem Zulauf des NH90 Sea Tiger der Deutschen Marine ein potenteres Seekriegsmittel zur Verfügung stehen. Es wird daran liegen, die fliegenden Operationszentralen gewinnbringend in den Waffen- und Sensorenverbund in See zu integrieren. Die Art und Weise, wie ein maritimer Einsatzverband operiert, wird Änderungen – nicht nur wegen der Möglichkeiten des Sea Tigers – erfahren. Es lohnt auch die Überlegung, ob man ein derartig kostbares Seekriegsmittel auf sich allein gestellt zur Aufklärung nutzt – manned-unmanned teaming (MUT) …

Hans Uwe Mergener