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Es ist wahr: Noch wird das Wahlergebnis in vielen Staaten der USA nachgezählt. Aber es ist doch sehr wahrscheinlich, dass Joe Biden die Wahl zum Präsidenten der USA gewonnen hat. Dies ist eines der wichtigsten Wahlergebnisse der letzten Jahre.

Das ist es zum einen, weil es sich um den Präsidenten der USA handelt. Es ist aber mindestens ebenso wichtig, weil ein Mann sich nicht durchgesetzt hat, der alle demokratischen Spielregeln und die Werte, für die westlichen Demokratien stehen (sollten), völlig missachtet. Das hat Trumps Benehmen in den letzten Jahren schon ausreichend gezeigt. In dieser Woche wurde es überdeutlich: Es war doch bis zur Wahl unvorstellbar, dass ein noch amtierender Präsident auf die Idee kommt, mit Hilfe des Verfassungsgerichts das Auszählen von Stimmen zu unterbinden, weil seine Mehrheit schwindet. Oder dass er dann, wenn die Briefwahlstimmen ausgezählt werden, allen Ernstes behauptet, nun werde ihm sein Sieg gestohlen, weil plötzlich Stimmen für seinen Gegenkandidaten den eigenen Zählvorsprung schwinden lassen. Trumps Sieg wäre eine große Ermutigung für die Erdogans und Putins dieser Welt. Er gäbe auch jenen bei uns Auftrieb, die am Rand unseres politischen Spektrums mit einem anderen Demokratieverständnis unterwegs sind. Bidens Sieg bringt wieder Stabilität in die demokratische Ordnung der USA, was in all unsere Länder ausstrahlt. Dieser Sieg bringt die Chance, auch in der internationalen Staatengemeinschaft die regelbasierte Ordnung, wie das so gerne genannt wird, wieder etwas zu stabilisieren. Sie ist allerdings nicht nur durch Trump aus den Fugen geraten, sondern auch durch andere. Aber immerhin: Einer der Destabilisatoren ist damit weg. Das ist ein sehr wichtiges Ergebnis dieser Wahl mit Auswirkungen auf die Welt.

Was bedeutet Biden sicherheitspolitisch für uns? Zunächst einmal – und wir wissen das nach vier Jahren Trump zu schätzen – haben wir wieder einen Gesprächspartner, der zuhört. Argumente und Fakten werden wieder eine Rolle spielen. So können Konflikte und Meinungsverschiedenheiten handhabbar werden. Wir haben es mit einem Präsident Biden zu tun, der keine tiefe Abneigung gegen internationale Kooperation hegt. In den Organisationen kann man mit ihm zusammenarbeiten.

Nach den Trump-Jahren verklären wir gerne die Zeit von Obama, dessen Vize Biden war. Auch Obama hat den Schwerpunkt seiner außenpolitischen Bemühungen in den Pazifik verlegt. Auch er hat in China den Hauptkonkurrenten gesehen, dessen immer stärkere Rolle in der Welt längst sicherheitspolitisch relevant ist. Das wird sich bei Biden nicht verändern. Aber Europa spielt bei ihm eine andere, positivere Rolle. Da er eine wertebasierte Politik betreibt, weiß er, dass er in Europa trotz aller Mängel einen Partner hat.

Dabei gilt auch: Trumps Parole „Amerika First“ ist, wenn wir sie ernst nehmen, eine ganz normale Haltung jedes Staatsmannes. Dass sich ein verantwortlicher Politiker zuerst um sein Land und dessen Bürger kümmert, ist seine ganz normale Aufgabe. Wir in Deutschland sind an solche Aussagen nicht gewohnt, weil die offene Vertretung eigener Interessen als unschicklich gilt. Es geht um zweierlei: Wie vertritt man seine Interessen – und wie definiert man sie?

Da werden wir jetzt sicherlich auf Vereinigte Staaten von Amerika treffen, die sich wieder etwas mehr international engagieren werden. Auch in den letzten vier Jahren spielten internationale Themen eine gewichtige Rolle in der US-Politik. Man denke nur an Nordkorea, das Verhältnis zu China, die Beteiligung der USA an der Präsenz der NATO in den baltischen Staaten – alles Themen, die nicht auf eine rein innenpolitisch geprägte Agenda hinweisen. Das wird sich nicht ändern.

Biden wird in manchen Fragen das Ruder nicht völlig herumreißen. Er hat angekündigt, dass die USA dem Weltklimaabkommen wieder beitreten. Mit ihm wird es den Versuch geben, im Verhältnis zum Iran eine neue Initiative zu starten. Er wird vielleicht das alte Abkommen nicht wieder in Kraft setzen, aber Vorschläge für ein neues erarbeiten. Er wird auch versuchen, sich aus Afghanistan zurückzuziehen, aber er wird dies nicht einseitig machen, sondern sowohl mit der Regierung in Kabul wie mit Verbündeten koordinieren. Das sind drei Beispiele, die zeigen, wie es laufen könnte: In einigen Punkten werden Trump-Entscheidungen zurückgenommen, in anderen wird umgesteuert, anderes wird weiter umgesetzt, aber in einem kooperativen Stil.

In einigen Bereichen waren die Positionen der USA ja auch unter Trump richtig. Das Nein zu Nordstream 2 zum Beispiel ist sicherheitspolitisch gut begründet. Ohne Sanktionen gegen die Firmen, die daran beteiligt sind, wäre diese Haltung anders diskutiert worden. Da haben die USA also einen Punkt, von dem auch eine Biden-Administration nicht abweichen wird.

Die USA werden unter dem Präsidenten Biden ein guter und engagierter Partner in der NATO sein. Auch das heißt nicht, dass die Ermahnungen an die Europäer, mehr für ihre Sicherheit zu tun, verschwinden werden. Den Beschluss, zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für die Verteidigung auszugeben, hat die NATO mehrfach gefasst, auch unter Obama/Biden – und das einstimmig, was oft vergessen wird. Da mahnen die USA „nur“ an, dass die Europäer das umsetzen, was sie zugesagt haben.

Diese erwartete neue – oder wieder alte? – Haltung der USA zu Europa wird die Diskussion bei uns erleichtern. Biden wird trotz der Vertretung US-amerikanischer Interessen – die Freiheit Europas gehört da vielleicht sogar dazu – als ein Garant unserer Sicherheit glaubwürdiger auftreten. Die Allianz wird wieder eine solche werden. Dabei setzt Biden natürlich zunächst auf die größeren Ländern, auf Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Damit nimmt der Druck auf die Europäer zu, sich auf diesem Kontinent mehr zu einigen. Polen gehörte eigentlich auch in diese Liste. Man wird sehen, wie Biden mit der Trump-ähnlichen Regierung in Polen umgehen wird.

Die Konflikte und Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland und Europa auf der einen Seite und den USA auf der anderen werden durch diese Wahl also nicht beseitigt. Aber sie werden nicht mehr gegeneinander instrumentalisiert, sondern man wird gemeinsam nach Lösungen suchen. Das gibt Gestaltungsspielraum, auch für uns hier in Europa. Und das schafft neue Stabilität.

In diesem Sinne: Good Luck, Jo Biden!

Rolf Clement