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Eine herbstliche NATO Verteidigungsministertagung gehört zur Brüsseler Routine wie fallende Blätter. Dem einen oder anderen mag die Veröffentlichung der Verteidigungsausgaben der Allianz zum jetzigen Zeitpunkt ungewöhnlich erscheinen. Soll den USA im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen demonstriert werden, dass die Allianz ihre Arbeit leistet und dass sie liefert? Diese Erwägung drängt sich auf, denn in dem Bericht ist nachzulesen, dass die Militärausgaben des Bündnisses zum sechsten Mal in Folge gestiegen sind. Zum ersten Mal übertreffen ein Drittel der Mitgliedsstaaten die Zwei-Prozent- Marke. 2014 waren dies, betont NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, nur drei. US-Amerikanische Medien kommentieren das mit Bezug auf Deutschland. „Zehn NATO Mitglieder erreichen mit ihren Verteidigungsausgaben zwei Prozent des Bruttosozialprodukts, jedoch nicht Deutschland“ lautet die Schlagzeile von ‚Stars and Stripes‘ am 21. Oktober.

In zwei Videokonferenzen am 22. und 23. Oktober erörterten die Verteidigungsminister der NATO neben den Fortschritten bei der Lastenverteilung die aktuelle Lage, das Verhältnis zu Russland, den Beitrag von Streitkräften zur Resilienz sowie einen Bericht über sexuelle Ausbeutung und sexuellen Missbrauch bei NATO-Operationen. Zu den beschlossenen  Maßnahmen gehörte die Einrichtung eines NATO-Weltraumzentrums beim Allied Air Command in Ramstein. Es soll die NATO-Operationen im Weltraum unterstützen, einen Informationsaustausch ermöglichen und Maßnahmen koordinieren. Zur Erinnerung: Auf dem Londoner Gipfel vom Dezember 2019 wurde der Weltraum zum fünften operativen Bereich der Allianz erklärt. Weiterhin verabschiedeten die Minister einen Plan, wie die  Ausbildungsmission im Irak weitergehen kann. Da wurde das Mandat breiter gestaltet, das EInsatzgebiet geographisch erweitert und das Aufgabengebiet  auf die institutionelle Beratung bei Reduzierung der taktischen Ausbildung neu ausgerichtet.

Um die Lage im östlichen Mittelmeerraum zu entschärfen, einigten sich die Verteidigungsminister darauf, einen militärischen Konfliktlösungsmechanismus zwischen Griechenland und der Türkei einzurichten. Generalsekretär Stoltenberg betonte, dass so die dem Konflikt zugrunde liegenden Ursachen sicherlich nicht beseitigt werden können. Doch bestünde eine Plattform, eine politische Auseinandersetzung zu ermöglichen.

Um die nationale Widerstandsfähigkeit zu verbessern, erörterten die Verteidigungsminister einen Bericht über den Zustand kritischer Infrastrukturen (Häfen und Flughäfen), die Versorgung mit Treibstoff, Lebensmitteln und medizinischen Geräten sowie die Möglichkeiten der Telekommunikation, einschließlich 5G. Das Thema Resilienz soll beim nächsten Gipfel der Staats- und Regierungschefs vertieft werden.

Verteidigungsausgaben: Zahlenspiele – Deutschland in der zweiten Hälfte im Vergleichsranking

Insgesamt investierte die Allianz 4,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Höhe der Gesamtausgaben beträgt 1.092,905 Milliarden US Dollar. Die USA steuerten 784,952 Milliarden US Dollar bei. Demzufolge beträgt der kumulierte Aufwand Europas und Kanadas 307,530 Milliarden US Dollar. Mit veranschlagten 56,074 Milliarden US Dollar nimmt Deutschland den zweiten Platz hinter Großbritannien (59,634 Milliarden US Dollar) und vor Frankreich (50,247 Milliarden US Dollar) ein.

Der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt beträgt bei den europäischen Verbündeten und Kanada 1,78 Prozent, bei den USA 3,87 Prozent. Die NATO insgesamt kommt auf 2,85 Prozent. Unter den 29 NATO Mitgliedsstaaten, die zur Statistik der Verteidigungsausgaben herangezogen werden, nimmt Deutschland mit 1,57 Prozent einen siebzehnten Platz ein (das NATO-Mitglied Island, das keine Streitkräfte unterhält, wird bei den Verteidigungsausgaben nicht herangezogen).

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Abgesehen von der generellen Kritik an der Zweiprozent-Marke gilt für 2020: Die Orientierung am Bruttoinlandsprodukt ist insofern wenig aussagekräftig, da der vermeintliche Fortschritt auch auf einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2020 wegen der coronavirus-induzierten wirtschaftlichen Entwicklung beruht. Die weitere Ausgestaltung der Verteidigungshaushalte ist zudem offen, denn die Auswirkungen der Krise auf die künftigen Budgets sind schwer abschätzbar. NATO Generalsekretär Stoltenberg bleibt bei seiner Linie, dass die Zwei-Prozent Standards erreicht werden sollen. Schließlich ist das ein gültiger, einstimmig gefasster NATO-Beschluss. „Dann verstehe ich natürlich, dass es schwierig ist, inmitten einer Gesundheitskrise, der COVID-19-Pandemie, in die Verteidigung zu investieren. Gleichzeitig wissen wir alle, dass die Bedrohungen und Herausforderungen, die uns dazu gebracht haben, gemeinsam alle Verbündeten zu verpflichten, mehr zu investieren, nicht verschwunden sind. Sie sind immer noch da. Und das ist auch der Grund, warum ich die Alliierten auffordere, ihre Versprechen weiterhin einzuhalten“, so Jens Stoltenberg in einer das Ministertreffen abschließenden Pressekonferenz am 23. Oktober.

Dessen ungeachtet verminderten sich die Verteidigungsausgaben gegenüber 2019 in neun Mitgliedsstaaten: Bulgarien, Griechenland, Kanada, Kroatien, den Niederlanden, Norwegen, Slowakei, Türkei und Ungarn.

Im Vorfeld der Tagung wurde bekannt, dass das Nicht-NATO-Mitglied Schweden seine Verteidigungsausgaben aufgrund einer Neueinschätzung seiner nationalen Sicherheitslage  erheblich erhöhen wird. Die Regierung hat vorgeschlagen, dass der Haushalt für die Streitkräfte im Zeitraum 2021 bis 2025 um 27,5 Milliarden Schwedische Kronen (3,09 Milliarden US Dollar) auf dann 79 Milliarden Schwedische Kronen (8,8 Milliarden US Dollar) erhöht werden soll. Diese Steigerung der Militärausgaben um vierzig Prozent ist die höchste seit siebzig Jahren. Zum Vergleich: Norwegen bringt 2020 6,6 Milliarden US Dollar zur Verteidigung auf (Quelle: NATO).

Initiative zur Entwicklung von Luftverteidigungsfähigkeiten

Das Herbsttreffen der NATO Verteidigungsminister schloss mit der Unterzeichnung einer Absichtserklärung (Letter of Intent) zur Entwicklung von bodengestützten Luftverteidigungsfähigkeiten (GBAD) für sehr kurze, kurze und mittlere Reichweite (ESuT berichtete). In einem modularen Ansatz wollen die Teilnehmer mit vielseitigen und skalierbaren Lösungen den  Bedrohungen aus der Luft begegnen. Sicherlich ist es ein Novum, dass die Unterzeichnung aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Italien, Lettland, den Niederlande, Slowenien, Spanien, Ungarn und Großbritanninen virtuell erfolgte.

Desinformation – ein gelebtes Beispiel

Dass die verstärkte Abschreckungs- und Verteidigungshaltung der NATO zum Gegenstand gezielter Fehlinformation wird, kann nicht verwundern. Zu Überlegungen, die militärische Präsenz des Bündnisses an seiner Ostflanke zu erhöhen, wird  NATO-Generalsekretär Stoltenberg eine Äußerung in den Mund gelegt, nach der geplant sei, „in der Ukraine zwischen 2021 und 2022 eine verstärkte Forward Presence Battlegroup der NATO einzurichten, die im Norden des Landes eingesetzt wird.“ Das war in The Baltic Course‘, ein in Riga erscheinendes „Internationales (Internet) Magazin für Entscheidungsträger“ am 26. Oktober zu lesen. Auf unsere Nachfrage teilte ein Sprecher aus dem NATO Hauptquartier mit, es handele sich um einen Fall absichtlicher Desinformation, die Zitate seien erfunden.

Hans Uwe Mergener